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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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richte an das Cabinet von Washington sind mit Eigenlob so angefüllt gewe¬
sen, daß wir ihm wol keinen Weihrauch weiter zu streuen brauchen.

Die "Deutsche Pariser Zeitung", die im Beginn des Krieges hat ein¬
gehen müssen, wird wol nicht sobald wieder auftauchen. Der Deutschenhaß
ist zu rege und wird vorerst jede Gelegenheit ergreifen sich geltend zu machen.
Die Wiener Bäckereien und Bierbrauereien haben zu blühen nicht aufgehört.
Der "Wanderer" wird mit Begierde gelesen, da er antipreußisch ist, nicht so
die Pressen, "die Alte und die Neue Freie", obgleich Herr Friedländer aus vie¬
w. len Töpfen schmauste.




AuUand auf der DreiKaiserzusammenKunst.

Der Czar rüstet sich zur Reise nach Deutschland! Das ist das große
Ereigniß. welches hier die Gemüther bewegt. Und mit dem Czaren ist Ru߬
land, die Sympathieen des Landes sind bei seinem Herrscher und neigt er zu
Deutschland, so neigt sich trotz aller Widcrhaarigkeit gewisser Parteien auch
ganz Rußland dorthin. Aber erkennt man Rußland in Deutschland auch
recht? Beurtheilt man es nicht wiederholt falsch und wieder falsch, weiß man
nicht besser Bescheid dort in irgend einem transatlantischen Lande als im
Nachbarstaate? Das ist die fortdauernde Klage der national-russischen Presse,
das ist die Klage in vielen Privatgesprächen , und wir Deutschrussen müssen
leider oft diesen Klagen recht geben: daß noch kein richtiges Verständniß Ru߬
lands in Deutschland eingekehrt ist. ganz zu geschweigen von England, Frank¬
reich oder andern Ländern, die wenig oder nichts von uns wissen.

Aber die Erkenntniß muß doch durchbrechen. Es geht freilich nur lang¬
sam, aber an der Hand der gesteigerten Verkehrsverhältnisse, Angesichts solcher
Ereignisse wie des Besuchs der hervorragendsten deutschen Heeresführer am
Se. Georgsfeste hier oder unsres Czaren jetzt in Berlin, muß eine bessere
Vorstellung im deutschen Volke Platz greifen. Das Scherzwort "Krätze den
Russen und du findest den Tartaren" ist nicht mehr anwendbar. Rußland
besitzt heute eine eigene Malerschule, seine Bildhauer meißeln den carrarischen
Marmor so gut wie die Italiener und unsere Mosaikarbeiten stellen sich den
florentinischen an die Seite. Rußlands Literatur entwickelt sich kräftig und
wäre es nicht um der Lettern und der Sprache willen, sie würde in Deutsch¬
land beachtet werden, wie die französische oder englische Literatur. Die Zeit


richte an das Cabinet von Washington sind mit Eigenlob so angefüllt gewe¬
sen, daß wir ihm wol keinen Weihrauch weiter zu streuen brauchen.

Die „Deutsche Pariser Zeitung", die im Beginn des Krieges hat ein¬
gehen müssen, wird wol nicht sobald wieder auftauchen. Der Deutschenhaß
ist zu rege und wird vorerst jede Gelegenheit ergreifen sich geltend zu machen.
Die Wiener Bäckereien und Bierbrauereien haben zu blühen nicht aufgehört.
Der „Wanderer" wird mit Begierde gelesen, da er antipreußisch ist, nicht so
die Pressen, „die Alte und die Neue Freie", obgleich Herr Friedländer aus vie¬
w. len Töpfen schmauste.




AuUand auf der DreiKaiserzusammenKunst.

Der Czar rüstet sich zur Reise nach Deutschland! Das ist das große
Ereigniß. welches hier die Gemüther bewegt. Und mit dem Czaren ist Ru߬
land, die Sympathieen des Landes sind bei seinem Herrscher und neigt er zu
Deutschland, so neigt sich trotz aller Widcrhaarigkeit gewisser Parteien auch
ganz Rußland dorthin. Aber erkennt man Rußland in Deutschland auch
recht? Beurtheilt man es nicht wiederholt falsch und wieder falsch, weiß man
nicht besser Bescheid dort in irgend einem transatlantischen Lande als im
Nachbarstaate? Das ist die fortdauernde Klage der national-russischen Presse,
das ist die Klage in vielen Privatgesprächen , und wir Deutschrussen müssen
leider oft diesen Klagen recht geben: daß noch kein richtiges Verständniß Ru߬
lands in Deutschland eingekehrt ist. ganz zu geschweigen von England, Frank¬
reich oder andern Ländern, die wenig oder nichts von uns wissen.

