Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

livländischen Ritterschaft bewilligt worden sind, welche Beträge durch freiwillige
Auflagen gedeckt wurden.

Die unteren Stände, namentlich das undeutsche Landvolk, wissen das zum
größten Theile nicht und, wenn sie es wissen, so sind sie nicht im Stande, den
gemeinnützigen, auch ihnen zu gut kommenden Werth dieser Ausgaben zu
würdigen, vielmehr setzen sie dieselben in eine Linie mit den Ausgaben, welche
mehr oder weniger zur Aufrechthaltung und in der Ausübung der ritterlichen
Privilegien gemacht werden z. B. zur Bestreitung der Landtagskosten, zu rit-
terschaftlichen Pensionen und Unterstützungen, für Adelsdiplome und dergleichen
mehr. ' Jedenfalls besteht das gehässige Verhältniß, daß die Bauern aus¬
schließlich eine bestimmte Steuer zahlen und die davon freien Gutsherrn über
deren Verwendung allein verfügen. Und dieses Verhältniß trägt dazu bei,
den nationalen Gegensatz zwischen den Ehlen und Letten einerseits und den
Deutschen andrerseits nicht einschlafen zu lassen. Die Verlockungen der Ehlen
und besonders der leichtgläubigeren Letten zur Auswanderung nach dem
Inneren des Reiches, welche schon so vielen von ihnen zum Verderben gereicht
haben, fußen hauptsächlich auch auf den Vorspiegelungen, daß dort die Bauern
den Herren gleichgestellt seien und nicht jene allein Steuern zu zahlen haben.
Und selbst der deutsche Bürgerstand der Städte steht dem Adel kalt gegenüber,
kann sich wenigstens mit ihm nicht eins fühlen, so lange er von Steuern
überbürdet ist. dieser aber anscheinend darin frei ausgeht. Allerdings legt die
^Ritterschaft den Städten weder Lasten auf, noch hat sie, wenigstens in Liv-
land, von dem wir ausschließlich sprechen, irgend eine Macht über dieselben,
vielmehr besitzen diese, jede einzelne für sich, dieselbe Selbständigkeit in der
Ordnung ihrer inneren Angelegenheiten, wie die Ritterschaft für das gesammte
platte Land, und das provinziale Gesetzgebungsrecht des Landtags müßte erst
auf die Städte ausgedehnt werden, wenn letztere in ihm mitvertreten werden
sollten. Riga schickt nur wegen seines großen Landbesitzes zwei Abgeordnete
in den Landtag. Indeß bildet die Steuerfreiheit des Adels doch immer eine
Scheidewand zwischen der großen Masse der Städterund ihm, und es ist noch
gar nicht lange her, daß wenigstens der höhere Bürgerstand in allen drei
Herzogtümern mit dem Adel fest geschlossen zusammensteht, indem jener zu
der Ueberzeugung gelangt ist, daß dieser seine Standesvorrechte nur zum ge¬
meinsamen Besten des Landes verwende und daß er ihnen nur insoweit ent¬
sagen darf, als das Wohl der Gesammtheit dadurch nicht auf das äußerste
gefährdet würde.

Zu den politischen Rücksichten treten in Livland die staatswirthschaftlichen
Bedürfnisse. Alle Zweige der Selbstverwaltung erfordern größere Verwen¬
dungen, etwa mit Ausnahme der Kirche, und es machen sich neue Bedürfnisse
dringend geltend. Die Hakensteuer aber deckt nur eben die alten Bedürfnisse,


livländischen Ritterschaft bewilligt worden sind, welche Beträge durch freiwillige
Auflagen gedeckt wurden.

