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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Heer doch in einer immerhin günstigeren Stimmung zurück. Der Sieg ver¬
söhnte die Truppen einigermaßen mit der neuen Fahne, und die Verschwörung
hörte wenigstens auf, anne zu sein. Daß sie latent weiter lebte, bewies die
Juli-Revolution.

Wenn sich die Armee während des spanischen Feldzugs brauchbar ge¬
zeigt, so galt dies nicht von den Reserven. Die Institution der Veteranen
hatte nicht gehalten, was man sich von ihr versprach. Einberufen waren nur
die von der Classe 1816; viele aber waren ausgeblieben und die, welche
kamen, zeigten große Unzufriedenheit. -- Es scheint sehr schwierig zu sein, den
Franzosen überhaupt den Unterschied zwischen provisorischen und definitiven
Urlaub klar zu machen, und damals hatten die Veteranen allerdings nicht
nur einen Urlaubspaß, sondern eine lidöration in der Hand, welche das Gesetz
von 1818 erst nachträglich rückgängig gemacht. Außerdem war der Krieg
gegen Spanien unpopulär und galt für unbedeutend, sodaß die Veteranen
sich wunderten, wegen einer solchen Kleinigkeit einberufen zu sein. Durch
eine einigermaßen willkürliche Auslegung des Gesetzes waren dann die Ve¬
teranen in die Regimenter eingestellt, gleichzeitig aber, aus Rücksicht auf eben
jenes Gesetz in den Depots zurückbehalten worden, was denn wieder einen
neuen Grund des Mißvergnügens abgab. -- Statt sich nun zu sagen, daß
dieser erste Versuch vorzugsweise in Folge der halben Maßregeln so schlecht
ausgefallen und jedenfalls nicht maßgebend sein könne, verlor die Regierung
alles Zutrauen zu den Veteranen und legte der Kammer einen Gesetzentwurf
zur Abänderung des Artikels IV des Heergesetzes von 1818 vor. -- Saint-
Cyr und die Linke traten zwar auf der Tribüne für die Beibehaltung der Re¬
serve ein; aber der Umstand, daß die Veteranen jetzt keine kriegsgewohnten
"Vieux" mehr waren, ließ nur lau für sie Partei ergreifen und so wurde der
Gesetzentwurf votirt. Ihm zufolge wurden die Veteranen aufgehoben
und dafür das Jahreseontingent auf 60,000 Mann, die Dienstzeit
auf 8 Jahr erhöht. Mit diesen Mitteln machte sich der Minister anheischig,
ein Armee-Effectiv von 400,000 Mann aufzustellen, welches er und alle mili¬
tärischen Autoritäten als genügend anerkannten.*)

Für die Vermehrung des Contingents war als Grund auch angeführt
worden, daß die Zahl der Dienstuntauglichen sich sehr viel größer er¬
wiese, als man angenommen habe; in noch höherem Grade jedoch als die
Untauglich keit erwies sich die Unlust zum Dienst dem Heere schädlich.
Schon jetzt zeigte sich wieder die Verderbniß des Stellvertretersystems.
Der bereits citirte deutsche Sachkundige von 1823^) bemerkt hierüber: "Sehr




") N. lo "tuo d'^umalo a. a. O.
") Militär-Wochenblatt a. a. O.

Heer doch in einer immerhin günstigeren Stimmung zurück. Der Sieg ver¬
söhnte die Truppen einigermaßen mit der neuen Fahne, und die Verschwörung
hörte wenigstens auf, anne zu sein. Daß sie latent weiter lebte, bewies die
Juli-Revolution.

Wenn sich die Armee während des spanischen Feldzugs brauchbar ge¬
zeigt, so galt dies nicht von den Reserven. Die Institution der Veteranen
hatte nicht gehalten, was man sich von ihr versprach. Einberufen waren nur
die von der Classe 1816; viele aber waren ausgeblieben und die, welche
kamen, zeigten große Unzufriedenheit. — Es scheint sehr schwierig zu sein, den
Franzosen überhaupt den Unterschied zwischen provisorischen und definitiven
Urlaub klar zu machen, und damals hatten die Veteranen allerdings nicht
nur einen Urlaubspaß, sondern eine lidöration in der Hand, welche das Gesetz
von 1818 erst nachträglich rückgängig gemacht. Außerdem war der Krieg
gegen Spanien unpopulär und galt für unbedeutend, sodaß die Veteranen
sich wunderten, wegen einer solchen Kleinigkeit einberufen zu sein. Durch
eine einigermaßen willkürliche Auslegung des Gesetzes waren dann die Ve¬
teranen in die Regimenter eingestellt, gleichzeitig aber, aus Rücksicht auf eben
jenes Gesetz in den Depots zurückbehalten worden, was denn wieder einen
neuen Grund des Mißvergnügens abgab. — Statt sich nun zu sagen, daß
dieser erste Versuch vorzugsweise in Folge der halben Maßregeln so schlecht
ausgefallen und jedenfalls nicht maßgebend sein könne, verlor die Regierung
alles Zutrauen zu den Veteranen und legte der Kammer einen Gesetzentwurf
zur Abänderung des Artikels IV des Heergesetzes von 1818 vor. — Saint-
Cyr und die Linke traten zwar auf der Tribüne für die Beibehaltung der Re¬
serve ein; aber der Umstand, daß die Veteranen jetzt keine kriegsgewohnten
„Vieux" mehr waren, ließ nur lau für sie Partei ergreifen und so wurde der
Gesetzentwurf votirt. Ihm zufolge wurden die Veteranen aufgehoben
und dafür das Jahreseontingent auf 60,000 Mann, die Dienstzeit
auf 8 Jahr erhöht. Mit diesen Mitteln machte sich der Minister anheischig,
ein Armee-Effectiv von 400,000 Mann aufzustellen, welches er und alle mili¬
tärischen Autoritäten als genügend anerkannten.*)

