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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Er hat nicht den Ehrgeiz, eine neue Litanei zu machen oder eine alte auszu¬
flicken. Sondern, sowahr Deine Seele lebt, die obigen räthselhaften Worte
starren in diesem Augenblicke wirklich und wahrhaftig den Wanderer vom
Zifferblatt einer großen Wanduhr an, welche sich im Hauptzimmer des Sanct
Bernhards-Klosters in Leicestershire befindet.

Vor acht Tagen etwa begab steh's, daß ich in der Stadt Leicester war und
ein paar freie Tage hatte. Der Oberkellner in meinem Gasthofe, der mir wie
ein Mensch aussah, welcher seit zwanzig Jahren von jedem Gast im Kaffee-
zimmer seinen Beitrag von Weisheit empfangen hat. wurde von mir um Rath
angegangen, ob es hier in der Nachbarschaft wohl einen Ort gäbe, zu welchem
ein Herr von soliden Sitten eine Abendwallfahrt unternehmen könnte. Er
schlug eine Tour nach dem Mount Samt Bernard vor. Mir gefiel der
Name. Er klang alpenhaft und rief Kindervorstellungen von fabelhaften
großen Hunden zurück. Ich fahre also nach dem Sanct Bernhards-Berge und
finde, daß der Ort ein Mönchskloster ist. Ich gestehe, mich verdroß das ein
wenig. Indeß, war ich einmal so weit gekommen, so mußte ich auch sehen,
was es zu sehen gab. Ich meldete mich um Einlaß in das Haus, ein Ge¬
bäude von gothischem Stil und sehr massivem Gefüge. Er wurde sofort ge¬
währt, und ich war noch nicht fünf Minuten drinnen, als ich die an der
Spitze dieser Mittheilung stehende gedruckte Bitte an Jefferson und Sohn
erblickte.

"Jefferson und Sohn, bittet für uns!"

"El der Tausend, was haben wir da für neue Heilige oder Götter?"
sagte ich zu meinem Führer, einem recht angenehmen Mann, der erstens in
eine ungeheure blaue Brille, zweitens in eine Trappistenkutte gekleidet war.

"Nun", erwiderte er lächelnd, "wir gehören zu einer neuen Secte, die
mühsam emporkommt und sich römisch-katholische nennt. Morgen trifft sich's,
daß wir einen von unsern großen Festtagen feiern. Sie würden wohlthun,
heute bei uns zu bleiben und eine Probe von unsern Gottesdiensten zu sehen.
In der That", setzte er laut auflachend hinzu, "noch Niemand hat herausge¬
kriegt, daß wir Jefferson und Sohn zu Göttern gemacht haben. Ich bin ge¬
wiß, der Superior wird Sie dafür belohnen, indem er Ihnen ausnahmsweise
Einsicht in unsere Geheimnisse gestattet. Versprechen Sie mir zu bleiben, und
ich verbürge mich, daß Sie uns ohne Tadel wegen Annahme neuer Götter
verlassen werden."

Dem konnte ich nicht widerstehen. Ich gab das gewünschte Versprechen,
und so geschah's denn, daß ich mich diese Nacht vom Zufall in ein Trappisten-
kloster verschlagen und gebettet sah, was ich mir vierundzwanzig Stunden vor¬
her nicht hätte träumen lassen.

Nachdem die Unterhaltung über den heiligen Jefferson zu Ende,- fuhr


Er hat nicht den Ehrgeiz, eine neue Litanei zu machen oder eine alte auszu¬
flicken. Sondern, sowahr Deine Seele lebt, die obigen räthselhaften Worte
starren in diesem Augenblicke wirklich und wahrhaftig den Wanderer vom
Zifferblatt einer großen Wanduhr an, welche sich im Hauptzimmer des Sanct
Bernhards-Klosters in Leicestershire befindet.

Vor acht Tagen etwa begab steh's, daß ich in der Stadt Leicester war und
ein paar freie Tage hatte. Der Oberkellner in meinem Gasthofe, der mir wie
ein Mensch aussah, welcher seit zwanzig Jahren von jedem Gast im Kaffee-
zimmer seinen Beitrag von Weisheit empfangen hat. wurde von mir um Rath
angegangen, ob es hier in der Nachbarschaft wohl einen Ort gäbe, zu welchem
ein Herr von soliden Sitten eine Abendwallfahrt unternehmen könnte. Er
schlug eine Tour nach dem Mount Samt Bernard vor. Mir gefiel der
Name. Er klang alpenhaft und rief Kindervorstellungen von fabelhaften
großen Hunden zurück. Ich fahre also nach dem Sanct Bernhards-Berge und
finde, daß der Ort ein Mönchskloster ist. Ich gestehe, mich verdroß das ein
wenig. Indeß, war ich einmal so weit gekommen, so mußte ich auch sehen,
was es zu sehen gab. Ich meldete mich um Einlaß in das Haus, ein Ge¬
bäude von gothischem Stil und sehr massivem Gefüge. Er wurde sofort ge¬
währt, und ich war noch nicht fünf Minuten drinnen, als ich die an der
Spitze dieser Mittheilung stehende gedruckte Bitte an Jefferson und Sohn
erblickte.

„Jefferson und Sohn, bittet für uns!"

„El der Tausend, was haben wir da für neue Heilige oder Götter?"
sagte ich zu meinem Führer, einem recht angenehmen Mann, der erstens in
eine ungeheure blaue Brille, zweitens in eine Trappistenkutte gekleidet war.

„Nun", erwiderte er lächelnd, „wir gehören zu einer neuen Secte, die
mühsam emporkommt und sich römisch-katholische nennt. Morgen trifft sich's,
daß wir einen von unsern großen Festtagen feiern. Sie würden wohlthun,
heute bei uns zu bleiben und eine Probe von unsern Gottesdiensten zu sehen.
In der That", setzte er laut auflachend hinzu, „noch Niemand hat herausge¬
kriegt, daß wir Jefferson und Sohn zu Göttern gemacht haben. Ich bin ge¬
wiß, der Superior wird Sie dafür belohnen, indem er Ihnen ausnahmsweise
Einsicht in unsere Geheimnisse gestattet. Versprechen Sie mir zu bleiben, und
ich verbürge mich, daß Sie uns ohne Tadel wegen Annahme neuer Götter
verlassen werden."

Dem konnte ich nicht widerstehen. Ich gab das gewünschte Versprechen,
und so geschah's denn, daß ich mich diese Nacht vom Zufall in ein Trappisten-
kloster verschlagen und gebettet sah, was ich mir vierundzwanzig Stunden vor¬
her nicht hätte träumen lassen.

Nachdem die Unterhaltung über den heiligen Jefferson zu Ende,- fuhr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/391>, abgerufen am 22.12.2024.