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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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zuckt, weil sie vom Fürsten Bismarck schlecht redet und vom "Militarismus"
für Deutschland nichts Gutes erwartet.

Aus den Briefen, die in den Tuilerien gefunden und der Oeffentlichkeit
übergeben worden sind, erhellt, daß viele Deutsche den gefallenen Kaiser um
dies oder jenes gebeten haben. Aber ist denn das zu verwundern? Ein
Bayer sagte mir im Anfange des Krieges: "Man muß ein Lump sein, um
jetzt nicht für die deutsche Sache anzuziehen." Dagegen scheint Herr Albert
Wolf der einzige Preuße gewesen zu sein, der sich zum Franzosen hat natu-
ralisiren lassen; aus Dankbarkeit sagt er, für die gastfreundliche Aufnahme,
die ihm in der französischen Literatur zu Theil geworden ist; wenn er aber
nie Deutsch geschrieben hat, so kann er sich über Deuschland auch nicht be¬
klagen. Sein fanatischer Patriotismus ist lange Zeit im Figaro gefeiert wor¬
den, so daß er sich während des Krieges unbedenklich nach Belgien als "Neu¬
traler" in Sicherheit bringen konnte. Nach seiner Rückkehr hat er "die beiden
Kaiser" französisch herausgegeben. Er steht im Rufe ein Hermaphrodit zu
sein, tanzt aber mit Damen gerne. In hohem Grade verwunderlich ist das
Französischsprechen vieler Deutschen in Paris. Als ich nach dem Frieden
einen Korrespondenten einer süddeutschen Zeitung deutsch ansprach, antwortete
er mir in gebrochenem Französisch: "Ich will nicht mehr deutsch sprechen.
Die Deutschen haben sich zu schlecht benommen." Der Mann ist ein Oester¬
reicher, spricht französisch so gut er kann und fährt fort, Deutsch zu schreiben.
Auch einen Schuhmacher habe ich gehabt, dessen Französisch gar nicht zu ver¬
stehen war, zum Deutschsprechen aber war er trotzdem nicht zu bewegen. --
Nach 1866 haben sich einige Frankfurter Frankreich zum Vaterland gewählt,
aber es sind meistentheils Juden, die wahrscheinlich in Paris ihren Handel
besser zu treiben gehofft haben als daheim. Jetzt sind auch Elsasser in Menge
nach Paris wie nach anderen Städten Frankreichs gekommen. Es sind viele
Möbelhändler und Apotheker darunter. Man erkennt sie leicht an ihrem Ac-
cent, der sie als zum deutschen Stamm gehörige bezeichnet. Die französischen
Patrioten sehen zu spät ein, daß je mehr Leute aus Elsaß-Lothringen aus¬
wandern, die französisch gesinnt sind, desto leichter die Germanisirung dieser
Länder vor sich gehen wird.

Die Deutschen sind bekanntlich im Anfange des Krieges aus Paris aus¬
gewiesen worden, haben eine Geldentschädigung dafür bekommen, sind aber
nicht alle zurückgekommen. Die Straßenfeger sind nicht mehr angestellt wor¬
den und die Handelshäuser haben aus Patriotismus, Haß und Rachsucht ihre
deutschen Beamten nicht wieder angenommen. Oesterreichische Unterthanen
sind von allen diesen Maßregeln ausgenommen worden und diese Ausnahme
haben sich viele zu nutze gemacht, die nicht an der Leitha geboren sind. Die
zwei deutschen Buchhandelsfirmen, die seit so vielen Jahren in Paris existiren,


zuckt, weil sie vom Fürsten Bismarck schlecht redet und vom „Militarismus"
für Deutschland nichts Gutes erwartet.

Aus den Briefen, die in den Tuilerien gefunden und der Oeffentlichkeit
übergeben worden sind, erhellt, daß viele Deutsche den gefallenen Kaiser um
dies oder jenes gebeten haben. Aber ist denn das zu verwundern? Ein
Bayer sagte mir im Anfange des Krieges: „Man muß ein Lump sein, um
jetzt nicht für die deutsche Sache anzuziehen." Dagegen scheint Herr Albert
Wolf der einzige Preuße gewesen zu sein, der sich zum Franzosen hat natu-
ralisiren lassen; aus Dankbarkeit sagt er, für die gastfreundliche Aufnahme,
die ihm in der französischen Literatur zu Theil geworden ist; wenn er aber
nie Deutsch geschrieben hat, so kann er sich über Deuschland auch nicht be¬
klagen. Sein fanatischer Patriotismus ist lange Zeit im Figaro gefeiert wor¬
den, so daß er sich während des Krieges unbedenklich nach Belgien als „Neu¬
traler" in Sicherheit bringen konnte. Nach seiner Rückkehr hat er „die beiden
Kaiser" französisch herausgegeben. Er steht im Rufe ein Hermaphrodit zu
sein, tanzt aber mit Damen gerne. In hohem Grade verwunderlich ist das
Französischsprechen vieler Deutschen in Paris. Als ich nach dem Frieden
einen Korrespondenten einer süddeutschen Zeitung deutsch ansprach, antwortete
er mir in gebrochenem Französisch: „Ich will nicht mehr deutsch sprechen.
Die Deutschen haben sich zu schlecht benommen." Der Mann ist ein Oester¬
reicher, spricht französisch so gut er kann und fährt fort, Deutsch zu schreiben.
Auch einen Schuhmacher habe ich gehabt, dessen Französisch gar nicht zu ver¬
stehen war, zum Deutschsprechen aber war er trotzdem nicht zu bewegen. —
Nach 1866 haben sich einige Frankfurter Frankreich zum Vaterland gewählt,
aber es sind meistentheils Juden, die wahrscheinlich in Paris ihren Handel
besser zu treiben gehofft haben als daheim. Jetzt sind auch Elsasser in Menge
nach Paris wie nach anderen Städten Frankreichs gekommen. Es sind viele
Möbelhändler und Apotheker darunter. Man erkennt sie leicht an ihrem Ac-
cent, der sie als zum deutschen Stamm gehörige bezeichnet. Die französischen
Patrioten sehen zu spät ein, daß je mehr Leute aus Elsaß-Lothringen aus¬
wandern, die französisch gesinnt sind, desto leichter die Germanisirung dieser
Länder vor sich gehen wird.

Die Deutschen sind bekanntlich im Anfange des Krieges aus Paris aus¬
gewiesen worden, haben eine Geldentschädigung dafür bekommen, sind aber
nicht alle zurückgekommen. Die Straßenfeger sind nicht mehr angestellt wor¬
den und die Handelshäuser haben aus Patriotismus, Haß und Rachsucht ihre
deutschen Beamten nicht wieder angenommen. Oesterreichische Unterthanen
sind von allen diesen Maßregeln ausgenommen worden und diese Ausnahme
haben sich viele zu nutze gemacht, die nicht an der Leitha geboren sind. Die
zwei deutschen Buchhandelsfirmen, die seit so vielen Jahren in Paris existiren,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/429>, abgerufen am 22.07.2024.