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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Die Debatte des zweiten Tages bot sowenig, wie die am ersten, große
oder leidenschaftliche Momente. Aber sie förderte einige gute sachliche Aus¬
führungen zu Tage. Von dem Abgeordneten Meyer-Thorn wurde sehr gut
auf die Herausforderung der ultramontanen Redner entgegnet, doch die Be¬
schwerden gegen die Jesuiten zu substantiiren. Schon bei der früheren De¬
batte hatte der Abgeordnete Gneist, in seinem Bericht über die Petitionen für
und wider die Jesuiten, gesagt: "nicht einzelne Handlungen von heute und
gestern, sondern eine 300jährige Geschichte sei über den Orden zu befragen."
Diesmal fügte nun der Abgeordnete Meyer hinzu, es sei ein unzulässiger
Kunstgriff der Bertheidiger des Ordens, bei der vorliegenden Frage immer
nur die letzten 26 Jahre der Wirksamkeit des Ordens in Deutschland vor
Augen zu führen. In dieser Zeit hätten sie freilich auf deutschem Boden die
Criminaljustiz nicht herausgefordert. Aber man solle nach Belgien sehen, was
die Jesuiten in demselben Zeitraum aus diesem Staat gemacht.

Der ultramontane Generalstab des Centrums hielt sich an diesem Tage
im Hintergrunde. Es wurden nur einige Tirailleurs vorgeschickt, die es ledig¬
lich auf die formale Außenseite des Gesetzes absahen, ohne auf die Principien
zu zielen. So wollte der Freiherr von Arelim in dem Gesetzentwurf einen
Widerspruch finden gegen das Reservatrecht Bayerns, die Bestimmungen über
Heimath und Niederlassung selbstständig zu treffen. Es war dem bayerischen
Bundesbevollmächtigten leicht, nachzuweisen, daß dieses Neservatrecht unmög¬
lich dadurch geschmälert werden kann, daß die bayerische Regierung die Befug-
niß erhält, deutsche Reichsangehörige, die nicht in Bayern heimatsberechtigt
sind, sofern sie Mitglieder der Gesellschaft Jesu, aus Bayern auszuweisen.

Wenn die ultramontanen Principien an diesem Tage weder feurige Ver¬
kündigung noch künstliche Beschönigung fanden, so unterzog sich dafür der
Abgeordnete Gerstner der Mühe, die abgestandenen Doctrinen des Radicalis-
mus, die Freiheit czuauÄ meine und für Alles, gegen den Gesetzentwurf ins
Gefecht zu führen. Hatte doch Herr Wagener reactionären Namens die Re¬
gierungsvorlage vertheidigt. Beweis genug für einen gläubigen Radicalen,
daß hinter der Maßregel die Schlange lauert, wie man sie auch wende. Na¬
türlich wurden die Carlsbader Beschlüsse wieder aus dem Grabe hervorgeholt.
Es ist ein gutes Liedchen: "Was Du nicht willst, daß man Dir thu', das
füg' auch keinem Andern zu!" Aber doch nur ein Kinderliedchen. Nur der
in den Kinderschuhen stecken gebliebene Radicale mag in diesem Lied die Summe
politischer Weisheit erblicken. Einen Orden, dessen historische Lebensaufgabe
darin besteht, die freie Vernunft und ihre praktischen Werke, Staat und Gesetz,
durch Verfinsterung der Phantasie und Erregung der Sinnlichkeit an den
geistlichen Despotismus zu verrathen, kann man nicht nach der Weisheit
jenes Liedchens behandeln, das nur vor der muthwilligen Kränkung Unschul-


Die Debatte des zweiten Tages bot sowenig, wie die am ersten, große
oder leidenschaftliche Momente. Aber sie förderte einige gute sachliche Aus¬
führungen zu Tage. Von dem Abgeordneten Meyer-Thorn wurde sehr gut
auf die Herausforderung der ultramontanen Redner entgegnet, doch die Be¬
schwerden gegen die Jesuiten zu substantiiren. Schon bei der früheren De¬
batte hatte der Abgeordnete Gneist, in seinem Bericht über die Petitionen für
und wider die Jesuiten, gesagt: „nicht einzelne Handlungen von heute und
gestern, sondern eine 300jährige Geschichte sei über den Orden zu befragen."
Diesmal fügte nun der Abgeordnete Meyer hinzu, es sei ein unzulässiger
Kunstgriff der Bertheidiger des Ordens, bei der vorliegenden Frage immer
nur die letzten 26 Jahre der Wirksamkeit des Ordens in Deutschland vor
Augen zu führen. In dieser Zeit hätten sie freilich auf deutschem Boden die
Criminaljustiz nicht herausgefordert. Aber man solle nach Belgien sehen, was
die Jesuiten in demselben Zeitraum aus diesem Staat gemacht.

Der ultramontane Generalstab des Centrums hielt sich an diesem Tage
im Hintergrunde. Es wurden nur einige Tirailleurs vorgeschickt, die es ledig¬
lich auf die formale Außenseite des Gesetzes absahen, ohne auf die Principien
zu zielen. So wollte der Freiherr von Arelim in dem Gesetzentwurf einen
Widerspruch finden gegen das Reservatrecht Bayerns, die Bestimmungen über
Heimath und Niederlassung selbstständig zu treffen. Es war dem bayerischen
Bundesbevollmächtigten leicht, nachzuweisen, daß dieses Neservatrecht unmög¬
lich dadurch geschmälert werden kann, daß die bayerische Regierung die Befug-
niß erhält, deutsche Reichsangehörige, die nicht in Bayern heimatsberechtigt
sind, sofern sie Mitglieder der Gesellschaft Jesu, aus Bayern auszuweisen.

