Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.kommt sicherlich heran, daß russisch als dritte Sprache neben jenen beiden in Freilich wir geben zu, daß es schwer ist in dem Rußland Alexander's II. Sein Sohn, Kaiser Alexander II., hat wohl auch die schließliche Ausgabe Es ist nicht leicht für den Westeuropäer, der unter konstitutioneller Herr¬ kommt sicherlich heran, daß russisch als dritte Sprache neben jenen beiden in Freilich wir geben zu, daß es schwer ist in dem Rußland Alexander's II. Sein Sohn, Kaiser Alexander II., hat wohl auch die schließliche Ausgabe Es ist nicht leicht für den Westeuropäer, der unter konstitutioneller Herr¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0432" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128360"/> <p xml:id="ID_1469" prev="#ID_1468"> kommt sicherlich heran, daß russisch als dritte Sprache neben jenen beiden in<lb/> deutschen Schulen gelehrt wird, daß man in Deutschland Beachtung der<lb/> Sprache schenkt, welche für 80 Millionen Slaven giltig ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1470"> Freilich wir geben zu, daß es schwer ist in dem Rußland Alexander's II.<lb/> das Rußland Katharina's II. oder selbst das Nicolaus' I. zu erkennen. Wie<lb/> lange besteht das Reich denn? Peter der Große taufte die Ration mit Blut,<lb/> gab ihr einen Namen, eine Heimath. Er zeichnete mit rohen Linien erst die<lb/> Grenzen des gewaltigen Reichs vor, nicht minder auch dessen künftige Auf¬<lb/> gaben. Katharina II. Machte ein halbes Jahrhundert später sich zur Voll¬<lb/> zieherin der Vorschriften Peter's, sie verstand es seine Politik zu interpretiren<lb/> und die Nachbarn im Osten wie im Westen zu zermalmen oder zu terrorisiren.<lb/> Auch Nicolaus drängte in diesen Bahnen vorwärts, die seine großen Vor¬<lb/> gänger auf dem Throne eingeschlagen hatten; er versuchte Rußlands Mission<lb/> mit dem Schwerte zu vervollständigen, aber der Versuch kostete ihm das Leben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1471"> Sein Sohn, Kaiser Alexander II., hat wohl auch die schließliche Ausgabe<lb/> des Czarenreichs im Auge behalten, aber er hat den Beweis geliefert, was<lb/> aus Rußland im Frieden und mit Enthaltsamkeit gemacht werden kann.<lb/> Nicht jeder Souverän, und am wenigsten ein autokratischer Souverän, kann<lb/> ruhig zuschauen, wenn Schlachten wie die bet Solserino, Sadowa und Sedan<lb/> geschlagen werden; aber Alexander II. that es. Er verzichtete darauf, Oester¬<lb/> reichs Undankbarkeit im günstigen Momente zu bestrafen; er ließ es geschehen,<lb/> daß ein Hohenzoller den rumänischen Thron bestieg: er bot den Polen die<lb/> versöhnende Hand und ging erst hart vor, nachdem jene zurückgestoßen worden<lb/> war. Heute ist es aber trotz alledem keine Frage mehr, daß der friedfertige<lb/> Alexander einen großen Einfluß in Europa und Asien gewonnen hat, daß er<lb/> am Bosporus mehr zu sagen hat, als sein Vater und Vorgänger.</p><lb/> <p xml:id="ID_1472" next="#ID_1473"> Es ist nicht leicht für den Westeuropäer, der unter konstitutioneller Herr¬<lb/> schaft lebt oder für den Reisenden, der das weite Rußland vom Pontus bis<lb/> an das Eismeer und von der preußischen Grenze bis zum Ural durchstreift,<lb/> sich eine richtige Vorstellung von diesem absolut regierten Lande zu machen.<lb/> Die Welt hat von der Bauernemancipation gehört, die eine absolut noth¬<lb/> wendige Maßregel war und dem gegenwärtigen Czaren zum ewigen Ruhm ge¬<lb/> reichen muß, so sehr auch die Bevölkerung momentan darunter leidet, so viel Uebel¬<lb/> stände auch mit der Uebergangsperiode verknüpft sind. Große Colonisations-<lb/> pläne für den sibirischen Osten berechnet, Eisenbahn und Kanalprojecte von<lb/> erstaunlicher Kühnheit, Befreiung von den mannichfachsten Verkehrshindernissen<lb/> sind Schlagwörter, die an das Ohr Europas dringen. Dann vernimmt es<lb/> wieder stoßweise, unvermittelt, übertrieben oder entstellt die Gerüchte vom<lb/> „unterirdischen Rußland" von ganzen Gesellschaftsclassen, die in Sectenwesen<lb/> verfallen, allen socialen Einrichtungen der Gegenwart Hohn sprechen, von den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0432]
kommt sicherlich heran, daß russisch als dritte Sprache neben jenen beiden in
deutschen Schulen gelehrt wird, daß man in Deutschland Beachtung der
Sprache schenkt, welche für 80 Millionen Slaven giltig ist.
