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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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jeder Zeit seine Truppen vergeudet. Bon jetzt an, hieß es, könnte die Fahne
Napoleon's sie nur gegen ihr Vaterland führen, und dies bäte sie inständig,
seinen Leiden ein Ende zu machen. Dieser Aufruf, schnell weithin verbreitet,
mußte Erfolg haben, weil er mit den Wünschen und Interessen derer zusam¬
mentraf, an die er gerichtet war.

Die Marschälle sagten sich von Buonaparte los. Zuerst war es Mar-
mont, an den die Einladung gerichtet wurde, "die Armee mit dem Volke zu
versöhnen." Der älteste Waffengefährte, der Liebling des Kaisers trat mit
Schwarzenberg in Unterhandlung, die schnell genug zu einem vorläufigen Ab¬
schlüsse kam. Unabhängig hievon zwangen zu Fontainebleau die übrigen
Marschälle unter des rohen Ney's tactlos polternder Führung den Kaiser zur
Abdankung zu Gunsten des Königs von Rom. Coulaincourt, Ney und Mac¬
donald eilten mit dem Document nach Paris; Marmont schloß sich ihnen
an, nachdem er dem General Souham den Befehl seines Corps mit. dem Ver¬
bote übertragen, vor seiner Rückkehr irgend eine Bewegung zu machen. Diesen
Befehl befolgte Souham nicht; auf eigene Hand brach er nach Versailles auf
-- d. h. er räumte seine Stellung und ging zu den Verbündeten über; und
Marmont, von Paris herbeieilend, den Aufruhr der von widerstreitenden Ge¬
fühlen auseinandergerissenen Soldaten mühsam stillend, hieß das Geschehene
gut. Der Uebergang seines Corps aber, welcher bewies, daß auch der Rest
der Armee nicht mehr mit Zuverlässigkeit an Buonaparte hing, wurde Anlaß
zu der erneuten und nun aufrecht erhaltenen Forderung bedingungsloser
Thronentsagung. -- Unterdessen machte einer der Marschälle nach dem anderen
hinter dem Rücken des Herrn seinen Frieden mit den Alliirten, seinen Pakt
mit den neuen Mächten der Hauptstadt. Bald sollte Napoleon dessen inne
werden. Als seine Bevollmächtigten zurrückkehrten von Paris, hatte er auf
ihren Bericht noch das herausfordernde Wort: "Nun, wenn Frankreich auf¬
gegeben werden muß, bietet nicht Italien noch eine Zuflucht, die meiner würdig
ist? Will man mir dahin folgen? Wotans zu den Alpen!" Aber alle Um¬
stehenden verharrten in Schweigen. Da warf der Imperator, seiner innersten
Natur gemäß, alle Schuld dieses furchtbaren Augenblicks auf seine Marschälle
und weissagte ihnen in glühendem Zorne, daß sie statt der ersehnten Ruhe
Leiden finden und die nächsten Jahre ihrer mehr hinraffen würden, als der
grimmigste Krieg. Dann unterzeichnete er die Thronentsagung für sich und
sein Haus. -- Der Feldzug von 1814 war beendet.

Das schicksalvolle Halbjahr von der Leipziger Schlacht bis zur Schlacht
von Paris ist für die Beurtheilung der Wehrverhältnisse Frankreichs in hohem
Grade lehrreich. Die Ereignisse zeigen, wie dies große Land nach kriegerischen
Leistungen, die kaum ihres Gleichen finden, erschöpft zusammenbricht. In
zwanzig Jahren, voll von Triumphen, haben die Franzosen weder Zeit ge-


jeder Zeit seine Truppen vergeudet. Bon jetzt an, hieß es, könnte die Fahne
Napoleon's sie nur gegen ihr Vaterland führen, und dies bäte sie inständig,
seinen Leiden ein Ende zu machen. Dieser Aufruf, schnell weithin verbreitet,
mußte Erfolg haben, weil er mit den Wünschen und Interessen derer zusam¬
mentraf, an die er gerichtet war.