Für die Vermehrung des Contingents war als Grund auch angeführt
worden, daß die Zahl der Dienstuntauglichen sich sehr viel größer er¬
wiese, als man angenommen habe; in noch höherem Grade jedoch als die
Untauglich keit erwies sich die Unlust zum Dienst dem Heere schädlich.
Schon jetzt zeigte sich wieder die Verderbniß des Stellvertretersystems.
Der bereits citirte deutsche Sachkundige von 1823^) bemerkt hierüber: „Sehr




") N. lo «tuo d'^umalo a. a. O.
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[0450] Heer doch in einer immerhin günstigeren Stimmung zurück. Der Sieg ver¬ söhnte die Truppen einigermaßen mit der neuen Fahne, und die Verschwörung hörte wenigstens auf, anne zu sein. Daß sie latent weiter lebte, bewies die Juli-Revolution. Wenn sich die Armee während des spanischen Feldzugs brauchbar ge¬ zeigt, so galt dies nicht von den Reserven. Die Institution der Veteranen hatte nicht gehalten, was man sich von ihr versprach. Einberufen waren nur die von der Classe 1816; viele aber waren ausgeblieben und die, welche kamen, zeigten große Unzufriedenheit. — Es scheint sehr schwierig zu sein, den Franzosen überhaupt den Unterschied zwischen provisorischen und definitiven Urlaub klar zu machen, und damals hatten die Veteranen allerdings nicht nur einen Urlaubspaß, sondern eine lidöration in der Hand, welche das Gesetz von 1818 erst nachträglich rückgängig gemacht. Außerdem war der Krieg gegen Spanien unpopulär und galt für unbedeutend, sodaß die Veteranen sich wunderten, wegen einer solchen Kleinigkeit einberufen zu sein. Durch eine einigermaßen willkürliche Auslegung des Gesetzes waren dann die Ve¬ teranen in die Regimenter eingestellt, gleichzeitig aber, aus Rücksicht auf eben jenes Gesetz in den Depots zurückbehalten worden, was denn wieder einen neuen Grund des Mißvergnügens abgab. — Statt sich nun zu sagen, daß dieser erste Versuch vorzugsweise in Folge der halben Maßregeln so schlecht ausgefallen und jedenfalls nicht maßgebend sein könne, verlor die Regierung alles Zutrauen zu den Veteranen und legte der Kammer einen Gesetzentwurf zur Abänderung des Artikels IV des Heergesetzes von 1818 vor. — Saint- Cyr und die Linke traten zwar auf der Tribüne für die Beibehaltung der Re¬ serve ein; aber der Umstand, daß die Veteranen jetzt keine kriegsgewohnten „Vieux" mehr waren, ließ nur lau für sie Partei ergreifen und so wurde der Gesetzentwurf votirt. Ihm zufolge wurden die Veteranen aufgehoben und dafür das Jahreseontingent auf 60,000 Mann, die Dienstzeit auf 8 Jahr erhöht. Mit diesen Mitteln machte sich der Minister anheischig, ein Armee-Effectiv von 400,000 Mann aufzustellen, welches er und alle mili¬ tärischen Autoritäten als genügend anerkannten.*) Für die Vermehrung des Contingents war als Grund auch angeführt worden, daß die Zahl der Dienstuntauglichen sich sehr viel größer er¬ wiese, als man angenommen habe; in noch höherem Grade jedoch als die Untauglich keit erwies sich die Unlust zum Dienst dem Heere schädlich. Schon jetzt zeigte sich wieder die Verderbniß des Stellvertretersystems. Der bereits citirte deutsche Sachkundige von 1823^) bemerkt hierüber: „Sehr ") N. lo «tuo d'^umalo a. a. O. ") Militär-Wochenblatt a. a. O.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/450>, abgerufen am 22.07.2024.