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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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sie niemals angewendet worden, und offenbar war es den Kammern schon bei
ihrer Schöpfung ziemlich unheimlich zu Muthe. Sie umgaben die Neu-Ein¬
richtung mit einer Menge von Vorsichtsmaßregeln gegen willkürliche Einbe¬
rufung und stellten außerdem als Gegengewicht fest, daß der Regierung nie¬
mals eine zweite Conscription in Einem Jahre zur Verfügung gestellt
werden dürfe.

Uebrigens wendete die Juli-Regierung nicht nur der Reorganisation der
Nationalgarde, sondern auch der der Armee große Sorgfalt zu. Ihr erster
Schritt war die Auflösung der so unpopulären Garde, deren Mann¬
schaften theils abgedankt, theils in andere Truppentheile eingestellt wurden.
Die Schweizer wurden entlassen. -- Schon in den letzten Monaten des
Jahres 1830 trat dann eine Commission zur Untersuchung der Wehr¬
pflichtsverhältnisse zusammen, welcher Jourdan, der Sieger von Fleurus
präsidirte, derselbe Mann, der bereits Berichterstatter für das erste Conscrip-
tionsgesetz (vom Jahre VI) gewesen war. An große principielle Aenderungen
war nicht zu denken. Victor Cousin freilich, der von der Regierung nach
Berlin geschickt worden war, um die preußischen Verhältnisse zu studiren, stellte
neben der allgemeinen Schulpflicht die allgemeine Wehrpflicht als Haupt¬
moment der Staatsmacht hin; in jener sah er das geistige Rüstzeug, in dieser
eine kriegerisch erziehende Kraft von gewaltiger Bedeutung.*) Und der Her¬
zog von Orleans äußerte einem preußischen Stabsofficier gegenüber, welcher
jenerzeit der französischen Armee einen officiellen Besuch abstattete: "Ihnen
kommt Ihre Organisation zu Hilfe, vous kaltes Wut mgretier iniütgirement,
rouclement et voila es qu'it kaut pour r6us?ir dans notre etat ... die
Armee ist nur die Avantgarde des Volkes, e'est pieoisement es qu'it kaut,
et ^'espere, que nousv varvienärons!"**) Wie aber hätte der König
der Bourgeoisie die allgemeine Wehrpflicht einführen dürfen, selbst wenn er
es gewollt hätte! -- "Votre orFguisatiort est vartaite", bemerkte jenem preu¬
ßischen Officier der General Blancard, "aber wir können niemals zu einer
solchen gelangen, denn dazu gehört eine förmliche Umänderung in
unsern Sitten, Gebräuchen und Gesetzen, et puis les g-mditieux,
les eng.1vents.ues et les enambres!" ein Wort von großer Wahrheit,
dessen sich in der Gegenwart wieder zu erinnern, wol von Nutzen ist.

Im August 1831 machte der Kriegsminister Marschall Soult den Kam¬
mern seine Vorlage. Das Gesetz von 1818 bildete das Fundament derselben;
dabei proponirte die Negierung 6 Jahr Dienstzeit und 2 Jahr Reserve für




V. vousin: V<Z l'lnsel'uetion Mbliqus "Zavs quelquos xo^s cle I'^Uhu-lZne se p-rrti.
vuliöiemeut eil ?russs.
") Aus dem Leben des Generals der Infanterie Dr. v. Brandt.

sie niemals angewendet worden, und offenbar war es den Kammern schon bei
ihrer Schöpfung ziemlich unheimlich zu Muthe. Sie umgaben die Neu-Ein¬
richtung mit einer Menge von Vorsichtsmaßregeln gegen willkürliche Einbe¬
rufung und stellten außerdem als Gegengewicht fest, daß der Regierung nie¬
mals eine zweite Conscription in Einem Jahre zur Verfügung gestellt
werden dürfe.

Uebrigens wendete die Juli-Regierung nicht nur der Reorganisation der
Nationalgarde, sondern auch der der Armee große Sorgfalt zu. Ihr erster
Schritt war die Auflösung der so unpopulären Garde, deren Mann¬
schaften theils abgedankt, theils in andere Truppentheile eingestellt wurden.
Die Schweizer wurden entlassen. — Schon in den letzten Monaten des
Jahres 1830 trat dann eine Commission zur Untersuchung der Wehr¬
pflichtsverhältnisse zusammen, welcher Jourdan, der Sieger von Fleurus
präsidirte, derselbe Mann, der bereits Berichterstatter für das erste Conscrip-
tionsgesetz (vom Jahre VI) gewesen war. An große principielle Aenderungen
war nicht zu denken. Victor Cousin freilich, der von der Regierung nach
Berlin geschickt worden war, um die preußischen Verhältnisse zu studiren, stellte
neben der allgemeinen Schulpflicht die allgemeine Wehrpflicht als Haupt¬
moment der Staatsmacht hin; in jener sah er das geistige Rüstzeug, in dieser
eine kriegerisch erziehende Kraft von gewaltiger Bedeutung.*) Und der Her¬
zog von Orleans äußerte einem preußischen Stabsofficier gegenüber, welcher
jenerzeit der französischen Armee einen officiellen Besuch abstattete: „Ihnen
kommt Ihre Organisation zu Hilfe, vous kaltes Wut mgretier iniütgirement,
rouclement et voila es qu'it kaut pour r6us?ir dans notre etat ... die
Armee ist nur die Avantgarde des Volkes, e'est pieoisement es qu'it kaut,
et ^'espere, que nousv varvienärons!"**) Wie aber hätte der König
der Bourgeoisie die allgemeine Wehrpflicht einführen dürfen, selbst wenn er
es gewollt hätte! — „Votre orFguisatiort est vartaite", bemerkte jenem preu¬
ßischen Officier der General Blancard, „aber wir können niemals zu einer
solchen gelangen, denn dazu gehört eine förmliche Umänderung in
unsern Sitten, Gebräuchen und Gesetzen, et puis les g-mditieux,
les eng.1vents.ues et les enambres!" ein Wort von großer Wahrheit,
dessen sich in der Gegenwart wieder zu erinnern, wol von Nutzen ist.