Die Marschälle sagten sich von Buonaparte los. Zuerst war es Mar-
mont, an den die Einladung gerichtet wurde, „die Armee mit dem Volke zu
versöhnen." Der älteste Waffengefährte, der Liebling des Kaisers trat mit
Schwarzenberg in Unterhandlung, die schnell genug zu einem vorläufigen Ab¬
schlüsse kam. Unabhängig hievon zwangen zu Fontainebleau die übrigen
Marschälle unter des rohen Ney's tactlos polternder Führung den Kaiser zur
Abdankung zu Gunsten des Königs von Rom. Coulaincourt, Ney und Mac¬
donald eilten mit dem Document nach Paris; Marmont schloß sich ihnen
an, nachdem er dem General Souham den Befehl seines Corps mit. dem Ver¬
bote übertragen, vor seiner Rückkehr irgend eine Bewegung zu machen. Diesen
Befehl befolgte Souham nicht; auf eigene Hand brach er nach Versailles auf
— d. h. er räumte seine Stellung und ging zu den Verbündeten über; und
Marmont, von Paris herbeieilend, den Aufruhr der von widerstreitenden Ge¬
fühlen auseinandergerissenen Soldaten mühsam stillend, hieß das Geschehene
gut. Der Uebergang seines Corps aber, welcher bewies, daß auch der Rest
der Armee nicht mehr mit Zuverlässigkeit an Buonaparte hing, wurde Anlaß
zu der erneuten und nun aufrecht erhaltenen Forderung bedingungsloser
Thronentsagung. — Unterdessen machte einer der Marschälle nach dem anderen
hinter dem Rücken des Herrn seinen Frieden mit den Alliirten, seinen Pakt
mit den neuen Mächten der Hauptstadt. Bald sollte Napoleon dessen inne
werden. Als seine Bevollmächtigten zurrückkehrten von Paris, hatte er auf
ihren Bericht noch das herausfordernde Wort: „Nun, wenn Frankreich auf¬
gegeben werden muß, bietet nicht Italien noch eine Zuflucht, die meiner würdig
ist? Will man mir dahin folgen? Wotans zu den Alpen!" Aber alle Um¬
stehenden verharrten in Schweigen. Da warf der Imperator, seiner innersten
Natur gemäß, alle Schuld dieses furchtbaren Augenblicks auf seine Marschälle
und weissagte ihnen in glühendem Zorne, daß sie statt der ersehnten Ruhe
Leiden finden und die nächsten Jahre ihrer mehr hinraffen würden, als der
grimmigste Krieg. Dann unterzeichnete er die Thronentsagung für sich und
sein Haus. — Der Feldzug von 1814 war beendet.

Das schicksalvolle Halbjahr von der Leipziger Schlacht bis zur Schlacht
von Paris ist für die Beurtheilung der Wehrverhältnisse Frankreichs in hohem
Grade lehrreich. Die Ereignisse zeigen, wie dies große Land nach kriegerischen
Leistungen, die kaum ihres Gleichen finden, erschöpft zusammenbricht. In
zwanzig Jahren, voll von Triumphen, haben die Franzosen weder Zeit ge-


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[0376] jeder Zeit seine Truppen vergeudet. Bon jetzt an, hieß es, könnte die Fahne Napoleon's sie nur gegen ihr Vaterland führen, und dies bäte sie inständig, seinen Leiden ein Ende zu machen. Dieser Aufruf, schnell weithin verbreitet, mußte Erfolg haben, weil er mit den Wünschen und Interessen derer zusam¬ mentraf, an die er gerichtet war. Die Marschälle sagten sich von Buonaparte los. Zuerst war es Mar- mont, an den die Einladung gerichtet wurde, „die Armee mit dem Volke zu versöhnen." Der älteste Waffengefährte, der Liebling des Kaisers trat mit Schwarzenberg in Unterhandlung, die schnell genug zu einem vorläufigen Ab¬ schlüsse kam. Unabhängig hievon zwangen zu Fontainebleau die übrigen Marschälle unter des rohen Ney's tactlos polternder Führung den Kaiser zur Abdankung zu Gunsten des Königs von Rom. Coulaincourt, Ney und Mac¬ donald eilten mit dem Document nach Paris; Marmont schloß sich ihnen an, nachdem er dem General Souham den Befehl seines Corps mit. dem Ver¬ bote übertragen, vor seiner Rückkehr irgend eine Bewegung zu machen. Diesen Befehl befolgte Souham nicht; auf eigene Hand brach er nach Versailles auf — d. h. er räumte seine Stellung und ging zu den Verbündeten über; und Marmont, von Paris herbeieilend, den Aufruhr der von widerstreitenden Ge¬ fühlen auseinandergerissenen Soldaten mühsam stillend, hieß das Geschehene gut. Der Uebergang seines Corps aber, welcher bewies, daß auch der Rest der Armee nicht mehr mit Zuverlässigkeit an Buonaparte hing, wurde Anlaß zu der erneuten und nun aufrecht erhaltenen Forderung bedingungsloser Thronentsagung. — Unterdessen machte einer der Marschälle nach dem anderen hinter dem Rücken des Herrn seinen Frieden mit den Alliirten, seinen Pakt mit den neuen Mächten der Hauptstadt. Bald sollte Napoleon dessen inne werden. Als seine Bevollmächtigten zurrückkehrten von Paris, hatte er auf ihren Bericht noch das herausfordernde Wort: „Nun, wenn Frankreich auf¬ gegeben werden muß, bietet nicht Italien noch eine Zuflucht, die meiner würdig ist? Will man mir dahin folgen? Wotans zu den Alpen!" Aber alle Um¬ stehenden verharrten in Schweigen. Da warf der Imperator, seiner innersten Natur gemäß, alle Schuld dieses furchtbaren Augenblicks auf seine Marschälle und weissagte ihnen in glühendem Zorne, daß sie statt der ersehnten Ruhe Leiden finden und die nächsten Jahre ihrer mehr hinraffen würden, als der grimmigste Krieg. Dann unterzeichnete er die Thronentsagung für sich und sein Haus. — Der Feldzug von 1814 war beendet. Das schicksalvolle Halbjahr von der Leipziger Schlacht bis zur Schlacht von Paris ist für die Beurtheilung der Wehrverhältnisse Frankreichs in hohem Grade lehrreich. Die Ereignisse zeigen, wie dies große Land nach kriegerischen Leistungen, die kaum ihres Gleichen finden, erschöpft zusammenbricht. In zwanzig Jahren, voll von Triumphen, haben die Franzosen weder Zeit ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/376>, abgerufen am 22.07.2024.