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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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kümmerter Fichten, -- die Gegend gibt nichts zu sehen, nichts zu denken.
Da steigt vor uns ein Gebäude von mächtigem Umfang auf, welches den
höchsten Punkt der Gegend einnehmend, das Flachland rings umher beherrscht,
es ist der uralte Havelberger Dom.

Durch eine mit blühenden Gärten und mit freundlichen, bescheidenen
Landhäusern geschmückte Straße steigen wir auf zu dem ehrwürdigen Kirchen¬
gebäude. Diese hohe Kathedrale ohne Thurmesschmuck, die uns ihr breites
feldsteinernes Glockenhaus entgegenstreckt, weist auf ferne, kriegerische Zeiten
zurück. Um diese Mauern ist auch in der That oft genug Kampfruf und
Schwertesschlag erklungen; manch blühendes deutsches und slavisches Helden¬
leben ist hier oben auf der Höhe, nach heißem Streite niedergesunken und in
den Staub.

Ein überraschendes Bild eröffnet sich uns, wenn wir in den Süden des
Kirchengebäudes treten. Fast senkrecht fällt der Domberg in die Havelbucht
nieder, blühendes Gesträuch klettert von unten bis an den Scheitel der Anhöhe
herauf und der schimmernde Schmuck blühender Obstbäume deckt unten die
Berggärten. Vor uns liegt auf einer Havelinsel die Stadt; weithin spannt
sich zwischen,ihr und dem Domberg die Brücke über den prächtigen Strom.
Liegt die volle Morgensonne über der Landschaft, so erglänzt der breite
Wasserspiegel wie flüssiges Gold, die grell beschienenen Segel blitzen weithin
durch den Morgenduft wie Silberfische in krystallener Fluth. Hellgrüne
Flußwiesen und, durch die licht bestandenen Waldungen hindurchschimmernd,
die Wasserflächen der Elbarme grüßen uns von drüben her. Unten aber in
der Stadt geht's gar rührig zu, sie ersteht ja wieder aus der Brandasche
jener Februarnacht von 1870! Es waren Stunden von furchtbarer Größe, als
damals die Thurmglocken hüben vom Dom und drüben von Se. Lorenz
dumpf in die stille Nacht hinausschallten, die unbezähmbaren Flammen lodernd
aufwallten und auf dem spiegelglatten Eise ihren blutrothen Widerschein
fanden. Um die Kirche in der Mitte aber erheben sich jetzt schon wieder die
Häuser, schmucker und freundlicher als zuvor.

Es war nicht das erste Mal, daß sich hier eine so schreckliche Katastrophe
abspielte, -- die alten Zeiten wissen viel derartiges zu erzählen. Nicht gar
weit ist die Wahlstatt Prizlawa, auf welcher blutige Wendenschlachten ge¬
schlagen worden sind. Oft haben die Slaven die Brandfackel in das hölzerne
Kirchengebäude geworfen ; oft haben deutsche Könige, Konrad der Nheinfranke
und Heinrich der Schwarze, das Schwert hier wüthen lassen unter den An¬
hängern Triglaff's und Gerowit's. Treten wir denn ein durch das mit der
segnenden Gestalt des Erlösers geschmückte Domportal in die Kathedrale, die
von neun bewegten Jahrhunderten zu uns spricht und auch den Staub von
Ballenstädtern enthält.


kümmerter Fichten, — die Gegend gibt nichts zu sehen, nichts zu denken.
Da steigt vor uns ein Gebäude von mächtigem Umfang auf, welches den
höchsten Punkt der Gegend einnehmend, das Flachland rings umher beherrscht,
es ist der uralte Havelberger Dom.

Durch eine mit blühenden Gärten und mit freundlichen, bescheidenen
Landhäusern geschmückte Straße steigen wir auf zu dem ehrwürdigen Kirchen¬
gebäude. Diese hohe Kathedrale ohne Thurmesschmuck, die uns ihr breites
feldsteinernes Glockenhaus entgegenstreckt, weist auf ferne, kriegerische Zeiten
zurück. Um diese Mauern ist auch in der That oft genug Kampfruf und
Schwertesschlag erklungen; manch blühendes deutsches und slavisches Helden¬
leben ist hier oben auf der Höhe, nach heißem Streite niedergesunken und in
den Staub.