Aber die Erkenntniß muß doch durchbrechen. Es geht freilich nur lang¬
sam, aber an der Hand der gesteigerten Verkehrsverhältnisse, Angesichts solcher
Ereignisse wie des Besuchs der hervorragendsten deutschen Heeresführer am
Se. Georgsfeste hier oder unsres Czaren jetzt in Berlin, muß eine bessere
Vorstellung im deutschen Volke Platz greifen. Das Scherzwort „Krätze den
Russen und du findest den Tartaren" ist nicht mehr anwendbar. Rußland
besitzt heute eine eigene Malerschule, seine Bildhauer meißeln den carrarischen
Marmor so gut wie die Italiener und unsere Mosaikarbeiten stellen sich den
florentinischen an die Seite. Rußlands Literatur entwickelt sich kräftig und
wäre es nicht um der Lettern und der Sprache willen, sie würde in Deutsch¬
land beachtet werden, wie die französische oder englische Literatur. Die Zeit


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[0431] richte an das Cabinet von Washington sind mit Eigenlob so angefüllt gewe¬ sen, daß wir ihm wol keinen Weihrauch weiter zu streuen brauchen. Die „Deutsche Pariser Zeitung", die im Beginn des Krieges hat ein¬ gehen müssen, wird wol nicht sobald wieder auftauchen. Der Deutschenhaß ist zu rege und wird vorerst jede Gelegenheit ergreifen sich geltend zu machen. Die Wiener Bäckereien und Bierbrauereien haben zu blühen nicht aufgehört. Der „Wanderer" wird mit Begierde gelesen, da er antipreußisch ist, nicht so die Pressen, „die Alte und die Neue Freie", obgleich Herr Friedländer aus vie¬ w. len Töpfen schmauste. AuUand auf der DreiKaiserzusammenKunst. Der Czar rüstet sich zur Reise nach Deutschland! Das ist das große Ereigniß. welches hier die Gemüther bewegt. Und mit dem Czaren ist Ru߬ land, die Sympathieen des Landes sind bei seinem Herrscher und neigt er zu Deutschland, so neigt sich trotz aller Widcrhaarigkeit gewisser Parteien auch ganz Rußland dorthin. Aber erkennt man Rußland in Deutschland auch recht? Beurtheilt man es nicht wiederholt falsch und wieder falsch, weiß man nicht besser Bescheid dort in irgend einem transatlantischen Lande als im Nachbarstaate? Das ist die fortdauernde Klage der national-russischen Presse, das ist die Klage in vielen Privatgesprächen , und wir Deutschrussen müssen leider oft diesen Klagen recht geben: daß noch kein richtiges Verständniß Ru߬ lands in Deutschland eingekehrt ist. ganz zu geschweigen von England, Frank¬ reich oder andern Ländern, die wenig oder nichts von uns wissen. Aber die Erkenntniß muß doch durchbrechen. Es geht freilich nur lang¬ sam, aber an der Hand der gesteigerten Verkehrsverhältnisse, Angesichts solcher Ereignisse wie des Besuchs der hervorragendsten deutschen Heeresführer am Se. Georgsfeste hier oder unsres Czaren jetzt in Berlin, muß eine bessere Vorstellung im deutschen Volke Platz greifen. Das Scherzwort „Krätze den Russen und du findest den Tartaren" ist nicht mehr anwendbar. Rußland besitzt heute eine eigene Malerschule, seine Bildhauer meißeln den carrarischen Marmor so gut wie die Italiener und unsere Mosaikarbeiten stellen sich den florentinischen an die Seite. Rußlands Literatur entwickelt sich kräftig und wäre es nicht um der Lettern und der Sprache willen, sie würde in Deutsch¬ land beachtet werden, wie die französische oder englische Literatur. Die Zeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/431>, abgerufen am 22.07.2024.