Im August 1831 machte der Kriegsminister Marschall Soult den Kam¬
mern seine Vorlage. Das Gesetz von 1818 bildete das Fundament derselben;
dabei proponirte die Negierung 6 Jahr Dienstzeit und 2 Jahr Reserve für




V. vousin: V<Z l'lnsel'uetion Mbliqus «Zavs quelquos xo^s cle I'^Uhu-lZne se p-rrti.
vuliöiemeut eil ?russs.
") Aus dem Leben des Generals der Infanterie Dr. v. Brandt.
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[0455] sie niemals angewendet worden, und offenbar war es den Kammern schon bei ihrer Schöpfung ziemlich unheimlich zu Muthe. Sie umgaben die Neu-Ein¬ richtung mit einer Menge von Vorsichtsmaßregeln gegen willkürliche Einbe¬ rufung und stellten außerdem als Gegengewicht fest, daß der Regierung nie¬ mals eine zweite Conscription in Einem Jahre zur Verfügung gestellt werden dürfe. Uebrigens wendete die Juli-Regierung nicht nur der Reorganisation der Nationalgarde, sondern auch der der Armee große Sorgfalt zu. Ihr erster Schritt war die Auflösung der so unpopulären Garde, deren Mann¬ schaften theils abgedankt, theils in andere Truppentheile eingestellt wurden. Die Schweizer wurden entlassen. — Schon in den letzten Monaten des Jahres 1830 trat dann eine Commission zur Untersuchung der Wehr¬ pflichtsverhältnisse zusammen, welcher Jourdan, der Sieger von Fleurus präsidirte, derselbe Mann, der bereits Berichterstatter für das erste Conscrip- tionsgesetz (vom Jahre VI) gewesen war. An große principielle Aenderungen war nicht zu denken. Victor Cousin freilich, der von der Regierung nach Berlin geschickt worden war, um die preußischen Verhältnisse zu studiren, stellte neben der allgemeinen Schulpflicht die allgemeine Wehrpflicht als Haupt¬ moment der Staatsmacht hin; in jener sah er das geistige Rüstzeug, in dieser eine kriegerisch erziehende Kraft von gewaltiger Bedeutung.*) Und der Her¬ zog von Orleans äußerte einem preußischen Stabsofficier gegenüber, welcher jenerzeit der französischen Armee einen officiellen Besuch abstattete: „Ihnen kommt Ihre Organisation zu Hilfe, vous kaltes Wut mgretier iniütgirement, rouclement et voila es qu'it kaut pour r6us?ir dans notre etat ... die Armee ist nur die Avantgarde des Volkes, e'est pieoisement es qu'it kaut, et ^'espere, que nousv varvienärons!"**) Wie aber hätte der König der Bourgeoisie die allgemeine Wehrpflicht einführen dürfen, selbst wenn er es gewollt hätte! — „Votre orFguisatiort est vartaite", bemerkte jenem preu¬ ßischen Officier der General Blancard, „aber wir können niemals zu einer solchen gelangen, denn dazu gehört eine förmliche Umänderung in unsern Sitten, Gebräuchen und Gesetzen, et puis les g-mditieux, les eng.1vents.ues et les enambres!" ein Wort von großer Wahrheit, dessen sich in der Gegenwart wieder zu erinnern, wol von Nutzen ist. Im August 1831 machte der Kriegsminister Marschall Soult den Kam¬ mern seine Vorlage. Das Gesetz von 1818 bildete das Fundament derselben; dabei proponirte die Negierung 6 Jahr Dienstzeit und 2 Jahr Reserve für V. vousin: V<Z l'lnsel'uetion Mbliqus «Zavs quelquos xo^s cle I'^Uhu-lZne se p-rrti. vuliöiemeut eil ?russs. ") Aus dem Leben des Generals der Infanterie Dr. v. Brandt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/455>, abgerufen am 22.12.2024.