Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gegen die liberale Garde nationale, kam es zu einem blutigen Gefecht, Die
zahlreiche Bürgerwehr behielt die Oberhand.




Wie die Regierung Louis Philipp's von Orleans, des "Bürger¬
königs" ihre Entstehung ganz vorzugsweise der in der Nationalgarde ver¬
tretenen Bourgeoisie verdankte, so schien sie sich vorzugsweise auch auf sie
stützen zu wollen. Ihrer Reorganisation widmete sie sofort den größten Eifer
und noch vor Ende August konnte der König eine Musterung der 12 Pariser
Legionen halten, welche überaus glänzend auffiel. Nicht nur um der Eitel¬
keit der Bürgerwehr zu schmeicheln, und zu verhüllen, was ihr an Haltung
und Uebung abging, sondern mit bewußter Absicht hatte man die Uniform
so glänzend und kostspielig als möglich gewählt: das schloß die ärmeren Classen
aus und legte alle Waffen in die Hände der Besitzenden. Wie bei dieser Re¬
vue durch ihre Erscheinung, so imponirte an dem verhängnißvollen 21.
December, als die Pairskammer das Urtheil über Charles' X. Minister sprach,
die Nationalgarde durch ihre feste Haltung dem Blut verlangenden Pariser
Pöbel. Solche Dienste ließen es wünschenswert!) erscheinen, die Verfassung
der Bürgerwehr, wie sie sich herausgebildet, gesetzlich festzustellen, und so
machte denn ein Gesetz vom 22. März 1831 den bisherigen Gebrauch der
Gardisten, sich selbst zu equipiren, obligatorisch. Außerdem aber ist jenes Ge¬
setz dadurch wichtig, daß es die Schöpfung von "Oorps clötaelnZs 6<z ig, Zaräe
nationale" vorsieht. Zu diesen Corps, welche in Sold, Leistungen und Dis¬
ciplin den Linientruppen gleichgestellt werden sollten, waren, und zwar jedes¬
mal durch besonderes Gesetz, alle Bürger von 20 bis 30 Jahren zu berufen:
zuerst die Junggesellen und kinderlosen Wittwer, dann die Wittwer mit Kin¬
dern und die Familienväter. Die Berufung sollte immer nur auf ein Jahr
gelten; nirgends aber war verboten, die Corps auch im Auslande zu ver¬
wenden. Unteroffiziere und Lieutenants sollten durch die Wahl der Mann¬
schaft, höhere Officiere durch die des Königs ernannt werden.*) Der Urheber
dieser Schöpfung war Graf Mathieu Dumas, der seit 1792 an allen militär¬
organisatorischen Fragen betheiligt gewesen und im Jahre 1813 bereits die
Aufstellung der mobilen Nationalgarten übernommen hatte. Was er in diesen
coiPS ä6ta,ick6L schaffen wollte, war in der That wieder eine mobile Na¬
tionalgarde, hervorgegangen aus dem tief empfundenen Bedürfnisse nach
einer Heeresreserve, die man jedoch, der Zeitströmung gemäß, nicht aus der
Armee, sondern aus der Nationalgarde zu entwickeln dachte. Thatsächlich ist



*) A. 1<z ano ä'^umsls a. a. O.

gegen die liberale Garde nationale, kam es zu einem blutigen Gefecht, Die
zahlreiche Bürgerwehr behielt die Oberhand.




