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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Schreckenszeit die innere Stadt nicht mehr gesehen. Auf dem Carousselplatz
trat ihnen Napoleon entgegen. In finsteren republikanischen Wendungen
sprach ihn ihr Wortführer um Waffen an; aber er schloß: "Ist dann der
Sieg erfochten durch unsern Muth und Ihr Genie, so kehren wir freudig an
unsere Arbeit zurück" Der Kaiser antwortete mit einigen Gemeinplätzen, war
jedoch tief verstimmt und äußerte dem Grafen Mol6: "Wenn ich gewußt, daß
ich so tief steigen müßte, ich wäre auf Elba geblieben!" Die versprochenen
Waffen wurden den Vorstädten nicht geliefert -- vielleicht aus Mangel daran;
vielleicht aus Mißtrauen. Die Truppen, welche außerhalb des Hofes aufge¬
stellt gewesen, waren ergrimmt darüber, daß man sie für eine Ehrenwache
dieses Pöbels habe ansehen können; in allen royalistischen Kreisen jubelte man:
nun habe sich der Kaiser gemein gemacht, und für die alten Jakobiner, die
der Consul einst zu Paaren getrieben, war es ein Triumph, jetzt den Tuile-
rien als Helfer in der Noth zu erscheinen*). -- Was wir schon früher gesagt,
bestätigt sich auch hier: Napoleon hat die Revolution, auch in militärischer
Beziehung, keineswegs abgeschlossen. Sein Weg führt genau zu seinem Aus¬
gangspunkt zurück. Der Appel an die rohe Kraft des Pariser Pöbels --
dem "Dmosreur pgr ig. Orges 6s visu" stand er sonderbar zu Gesicht, und
es mag dahin gestellt bleiben, ob die Feier des Maifeldes sich besser für
ihn eignete. Im Theaterkostüm eines altorientalischen Königs erschien er auf
dem Marsfelde, um den Eid auf die Verfassung abzulegen**), die Fahnen der
Nationalgarde zu weihen und den Truppen ihre Adler zurück zu geben. Eine
Menge von Schwüren wurden hin und her gewechselt; aber die Feierlichkeit
ließ das versammelte Volk kalt und nur bei den hinzugezogenen Truppen rief
Napoleon durch wolangebrachte Worte einige Begeisterung hervor. "Nüch¬
terne Beobachter wurden durch die Ausbrüche des militärischen Enthusiasmus
an den Abschiedsgruß erinnert, welchen die Gladiatoren dem Kaiser Claudius
zunefen: of.Wg.i-, moriwri es L3.Iutg.lit!"***)

Der Kaiser rechnete darauf, bis zum October die 800,000 Mann auf¬
stellen zu können, welche aufzustellen allerdings möglich gewesen wäre und
welche er zur Bekämpfung der Verbündeten für nothwendig erachtete. Diese
jedoch handelten schneller, als er irgend vorausgesetzt, und er benutzte, wie schon
angedeutet, die drei Monate, welche ihm thatsächlich als Frist blieben, keines¬
wegs mit der seiner Lage entsprechenden Energie. -- Wir haben gesehen, daß
die von der Restauration zurückgelassene Armee aus 223,972 Mann bestand.





Ott a. a. O.
Die Verfassung war "von der Nation" votirt. Es lagen vor 1,288,357 bejahende,
4207 verneinende Stimmen von Bürgern, von der Armee 222,000 Ja, 320 Nein, von der
Marine 22,000 Ja, 275 Nein.
v. Nochau c>. a. O.

Schreckenszeit die innere Stadt nicht mehr gesehen. Auf dem Carousselplatz
trat ihnen Napoleon entgegen. In finsteren republikanischen Wendungen
sprach ihn ihr Wortführer um Waffen an; aber er schloß: „Ist dann der
Sieg erfochten durch unsern Muth und Ihr Genie, so kehren wir freudig an
unsere Arbeit zurück" Der Kaiser antwortete mit einigen Gemeinplätzen, war
jedoch tief verstimmt und äußerte dem Grafen Mol6: „Wenn ich gewußt, daß
ich so tief steigen müßte, ich wäre auf Elba geblieben!" Die versprochenen
Waffen wurden den Vorstädten nicht geliefert — vielleicht aus Mangel daran;
vielleicht aus Mißtrauen. Die Truppen, welche außerhalb des Hofes aufge¬
stellt gewesen, waren ergrimmt darüber, daß man sie für eine Ehrenwache
dieses Pöbels habe ansehen können; in allen royalistischen Kreisen jubelte man:
nun habe sich der Kaiser gemein gemacht, und für die alten Jakobiner, die
der Consul einst zu Paaren getrieben, war es ein Triumph, jetzt den Tuile-
rien als Helfer in der Noth zu erscheinen*). — Was wir schon früher gesagt,
bestätigt sich auch hier: Napoleon hat die Revolution, auch in militärischer
Beziehung, keineswegs abgeschlossen. Sein Weg führt genau zu seinem Aus¬
gangspunkt zurück. Der Appel an die rohe Kraft des Pariser Pöbels —
dem „Dmosreur pgr ig. Orges 6s visu" stand er sonderbar zu Gesicht, und
es mag dahin gestellt bleiben, ob die Feier des Maifeldes sich besser für
ihn eignete. Im Theaterkostüm eines altorientalischen Königs erschien er auf
dem Marsfelde, um den Eid auf die Verfassung abzulegen**), die Fahnen der
Nationalgarde zu weihen und den Truppen ihre Adler zurück zu geben. Eine
Menge von Schwüren wurden hin und her gewechselt; aber die Feierlichkeit
ließ das versammelte Volk kalt und nur bei den hinzugezogenen Truppen rief
Napoleon durch wolangebrachte Worte einige Begeisterung hervor. „Nüch¬
terne Beobachter wurden durch die Ausbrüche des militärischen Enthusiasmus
an den Abschiedsgruß erinnert, welchen die Gladiatoren dem Kaiser Claudius
zunefen: of.Wg.i-, moriwri es L3.Iutg.lit!"***)