Die unteren Stände, namentlich das undeutsche Landvolk, wissen das zum
größten Theile nicht und, wenn sie es wissen, so sind sie nicht im Stande, den
gemeinnützigen, auch ihnen zu gut kommenden Werth dieser Ausgaben zu
würdigen, vielmehr setzen sie dieselben in eine Linie mit den Ausgaben, welche
mehr oder weniger zur Aufrechthaltung und in der Ausübung der ritterlichen
Privilegien gemacht werden z. B. zur Bestreitung der Landtagskosten, zu rit-
terschaftlichen Pensionen und Unterstützungen, für Adelsdiplome und dergleichen
mehr. ' Jedenfalls besteht das gehässige Verhältniß, daß die Bauern aus¬
schließlich eine bestimmte Steuer zahlen und die davon freien Gutsherrn über
deren Verwendung allein verfügen. Und dieses Verhältniß trägt dazu bei,
den nationalen Gegensatz zwischen den Ehlen und Letten einerseits und den
Deutschen andrerseits nicht einschlafen zu lassen. Die Verlockungen der Ehlen
und besonders der leichtgläubigeren Letten zur Auswanderung nach dem
Inneren des Reiches, welche schon so vielen von ihnen zum Verderben gereicht
haben, fußen hauptsächlich auch auf den Vorspiegelungen, daß dort die Bauern
den Herren gleichgestellt seien und nicht jene allein Steuern zu zahlen haben.
Und selbst der deutsche Bürgerstand der Städte steht dem Adel kalt gegenüber,
kann sich wenigstens mit ihm nicht eins fühlen, so lange er von Steuern
überbürdet ist. dieser aber anscheinend darin frei ausgeht. Allerdings legt die
^Ritterschaft den Städten weder Lasten auf, noch hat sie, wenigstens in Liv-
land, von dem wir ausschließlich sprechen, irgend eine Macht über dieselben,
vielmehr besitzen diese, jede einzelne für sich, dieselbe Selbständigkeit in der
Ordnung ihrer inneren Angelegenheiten, wie die Ritterschaft für das gesammte
platte Land, und das provinziale Gesetzgebungsrecht des Landtags müßte erst
auf die Städte ausgedehnt werden, wenn letztere in ihm mitvertreten werden
sollten. Riga schickt nur wegen seines großen Landbesitzes zwei Abgeordnete
in den Landtag. Indeß bildet die Steuerfreiheit des Adels doch immer eine
Scheidewand zwischen der großen Masse der Städterund ihm, und es ist noch
gar nicht lange her, daß wenigstens der höhere Bürgerstand in allen drei
Herzogtümern mit dem Adel fest geschlossen zusammensteht, indem jener zu
der Ueberzeugung gelangt ist, daß dieser seine Standesvorrechte nur zum ge¬
meinsamen Besten des Landes verwende und daß er ihnen nur insoweit ent¬
sagen darf, als das Wohl der Gesammtheit dadurch nicht auf das äußerste
gefährdet würde.

