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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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den nämlichen Kampfplatz, sodaß die Zweikämpfe zu förmlichen Gefechten
ausarteten.*) Daneben gingen, von den Einwirkungen eines geheimen Comi¬
tes geleitet, revolutionäre Verschwörungen ihren lichtscheuen Weg
und fanden, namentlich bei den Officieren niederer Grade und den Unter-
officieren, schnellen Eingang, weil die Reaction das Avancementgesetz Gouvion-
St. Cyr's und damit die Laufbahn derjenigen, die von der Pike auf gedient,
offen bedrohte. -- Es war die Zeit der italienischen und spanischen Militär¬
aufstände und die Gemüther waren durch den Tod Napoleon's in besonders
tiefe Erregung versetzt. Ueberall erzählte man, wie die letzten Worte des
Kaisers töte und armes gelautet hätten, überall trat in der Einbildung der
Menschen ein verklärter, vom Adler zur Sonne emporgehobener Napoleon an
die Stelle des brutalen Eroberers, unter dessen eherner Faust sie so lange
geseufzt. Die Conspirationen in der Armee trugen daher vorzugsweise die
napoleonische Farbe und richteten dann ihr Augenmerk auf den König von
Rom. Liberale dachten indessen auch damals wieder an den Herzog von
Orleans, andere, Radicalere an die Republik. -- Capitaine Nautik und Major
Berard waren die Rädelsführer der ersten wichtigen Verschwörung, der indessen
auch mehrere Generale und Obersten Vorschub leisteten. Man wollte sich
des Forts von Vincennes bemächtigen und von hier aus die Vorstädte von
Se. Antoine und Se. Marceau insurgiren, um mit Hülfe des Proletariats
die Bourbonen zu stürzen. Nur ein Zufall, das Springen eines Pulver¬
thurms, verhinderte die Ausführung.

Bald wurden neue Pläne gefaßt. Zwei geheime Gesellschaften, die "Ritter
der Freiheit", deren Mittelpunkt Saumur war, und die "Carbonari" zu Paris,
in deren "oberster Venta" die Generale Lafayette, Thiard und Tarayre saßen,
vereinigten sich zu einem gemeinsamen Unternehmen. Man wollte sich im
Decbr. 1821 der Festung Belfort bemächtigen, hier eine provisorische Regierung
einsetzen, sich dann auf Straßburg werfen und von dort den Aufstand in
ganz Ost-Frankreich organisiren, Zu gleicher Zeit sollte die Bewegung von
Saumur aus im Westen beginnen. Wieder verhinderte indessen ein Zufall,
die arglose Meldung eines nicht eingeweihten Unterofficiers, die den Com¬
mandanten von Belfort aufmerksam machte, das Gelingen des Plans. Die
Verschwörung kam zur gerichtlichen Untersuchung, und an diese letztere knüpft
sich eine Affaire der ekelhaftesten Art, welche ein schreckliches Licht auf die
Demoralisation in der Arme wirft. Ein abgedankter Oberstlieutenant Caron
versuchte, einige Unterofficiere der Besatzung von Colmar für die Befreiung
der Gefangenen zu gewinnen, welche wegen Theilnahme an der Verschwörung
von Belfort in Untersuchung saßen. Jene Unterofficiere gingen scheinbar



-) v. Rochau- Geschichte Frankreichs von 1814 bis I8S2.

den nämlichen Kampfplatz, sodaß die Zweikämpfe zu förmlichen Gefechten
ausarteten.*) Daneben gingen, von den Einwirkungen eines geheimen Comi¬
tes geleitet, revolutionäre Verschwörungen ihren lichtscheuen Weg
und fanden, namentlich bei den Officieren niederer Grade und den Unter-
officieren, schnellen Eingang, weil die Reaction das Avancementgesetz Gouvion-
St. Cyr's und damit die Laufbahn derjenigen, die von der Pike auf gedient,
offen bedrohte. — Es war die Zeit der italienischen und spanischen Militär¬
aufstände und die Gemüther waren durch den Tod Napoleon's in besonders
tiefe Erregung versetzt. Ueberall erzählte man, wie die letzten Worte des
Kaisers töte und armes gelautet hätten, überall trat in der Einbildung der
Menschen ein verklärter, vom Adler zur Sonne emporgehobener Napoleon an
die Stelle des brutalen Eroberers, unter dessen eherner Faust sie so lange
geseufzt. Die Conspirationen in der Armee trugen daher vorzugsweise die
napoleonische Farbe und richteten dann ihr Augenmerk auf den König von
Rom. Liberale dachten indessen auch damals wieder an den Herzog von
Orleans, andere, Radicalere an die Republik. — Capitaine Nautik und Major
Berard waren die Rädelsführer der ersten wichtigen Verschwörung, der indessen
auch mehrere Generale und Obersten Vorschub leisteten. Man wollte sich
des Forts von Vincennes bemächtigen und von hier aus die Vorstädte von
Se. Antoine und Se. Marceau insurgiren, um mit Hülfe des Proletariats
die Bourbonen zu stürzen. Nur ein Zufall, das Springen eines Pulver¬
thurms, verhinderte die Ausführung.