Freilich wir geben zu, daß es schwer ist in dem Rußland Alexander's II.
das Rußland Katharina's II. oder selbst das Nicolaus' I. zu erkennen. Wie
lange besteht das Reich denn? Peter der Große taufte die Ration mit Blut,
gab ihr einen Namen, eine Heimath. Er zeichnete mit rohen Linien erst die
Grenzen des gewaltigen Reichs vor, nicht minder auch dessen künftige Auf¬
gaben. Katharina II. Machte ein halbes Jahrhundert später sich zur Voll¬
zieherin der Vorschriften Peter's, sie verstand es seine Politik zu interpretiren
und die Nachbarn im Osten wie im Westen zu zermalmen oder zu terrorisiren.
Auch Nicolaus drängte in diesen Bahnen vorwärts, die seine großen Vor¬
gänger auf dem Throne eingeschlagen hatten; er versuchte Rußlands Mission
mit dem Schwerte zu vervollständigen, aber der Versuch kostete ihm das Leben.
Sein Sohn, Kaiser Alexander II., hat wohl auch die schließliche Ausgabe
des Czarenreichs im Auge behalten, aber er hat den Beweis geliefert, was
aus Rußland im Frieden und mit Enthaltsamkeit gemacht werden kann.
Nicht jeder Souverän, und am wenigsten ein autokratischer Souverän, kann
ruhig zuschauen, wenn Schlachten wie die bet Solserino, Sadowa und Sedan
geschlagen werden; aber Alexander II. that es. Er verzichtete darauf, Oester¬
reichs Undankbarkeit im günstigen Momente zu bestrafen; er ließ es geschehen,
daß ein Hohenzoller den rumänischen Thron bestieg: er bot den Polen die
versöhnende Hand und ging erst hart vor, nachdem jene zurückgestoßen worden
war. Heute ist es aber trotz alledem keine Frage mehr, daß der friedfertige
Alexander einen großen Einfluß in Europa und Asien gewonnen hat, daß er
am Bosporus mehr zu sagen hat, als sein Vater und Vorgänger.
Es ist nicht leicht für den Westeuropäer, der unter konstitutioneller Herr¬
schaft lebt oder für den Reisenden, der das weite Rußland vom Pontus bis
an das Eismeer und von der preußischen Grenze bis zum Ural durchstreift,
sich eine richtige Vorstellung von diesem absolut regierten Lande zu machen.
Die Welt hat von der Bauernemancipation gehört, die eine absolut noth¬
wendige Maßregel war und dem gegenwärtigen Czaren zum ewigen Ruhm ge¬
reichen muß, so sehr auch die Bevölkerung momentan darunter leidet, so viel Uebel¬
stände auch mit der Uebergangsperiode verknüpft sind. Große Colonisations-
pläne für den sibirischen Osten berechnet, Eisenbahn und Kanalprojecte von
erstaunlicher Kühnheit, Befreiung von den mannichfachsten Verkehrshindernissen
sind Schlagwörter, die an das Ohr Europas dringen. Dann vernimmt es
wieder stoßweise, unvermittelt, übertrieben oder entstellt die Gerüchte vom
„unterirdischen Rußland" von ganzen Gesellschaftsclassen, die in Sectenwesen
verfallen, allen socialen Einrichtungen der Gegenwart Hohn sprechen, von den
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