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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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in den baltischen'Herzogtümern. Nirgends so wie dort ist die Landesver¬
tretung in diesen Dingen so ausschließlich auf sich angewiesen. Mit der
Staatsregierung dann Hand in Hand zu gehen, ist lange Jahre hindurch, so
ziemlich seit dem Regierungsantritt von Nikolaus, sehr schwierig gewesen
wegen der geraume Zeit verfolgten Russificirungstendenzen derselben. Es
dürfen ihr deshalb niemals die Vorarbeiten zu Gesetzen, namentlich auch nicht
die Abfassung der Entwürfe zu ihnen überlassen werden. Alles muß von den
Ständen allein besorgt werden. Diese treten aber nur alle zwei Jahre zu
Landtagen zusammen und deren Dauer ist weder verfassungsmäßig sehr lang,
noch können die Mitglieder lange ihren bürgerlichen Berufsgeschäften fern bleiben.
Die eingesetzten Commissionen haben ebenfalls mit besonderen Schwierigkeiten
bei ihren Vorarbeiten zu kämpfen, zumal da den livländischen Ständen Ver¬
öffentlichung ihrer Verhandlungen untersagt ist und sie deswegen der Unter¬
stützung durch die Presse, welche überdies unter Censur steht, zur Klärung
ihrer Ansichten entbehren. Das alles trägt zur Verzögerung der Reformen
bei. Außerdem besitzt der Livländer, wenn irgend eine deutsche Tugend, sicher¬
lich eine große Gründlichkeit. Diese Tugend ist denn auch bei den jetzt schon
acht Jahre währenden Vorberathungen und Vorarbeiten für die Steuerreform
reichlich geübt worden. Für den in diesen Tagen zusammengetretenen Landtag
ist die Angelegenheit indessen spruchreif.

Es stehen sich jetzt hauptsächlich zwei Parteien gegenüber, die eine ver¬
treten durch eine Commission des Landtags, die andere geführt von einem
hervorragenden Edelmann. Erstere fordert die Einführung einer neuen Grund¬
steuer, welche allen ländlichen Grundbesitzungen ohne Ausnahme auferlegt
werden soll, letztere dagegen die Einkommensteuer. Auf beiden Seiten stehen
gleich gute Patrioten; man ist ja einig über das zu erreichende Ziel, über
die Beschaffung der Mittel, um die materielle und Geistescultur des Landes
beträchtlich weiter zu heben, zugleich aber einig, daß man die Annäherung an
die undeutschen Urbewohner um einen bedeutenden Schritt fördern müsse, in¬
dem man dem Privilegium der Steuerfreiheit entsagt. Nur über den Weg
zu diesem Ziel ist man uneinig, und wie man schon bisher über ihn vielfach
in kleineren Versammlungen, in Broschüren und Denkschriften gestritten, so
Wird auch in dem bevorstehenden Landtage der Kampf lebhaft entbrennen.

Das Grundsteuer-Project nimmt eine theilweise Uebernahme der Haken¬
steuer auf das bisher steuerfreie Hofesland als Voraussetzung. Nach dieser
Ausgleichung soll sie als Reallast firirt werden. Die neue Grundsteuer soll
zur Grundlage das Reineinkommen aller Besitzer aus dem Grund und
Boden haben; als Maßstab für das Reineinkommen soll der Pachtwerth
der Grundstücke dienen. Bei den verpachteten Grundstücken ist dieser Werth
selbstverständlich durch die Pacht selbst gegeben; derjenige der unverpachteten


in den baltischen'Herzogtümern. Nirgends so wie dort ist die Landesver¬
tretung in diesen Dingen so ausschließlich auf sich angewiesen. Mit der
Staatsregierung dann Hand in Hand zu gehen, ist lange Jahre hindurch, so
ziemlich seit dem Regierungsantritt von Nikolaus, sehr schwierig gewesen
wegen der geraume Zeit verfolgten Russificirungstendenzen derselben. Es
dürfen ihr deshalb niemals die Vorarbeiten zu Gesetzen, namentlich auch nicht
die Abfassung der Entwürfe zu ihnen überlassen werden. Alles muß von den
Ständen allein besorgt werden. Diese treten aber nur alle zwei Jahre zu
Landtagen zusammen und deren Dauer ist weder verfassungsmäßig sehr lang,
noch können die Mitglieder lange ihren bürgerlichen Berufsgeschäften fern bleiben.
Die eingesetzten Commissionen haben ebenfalls mit besonderen Schwierigkeiten
bei ihren Vorarbeiten zu kämpfen, zumal da den livländischen Ständen Ver¬
öffentlichung ihrer Verhandlungen untersagt ist und sie deswegen der Unter¬
stützung durch die Presse, welche überdies unter Censur steht, zur Klärung
ihrer Ansichten entbehren. Das alles trägt zur Verzögerung der Reformen
bei. Außerdem besitzt der Livländer, wenn irgend eine deutsche Tugend, sicher¬
lich eine große Gründlichkeit. Diese Tugend ist denn auch bei den jetzt schon
acht Jahre währenden Vorberathungen und Vorarbeiten für die Steuerreform
reichlich geübt worden. Für den in diesen Tagen zusammengetretenen Landtag
ist die Angelegenheit indessen spruchreif.

Es stehen sich jetzt hauptsächlich zwei Parteien gegenüber, die eine ver¬
treten durch eine Commission des Landtags, die andere geführt von einem
hervorragenden Edelmann. Erstere fordert die Einführung einer neuen Grund¬
steuer, welche allen ländlichen Grundbesitzungen ohne Ausnahme auferlegt
werden soll, letztere dagegen die Einkommensteuer. Auf beiden Seiten stehen
gleich gute Patrioten; man ist ja einig über das zu erreichende Ziel, über
die Beschaffung der Mittel, um die materielle und Geistescultur des Landes
beträchtlich weiter zu heben, zugleich aber einig, daß man die Annäherung an
die undeutschen Urbewohner um einen bedeutenden Schritt fördern müsse, in¬
dem man dem Privilegium der Steuerfreiheit entsagt. Nur über den Weg
zu diesem Ziel ist man uneinig, und wie man schon bisher über ihn vielfach
in kleineren Versammlungen, in Broschüren und Denkschriften gestritten, so
Wird auch in dem bevorstehenden Landtage der Kampf lebhaft entbrennen.

Das Grundsteuer-Project nimmt eine theilweise Uebernahme der Haken¬
steuer auf das bisher steuerfreie Hofesland als Voraussetzung. Nach dieser
Ausgleichung soll sie als Reallast firirt werden. Die neue Grundsteuer soll
zur Grundlage das Reineinkommen aller Besitzer aus dem Grund und
Boden haben; als Maßstab für das Reineinkommen soll der Pachtwerth
der Grundstücke dienen. Bei den verpachteten Grundstücken ist dieser Werth
selbstverständlich durch die Pacht selbst gegeben; derjenige der unverpachteten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/40>, abgerufen am 22.07.2024.