Wie die Regierung Louis Philipp's von Orleans, des „Bürger¬
königs" ihre Entstehung ganz vorzugsweise der in der Nationalgarde ver¬
tretenen Bourgeoisie verdankte, so schien sie sich vorzugsweise auch auf sie
stützen zu wollen. Ihrer Reorganisation widmete sie sofort den größten Eifer
und noch vor Ende August konnte der König eine Musterung der 12 Pariser
Legionen halten, welche überaus glänzend auffiel. Nicht nur um der Eitel¬
keit der Bürgerwehr zu schmeicheln, und zu verhüllen, was ihr an Haltung
und Uebung abging, sondern mit bewußter Absicht hatte man die Uniform
so glänzend und kostspielig als möglich gewählt: das schloß die ärmeren Classen
aus und legte alle Waffen in die Hände der Besitzenden. Wie bei dieser Re¬
vue durch ihre Erscheinung, so imponirte an dem verhängnißvollen 21.
December, als die Pairskammer das Urtheil über Charles' X. Minister sprach,
die Nationalgarde durch ihre feste Haltung dem Blut verlangenden Pariser
Pöbel. Solche Dienste ließen es wünschenswert!) erscheinen, die Verfassung
der Bürgerwehr, wie sie sich herausgebildet, gesetzlich festzustellen, und so
machte denn ein Gesetz vom 22. März 1831 den bisherigen Gebrauch der
Gardisten, sich selbst zu equipiren, obligatorisch. Außerdem aber ist jenes Ge¬
setz dadurch wichtig, daß es die Schöpfung von „Oorps clötaelnZs 6<z ig, Zaräe
nationale" vorsieht. Zu diesen Corps, welche in Sold, Leistungen und Dis¬
ciplin den Linientruppen gleichgestellt werden sollten, waren, und zwar jedes¬
mal durch besonderes Gesetz, alle Bürger von 20 bis 30 Jahren zu berufen:
zuerst die Junggesellen und kinderlosen Wittwer, dann die Wittwer mit Kin¬
dern und die Familienväter. Die Berufung sollte immer nur auf ein Jahr
gelten; nirgends aber war verboten, die Corps auch im Auslande zu ver¬
wenden. Unteroffiziere und Lieutenants sollten durch die Wahl der Mann¬
schaft, höhere Officiere durch die des Königs ernannt werden.*) Der Urheber
dieser Schöpfung war Graf Mathieu Dumas, der seit 1792 an allen militär¬
organisatorischen Fragen betheiligt gewesen und im Jahre 1813 bereits die
Aufstellung der mobilen Nationalgarten übernommen hatte. Was er in diesen
coiPS ä6ta,ick6L schaffen wollte, war in der That wieder eine mobile Na¬
tionalgarde, hervorgegangen aus dem tief empfundenen Bedürfnisse nach
einer Heeresreserve, die man jedoch, der Zeitströmung gemäß, nicht aus der
Armee, sondern aus der Nationalgarde zu entwickeln dachte. Thatsächlich ist