Ein überraschendes Bild eröffnet sich uns, wenn wir in den Süden des
Kirchengebäudes treten. Fast senkrecht fällt der Domberg in die Havelbucht
nieder, blühendes Gesträuch klettert von unten bis an den Scheitel der Anhöhe
herauf und der schimmernde Schmuck blühender Obstbäume deckt unten die
Berggärten. Vor uns liegt auf einer Havelinsel die Stadt; weithin spannt
sich zwischen,ihr und dem Domberg die Brücke über den prächtigen Strom.
Liegt die volle Morgensonne über der Landschaft, so erglänzt der breite
Wasserspiegel wie flüssiges Gold, die grell beschienenen Segel blitzen weithin
durch den Morgenduft wie Silberfische in krystallener Fluth. Hellgrüne
Flußwiesen und, durch die licht bestandenen Waldungen hindurchschimmernd,
die Wasserflächen der Elbarme grüßen uns von drüben her. Unten aber in
der Stadt geht's gar rührig zu, sie ersteht ja wieder aus der Brandasche
jener Februarnacht von 1870! Es waren Stunden von furchtbarer Größe, als
damals die Thurmglocken hüben vom Dom und drüben von Se. Lorenz
dumpf in die stille Nacht hinausschallten, die unbezähmbaren Flammen lodernd
aufwallten und auf dem spiegelglatten Eise ihren blutrothen Widerschein
fanden. Um die Kirche in der Mitte aber erheben sich jetzt schon wieder die
Häuser, schmucker und freundlicher als zuvor.

Es war nicht das erste Mal, daß sich hier eine so schreckliche Katastrophe
abspielte, — die alten Zeiten wissen viel derartiges zu erzählen. Nicht gar
weit ist die Wahlstatt Prizlawa, auf welcher blutige Wendenschlachten ge¬
schlagen worden sind. Oft haben die Slaven die Brandfackel in das hölzerne
Kirchengebäude geworfen ; oft haben deutsche Könige, Konrad der Nheinfranke
und Heinrich der Schwarze, das Schwert hier wüthen lassen unter den An¬
hängern Triglaff's und Gerowit's. Treten wir denn ein durch das mit der
segnenden Gestalt des Erlösers geschmückte Domportal in die Kathedrale, die
von neun bewegten Jahrhunderten zu uns spricht und auch den Staub von
Ballenstädtern enthält.


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[0418] kümmerter Fichten, — die Gegend gibt nichts zu sehen, nichts zu denken. Da steigt vor uns ein Gebäude von mächtigem Umfang auf, welches den höchsten Punkt der Gegend einnehmend, das Flachland rings umher beherrscht, es ist der uralte Havelberger Dom. Durch eine mit blühenden Gärten und mit freundlichen, bescheidenen Landhäusern geschmückte Straße steigen wir auf zu dem ehrwürdigen Kirchen¬ gebäude. Diese hohe Kathedrale ohne Thurmesschmuck, die uns ihr breites feldsteinernes Glockenhaus entgegenstreckt, weist auf ferne, kriegerische Zeiten zurück. Um diese Mauern ist auch in der That oft genug Kampfruf und Schwertesschlag erklungen; manch blühendes deutsches und slavisches Helden¬ leben ist hier oben auf der Höhe, nach heißem Streite niedergesunken und in den Staub. Ein überraschendes Bild eröffnet sich uns, wenn wir in den Süden des Kirchengebäudes treten. Fast senkrecht fällt der Domberg in die Havelbucht nieder, blühendes Gesträuch klettert von unten bis an den Scheitel der Anhöhe herauf und der schimmernde Schmuck blühender Obstbäume deckt unten die Berggärten. Vor uns liegt auf einer Havelinsel die Stadt; weithin spannt sich zwischen,ihr und dem Domberg die Brücke über den prächtigen Strom. Liegt die volle Morgensonne über der Landschaft, so erglänzt der breite Wasserspiegel wie flüssiges Gold, die grell beschienenen Segel blitzen weithin durch den Morgenduft wie Silberfische in krystallener Fluth. Hellgrüne Flußwiesen und, durch die licht bestandenen Waldungen hindurchschimmernd, die Wasserflächen der Elbarme grüßen uns von drüben her. Unten aber in der Stadt geht's gar rührig zu, sie ersteht ja wieder aus der Brandasche jener Februarnacht von 1870! Es waren Stunden von furchtbarer Größe, als damals die Thurmglocken hüben vom Dom und drüben von Se. Lorenz dumpf in die stille Nacht hinausschallten, die unbezähmbaren Flammen lodernd aufwallten und auf dem spiegelglatten Eise ihren blutrothen Widerschein fanden. Um die Kirche in der Mitte aber erheben sich jetzt schon wieder die Häuser, schmucker und freundlicher als zuvor. Es war nicht das erste Mal, daß sich hier eine so schreckliche Katastrophe abspielte, — die alten Zeiten wissen viel derartiges zu erzählen. Nicht gar weit ist die Wahlstatt Prizlawa, auf welcher blutige Wendenschlachten ge¬ schlagen worden sind. Oft haben die Slaven die Brandfackel in das hölzerne Kirchengebäude geworfen ; oft haben deutsche Könige, Konrad der Nheinfranke und Heinrich der Schwarze, das Schwert hier wüthen lassen unter den An¬ hängern Triglaff's und Gerowit's. Treten wir denn ein durch das mit der segnenden Gestalt des Erlösers geschmückte Domportal in die Kathedrale, die von neun bewegten Jahrhunderten zu uns spricht und auch den Staub von Ballenstädtern enthält.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/418>, abgerufen am 03.07.2024.