Der Kaiser rechnete darauf, bis zum October die 800,000 Mann auf¬
stellen zu können, welche aufzustellen allerdings möglich gewesen wäre und
welche er zur Bekämpfung der Verbündeten für nothwendig erachtete. Diese
jedoch handelten schneller, als er irgend vorausgesetzt, und er benutzte, wie schon
angedeutet, die drei Monate, welche ihm thatsächlich als Frist blieben, keines¬
wegs mit der seiner Lage entsprechenden Energie. — Wir haben gesehen, daß
die von der Restauration zurückgelassene Armee aus 223,972 Mann bestand.





Ott a. a. O.
Die Verfassung war „von der Nation" votirt. Es lagen vor 1,288,357 bejahende,
4207 verneinende Stimmen von Bürgern, von der Armee 222,000 Ja, 320 Nein, von der
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[0412] Schreckenszeit die innere Stadt nicht mehr gesehen. Auf dem Carousselplatz trat ihnen Napoleon entgegen. In finsteren republikanischen Wendungen sprach ihn ihr Wortführer um Waffen an; aber er schloß: „Ist dann der Sieg erfochten durch unsern Muth und Ihr Genie, so kehren wir freudig an unsere Arbeit zurück" Der Kaiser antwortete mit einigen Gemeinplätzen, war jedoch tief verstimmt und äußerte dem Grafen Mol6: „Wenn ich gewußt, daß ich so tief steigen müßte, ich wäre auf Elba geblieben!" Die versprochenen Waffen wurden den Vorstädten nicht geliefert — vielleicht aus Mangel daran; vielleicht aus Mißtrauen. Die Truppen, welche außerhalb des Hofes aufge¬ stellt gewesen, waren ergrimmt darüber, daß man sie für eine Ehrenwache dieses Pöbels habe ansehen können; in allen royalistischen Kreisen jubelte man: nun habe sich der Kaiser gemein gemacht, und für die alten Jakobiner, die der Consul einst zu Paaren getrieben, war es ein Triumph, jetzt den Tuile- rien als Helfer in der Noth zu erscheinen*). — Was wir schon früher gesagt, bestätigt sich auch hier: Napoleon hat die Revolution, auch in militärischer Beziehung, keineswegs abgeschlossen. Sein Weg führt genau zu seinem Aus¬ gangspunkt zurück. Der Appel an die rohe Kraft des Pariser Pöbels — dem „Dmosreur pgr ig. Orges 6s visu" stand er sonderbar zu Gesicht, und es mag dahin gestellt bleiben, ob die Feier des Maifeldes sich besser für ihn eignete. Im Theaterkostüm eines altorientalischen Königs erschien er auf dem Marsfelde, um den Eid auf die Verfassung abzulegen**), die Fahnen der Nationalgarde zu weihen und den Truppen ihre Adler zurück zu geben. Eine Menge von Schwüren wurden hin und her gewechselt; aber die Feierlichkeit ließ das versammelte Volk kalt und nur bei den hinzugezogenen Truppen rief Napoleon durch wolangebrachte Worte einige Begeisterung hervor. „Nüch¬ terne Beobachter wurden durch die Ausbrüche des militärischen Enthusiasmus an den Abschiedsgruß erinnert, welchen die Gladiatoren dem Kaiser Claudius zunefen: of.Wg.i-, moriwri es L3.Iutg.lit!"***) Der Kaiser rechnete darauf, bis zum October die 800,000 Mann auf¬ stellen zu können, welche aufzustellen allerdings möglich gewesen wäre und welche er zur Bekämpfung der Verbündeten für nothwendig erachtete. Diese jedoch handelten schneller, als er irgend vorausgesetzt, und er benutzte, wie schon angedeutet, die drei Monate, welche ihm thatsächlich als Frist blieben, keines¬ wegs mit der seiner Lage entsprechenden Energie. — Wir haben gesehen, daß die von der Restauration zurückgelassene Armee aus 223,972 Mann bestand. Ott a. a. O. Die Verfassung war „von der Nation" votirt. Es lagen vor 1,288,357 bejahende, 4207 verneinende Stimmen von Bürgern, von der Armee 222,000 Ja, 320 Nein, von der Marine 22,000 Ja, 275 Nein. v. Nochau c>. a. O.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/412>, abgerufen am 24.07.2024.