*) A. 1<z ano ä'^umsls a. a. O.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0454" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128382"/>
          <p xml:id="ID_1532" prev="#ID_1531"> gegen die liberale Garde nationale, kam es zu einem blutigen Gefecht, Die<lb/>
zahlreiche Bürgerwehr behielt die Oberhand.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1533" next="#ID_1534"> Wie die Regierung Louis Philipp's von Orleans, des &#x201E;Bürger¬<lb/>
königs" ihre Entstehung ganz vorzugsweise der in der Nationalgarde ver¬<lb/>
tretenen Bourgeoisie verdankte, so schien sie sich vorzugsweise auch auf sie<lb/>
stützen zu wollen. Ihrer Reorganisation widmete sie sofort den größten Eifer<lb/>
und noch vor Ende August konnte der König eine Musterung der 12 Pariser<lb/>
Legionen halten, welche überaus glänzend auffiel. Nicht nur um der Eitel¬<lb/>
keit der Bürgerwehr zu schmeicheln, und zu verhüllen, was ihr an Haltung<lb/>
und Uebung abging, sondern mit bewußter Absicht hatte man die Uniform<lb/>
so glänzend und kostspielig als möglich gewählt: das schloß die ärmeren Classen<lb/>
aus und legte alle Waffen in die Hände der Besitzenden. Wie bei dieser Re¬<lb/>
vue durch ihre Erscheinung, so imponirte an dem verhängnißvollen 21.<lb/>
December, als die Pairskammer das Urtheil über Charles' X. Minister sprach,<lb/>
die Nationalgarde durch ihre feste Haltung dem Blut verlangenden Pariser<lb/>
Pöbel. Solche Dienste ließen es wünschenswert!) erscheinen, die Verfassung<lb/>
der Bürgerwehr, wie sie sich herausgebildet, gesetzlich festzustellen, und so<lb/>
machte denn ein Gesetz vom 22. März 1831 den bisherigen Gebrauch der<lb/>
Gardisten, sich selbst zu equipiren, obligatorisch. Außerdem aber ist jenes Ge¬<lb/>
setz dadurch wichtig, daß es die Schöpfung von &#x201E;Oorps clötaelnZs 6&lt;z ig, Zaräe<lb/>
nationale" vorsieht. Zu diesen Corps, welche in Sold, Leistungen und Dis¬<lb/>
ciplin den Linientruppen gleichgestellt werden sollten, waren, und zwar jedes¬<lb/>
mal durch besonderes Gesetz, alle Bürger von 20 bis 30 Jahren zu berufen:<lb/>
zuerst die Junggesellen und kinderlosen Wittwer, dann die Wittwer mit Kin¬<lb/>
dern und die Familienväter. Die Berufung sollte immer nur auf ein Jahr<lb/>
gelten; nirgends aber war verboten, die Corps auch im Auslande zu ver¬<lb/>
wenden. Unteroffiziere und Lieutenants sollten durch die Wahl der Mann¬<lb/>
schaft, höhere Officiere durch die des Königs ernannt werden.*) Der Urheber<lb/>
dieser Schöpfung war Graf Mathieu Dumas, der seit 1792 an allen militär¬<lb/>
organisatorischen Fragen betheiligt gewesen und im Jahre 1813 bereits die<lb/>
Aufstellung der mobilen Nationalgarten übernommen hatte. Was er in diesen<lb/>
coiPS ä6ta,ick6L schaffen wollte, war in der That wieder eine mobile Na¬<lb/>
tionalgarde, hervorgegangen aus dem tief empfundenen Bedürfnisse nach<lb/>
einer Heeresreserve, die man jedoch, der Zeitströmung gemäß, nicht aus der<lb/>
Armee, sondern aus der Nationalgarde zu entwickeln dachte.  Thatsächlich ist</p><lb/>
          <note xml:id="FID_144" place="foot"> *) A. 1&lt;z ano ä'^umsls a. a. O.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0454] gegen die liberale Garde nationale, kam es zu einem blutigen Gefecht, Die zahlreiche Bürgerwehr behielt die Oberhand. Wie die Regierung Louis Philipp's von Orleans, des „Bürger¬ königs" ihre Entstehung ganz vorzugsweise der in der Nationalgarde ver¬ tretenen Bourgeoisie verdankte, so schien sie sich vorzugsweise auch auf sie stützen zu wollen. Ihrer Reorganisation widmete sie sofort den größten Eifer und noch vor Ende August konnte der König eine Musterung der 12 Pariser Legionen halten, welche überaus glänzend auffiel. Nicht nur um der Eitel¬ keit der Bürgerwehr zu schmeicheln, und zu verhüllen, was ihr an Haltung und Uebung abging, sondern mit bewußter Absicht hatte man die Uniform so glänzend und kostspielig als möglich gewählt: das schloß die ärmeren Classen aus und legte alle Waffen in die Hände der Besitzenden. Wie bei dieser Re¬ vue durch ihre Erscheinung, so imponirte an dem verhängnißvollen 21. December, als die Pairskammer das Urtheil über Charles' X. Minister sprach, die Nationalgarde durch ihre feste Haltung dem Blut verlangenden Pariser Pöbel. Solche Dienste ließen es wünschenswert!) erscheinen, die Verfassung der Bürgerwehr, wie sie sich herausgebildet, gesetzlich festzustellen, und so machte denn ein Gesetz vom 22. März 1831 den bisherigen Gebrauch der Gardisten, sich selbst zu equipiren, obligatorisch. Außerdem aber ist jenes Ge¬ setz dadurch wichtig, daß es die Schöpfung von „Oorps clötaelnZs 6<z ig, Zaräe nationale" vorsieht. Zu diesen Corps, welche in Sold, Leistungen und Dis¬ ciplin den Linientruppen gleichgestellt werden sollten, waren, und zwar jedes¬ mal durch besonderes Gesetz, alle Bürger von 20 bis 30 Jahren zu berufen: zuerst die Junggesellen und kinderlosen Wittwer, dann die Wittwer mit Kin¬ dern und die Familienväter. Die Berufung sollte immer nur auf ein Jahr gelten; nirgends aber war verboten, die Corps auch im Auslande zu ver¬ wenden. Unteroffiziere und Lieutenants sollten durch die Wahl der Mann¬ schaft, höhere Officiere durch die des Königs ernannt werden.*) Der Urheber dieser Schöpfung war Graf Mathieu Dumas, der seit 1792 an allen militär¬ organisatorischen Fragen betheiligt gewesen und im Jahre 1813 bereits die Aufstellung der mobilen Nationalgarten übernommen hatte. Was er in diesen coiPS ä6ta,ick6L schaffen wollte, war in der That wieder eine mobile Na¬ tionalgarde, hervorgegangen aus dem tief empfundenen Bedürfnisse nach einer Heeresreserve, die man jedoch, der Zeitströmung gemäß, nicht aus der Armee, sondern aus der Nationalgarde zu entwickeln dachte. Thatsächlich ist *) A. 1<z ano ä'^umsls a. a. O.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/454
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/454>, abgerufen am 25.08.2024.