Bald wurden neue Pläne gefaßt. Zwei geheime Gesellschaften, die „Ritter
der Freiheit", deren Mittelpunkt Saumur war, und die „Carbonari" zu Paris,
in deren „oberster Venta" die Generale Lafayette, Thiard und Tarayre saßen,
vereinigten sich zu einem gemeinsamen Unternehmen. Man wollte sich im
Decbr. 1821 der Festung Belfort bemächtigen, hier eine provisorische Regierung
einsetzen, sich dann auf Straßburg werfen und von dort den Aufstand in
ganz Ost-Frankreich organisiren, Zu gleicher Zeit sollte die Bewegung von
Saumur aus im Westen beginnen. Wieder verhinderte indessen ein Zufall,
die arglose Meldung eines nicht eingeweihten Unterofficiers, die den Com¬
mandanten von Belfort aufmerksam machte, das Gelingen des Plans. Die
Verschwörung kam zur gerichtlichen Untersuchung, und an diese letztere knüpft
sich eine Affaire der ekelhaftesten Art, welche ein schreckliches Licht auf die
Demoralisation in der Arme wirft. Ein abgedankter Oberstlieutenant Caron
versuchte, einige Unterofficiere der Besatzung von Colmar für die Befreiung
der Gefangenen zu gewinnen, welche wegen Theilnahme an der Verschwörung
von Belfort in Untersuchung saßen. Jene Unterofficiere gingen scheinbar



-) v. Rochau- Geschichte Frankreichs von 1814 bis I8S2.
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[0447] den nämlichen Kampfplatz, sodaß die Zweikämpfe zu förmlichen Gefechten ausarteten.*) Daneben gingen, von den Einwirkungen eines geheimen Comi¬ tes geleitet, revolutionäre Verschwörungen ihren lichtscheuen Weg und fanden, namentlich bei den Officieren niederer Grade und den Unter- officieren, schnellen Eingang, weil die Reaction das Avancementgesetz Gouvion- St. Cyr's und damit die Laufbahn derjenigen, die von der Pike auf gedient, offen bedrohte. — Es war die Zeit der italienischen und spanischen Militär¬ aufstände und die Gemüther waren durch den Tod Napoleon's in besonders tiefe Erregung versetzt. Ueberall erzählte man, wie die letzten Worte des Kaisers töte und armes gelautet hätten, überall trat in der Einbildung der Menschen ein verklärter, vom Adler zur Sonne emporgehobener Napoleon an die Stelle des brutalen Eroberers, unter dessen eherner Faust sie so lange geseufzt. Die Conspirationen in der Armee trugen daher vorzugsweise die napoleonische Farbe und richteten dann ihr Augenmerk auf den König von Rom. Liberale dachten indessen auch damals wieder an den Herzog von Orleans, andere, Radicalere an die Republik. — Capitaine Nautik und Major Berard waren die Rädelsführer der ersten wichtigen Verschwörung, der indessen auch mehrere Generale und Obersten Vorschub leisteten. Man wollte sich des Forts von Vincennes bemächtigen und von hier aus die Vorstädte von Se. Antoine und Se. Marceau insurgiren, um mit Hülfe des Proletariats die Bourbonen zu stürzen. Nur ein Zufall, das Springen eines Pulver¬ thurms, verhinderte die Ausführung. Bald wurden neue Pläne gefaßt. Zwei geheime Gesellschaften, die „Ritter der Freiheit", deren Mittelpunkt Saumur war, und die „Carbonari" zu Paris, in deren „oberster Venta" die Generale Lafayette, Thiard und Tarayre saßen, vereinigten sich zu einem gemeinsamen Unternehmen. Man wollte sich im Decbr. 1821 der Festung Belfort bemächtigen, hier eine provisorische Regierung einsetzen, sich dann auf Straßburg werfen und von dort den Aufstand in ganz Ost-Frankreich organisiren, Zu gleicher Zeit sollte die Bewegung von Saumur aus im Westen beginnen. Wieder verhinderte indessen ein Zufall, die arglose Meldung eines nicht eingeweihten Unterofficiers, die den Com¬ mandanten von Belfort aufmerksam machte, das Gelingen des Plans. Die Verschwörung kam zur gerichtlichen Untersuchung, und an diese letztere knüpft sich eine Affaire der ekelhaftesten Art, welche ein schreckliches Licht auf die Demoralisation in der Arme wirft. Ein abgedankter Oberstlieutenant Caron versuchte, einige Unterofficiere der Besatzung von Colmar für die Befreiung der Gefangenen zu gewinnen, welche wegen Theilnahme an der Verschwörung von Belfort in Untersuchung saßen. Jene Unterofficiere gingen scheinbar -) v. Rochau- Geschichte Frankreichs von 1814 bis I8S2.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/447>, abgerufen am 22.12.2024.