Wenn die ultramontanen Principien an diesem Tage weder feurige Ver¬
kündigung noch künstliche Beschönigung fanden, so unterzog sich dafür der
Abgeordnete Gerstner der Mühe, die abgestandenen Doctrinen des Radicalis-
mus, die Freiheit czuauÄ meine und für Alles, gegen den Gesetzentwurf ins
Gefecht zu führen. Hatte doch Herr Wagener reactionären Namens die Re¬
gierungsvorlage vertheidigt. Beweis genug für einen gläubigen Radicalen,
daß hinter der Maßregel die Schlange lauert, wie man sie auch wende. Na¬
türlich wurden die Carlsbader Beschlüsse wieder aus dem Grabe hervorgeholt.
Es ist ein gutes Liedchen: „Was Du nicht willst, daß man Dir thu', das
füg' auch keinem Andern zu!" Aber doch nur ein Kinderliedchen. Nur der
in den Kinderschuhen stecken gebliebene Radicale mag in diesem Lied die Summe
politischer Weisheit erblicken. Einen Orden, dessen historische Lebensaufgabe
darin besteht, die freie Vernunft und ihre praktischen Werke, Staat und Gesetz,
durch Verfinsterung der Phantasie und Erregung der Sinnlichkeit an den
geistlichen Despotismus zu verrathen, kann man nicht nach der Weisheit
jenes Liedchens behandeln, das nur vor der muthwilligen Kränkung Unschul-


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[0044] Die Debatte des zweiten Tages bot sowenig, wie die am ersten, große oder leidenschaftliche Momente. Aber sie förderte einige gute sachliche Aus¬ führungen zu Tage. Von dem Abgeordneten Meyer-Thorn wurde sehr gut auf die Herausforderung der ultramontanen Redner entgegnet, doch die Be¬ schwerden gegen die Jesuiten zu substantiiren. Schon bei der früheren De¬ batte hatte der Abgeordnete Gneist, in seinem Bericht über die Petitionen für und wider die Jesuiten, gesagt: „nicht einzelne Handlungen von heute und gestern, sondern eine 300jährige Geschichte sei über den Orden zu befragen." Diesmal fügte nun der Abgeordnete Meyer hinzu, es sei ein unzulässiger Kunstgriff der Bertheidiger des Ordens, bei der vorliegenden Frage immer nur die letzten 26 Jahre der Wirksamkeit des Ordens in Deutschland vor Augen zu führen. In dieser Zeit hätten sie freilich auf deutschem Boden die Criminaljustiz nicht herausgefordert. Aber man solle nach Belgien sehen, was die Jesuiten in demselben Zeitraum aus diesem Staat gemacht. Der ultramontane Generalstab des Centrums hielt sich an diesem Tage im Hintergrunde. Es wurden nur einige Tirailleurs vorgeschickt, die es ledig¬ lich auf die formale Außenseite des Gesetzes absahen, ohne auf die Principien zu zielen. So wollte der Freiherr von Arelim in dem Gesetzentwurf einen Widerspruch finden gegen das Reservatrecht Bayerns, die Bestimmungen über Heimath und Niederlassung selbstständig zu treffen. Es war dem bayerischen Bundesbevollmächtigten leicht, nachzuweisen, daß dieses Neservatrecht unmög¬ lich dadurch geschmälert werden kann, daß die bayerische Regierung die Befug- niß erhält, deutsche Reichsangehörige, die nicht in Bayern heimatsberechtigt sind, sofern sie Mitglieder der Gesellschaft Jesu, aus Bayern auszuweisen. Wenn die ultramontanen Principien an diesem Tage weder feurige Ver¬ kündigung noch künstliche Beschönigung fanden, so unterzog sich dafür der Abgeordnete Gerstner der Mühe, die abgestandenen Doctrinen des Radicalis- mus, die Freiheit czuauÄ meine und für Alles, gegen den Gesetzentwurf ins Gefecht zu führen. Hatte doch Herr Wagener reactionären Namens die Re¬ gierungsvorlage vertheidigt. Beweis genug für einen gläubigen Radicalen, daß hinter der Maßregel die Schlange lauert, wie man sie auch wende. Na¬ türlich wurden die Carlsbader Beschlüsse wieder aus dem Grabe hervorgeholt. Es ist ein gutes Liedchen: „Was Du nicht willst, daß man Dir thu', das füg' auch keinem Andern zu!" Aber doch nur ein Kinderliedchen. Nur der in den Kinderschuhen stecken gebliebene Radicale mag in diesem Lied die Summe politischer Weisheit erblicken. Einen Orden, dessen historische Lebensaufgabe darin besteht, die freie Vernunft und ihre praktischen Werke, Staat und Gesetz, durch Verfinsterung der Phantasie und Erregung der Sinnlichkeit an den geistlichen Despotismus zu verrathen, kann man nicht nach der Weisheit jenes Liedchens behandeln, das nur vor der muthwilligen Kränkung Unschul-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/44>, abgerufen am 22.07.2024.