Zu den politischen Rücksichten treten in Livland die staatswirthschaftlichen
Bedürfnisse. Alle Zweige der Selbstverwaltung erfordern größere Verwen¬
dungen, etwa mit Ausnahme der Kirche, und es machen sich neue Bedürfnisse
dringend geltend. Die Hakensteuer aber deckt nur eben die alten Bedürfnisse,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0037" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127965"/>
          <p xml:id="ID_84" prev="#ID_83"> livländischen Ritterschaft bewilligt worden sind, welche Beträge durch freiwillige<lb/>
Auflagen gedeckt wurden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_85"> Die unteren Stände, namentlich das undeutsche Landvolk, wissen das zum<lb/>
größten Theile nicht und, wenn sie es wissen, so sind sie nicht im Stande, den<lb/>
gemeinnützigen, auch ihnen zu gut kommenden Werth dieser Ausgaben zu<lb/>
würdigen, vielmehr setzen sie dieselben in eine Linie mit den Ausgaben, welche<lb/>
mehr oder weniger zur Aufrechthaltung und in der Ausübung der ritterlichen<lb/>
Privilegien gemacht werden z. B. zur Bestreitung der Landtagskosten, zu rit-<lb/>
terschaftlichen Pensionen und Unterstützungen, für Adelsdiplome und dergleichen<lb/>
mehr. ' Jedenfalls besteht das gehässige Verhältniß, daß die Bauern aus¬<lb/>
schließlich eine bestimmte Steuer zahlen und die davon freien Gutsherrn über<lb/>
deren Verwendung allein verfügen. Und dieses Verhältniß trägt dazu bei,<lb/>
den nationalen Gegensatz zwischen den Ehlen und Letten einerseits und den<lb/>
Deutschen andrerseits nicht einschlafen zu lassen. Die Verlockungen der Ehlen<lb/>
und besonders der leichtgläubigeren Letten zur Auswanderung nach dem<lb/>
Inneren des Reiches, welche schon so vielen von ihnen zum Verderben gereicht<lb/>
haben, fußen hauptsächlich auch auf den Vorspiegelungen, daß dort die Bauern<lb/>
den Herren gleichgestellt seien und nicht jene allein Steuern zu zahlen haben.<lb/>
Und selbst der deutsche Bürgerstand der Städte steht dem Adel kalt gegenüber,<lb/>
kann sich wenigstens mit ihm nicht eins fühlen, so lange er von Steuern<lb/>
überbürdet ist. dieser aber anscheinend darin frei ausgeht. Allerdings legt die<lb/>
^Ritterschaft den Städten weder Lasten auf, noch hat sie, wenigstens in Liv-<lb/>
land, von dem wir ausschließlich sprechen, irgend eine Macht über dieselben,<lb/>
vielmehr besitzen diese, jede einzelne für sich, dieselbe Selbständigkeit in der<lb/>
Ordnung ihrer inneren Angelegenheiten, wie die Ritterschaft für das gesammte<lb/>
platte Land, und das provinziale Gesetzgebungsrecht des Landtags müßte erst<lb/>
auf die Städte ausgedehnt werden, wenn letztere in ihm mitvertreten werden<lb/>
sollten. Riga schickt nur wegen seines großen Landbesitzes zwei Abgeordnete<lb/>
in den Landtag. Indeß bildet die Steuerfreiheit des Adels doch immer eine<lb/>
Scheidewand zwischen der großen Masse der Städterund ihm, und es ist noch<lb/>
gar nicht lange her, daß wenigstens der höhere Bürgerstand in allen drei<lb/>
Herzogtümern mit dem Adel fest geschlossen zusammensteht, indem jener zu<lb/>
der Ueberzeugung gelangt ist, daß dieser seine Standesvorrechte nur zum ge¬<lb/>
meinsamen Besten des Landes verwende und daß er ihnen nur insoweit ent¬<lb/>
sagen darf, als das Wohl der Gesammtheit dadurch nicht auf das äußerste<lb/>
gefährdet würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_86" next="#ID_87"> Zu den politischen Rücksichten treten in Livland die staatswirthschaftlichen<lb/>
Bedürfnisse. Alle Zweige der Selbstverwaltung erfordern größere Verwen¬<lb/>
dungen, etwa mit Ausnahme der Kirche, und es machen sich neue Bedürfnisse<lb/>
dringend geltend. Die Hakensteuer aber deckt nur eben die alten Bedürfnisse,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0037] livländischen Ritterschaft bewilligt worden sind, welche Beträge durch freiwillige Auflagen gedeckt wurden. Die unteren Stände, namentlich das undeutsche Landvolk, wissen das zum größten Theile nicht und, wenn sie es wissen, so sind sie nicht im Stande, den gemeinnützigen, auch ihnen zu gut kommenden Werth dieser Ausgaben zu würdigen, vielmehr setzen sie dieselben in eine Linie mit den Ausgaben, welche mehr oder weniger zur Aufrechthaltung und in der Ausübung der ritterlichen Privilegien gemacht werden z. B. zur Bestreitung der Landtagskosten, zu rit- terschaftlichen Pensionen und Unterstützungen, für Adelsdiplome und dergleichen mehr. ' Jedenfalls besteht das gehässige Verhältniß, daß die Bauern aus¬ schließlich eine bestimmte Steuer zahlen und die davon freien Gutsherrn über deren Verwendung allein verfügen. Und dieses Verhältniß trägt dazu bei, den nationalen Gegensatz zwischen den Ehlen und Letten einerseits und den Deutschen andrerseits nicht einschlafen zu lassen. Die Verlockungen der Ehlen und besonders der leichtgläubigeren Letten zur Auswanderung nach dem Inneren des Reiches, welche schon so vielen von ihnen zum Verderben gereicht haben, fußen hauptsächlich auch auf den Vorspiegelungen, daß dort die Bauern den Herren gleichgestellt seien und nicht jene allein Steuern zu zahlen haben. Und selbst der deutsche Bürgerstand der Städte steht dem Adel kalt gegenüber, kann sich wenigstens mit ihm nicht eins fühlen, so lange er von Steuern überbürdet ist. dieser aber anscheinend darin frei ausgeht. Allerdings legt die ^Ritterschaft den Städten weder Lasten auf, noch hat sie, wenigstens in Liv- land, von dem wir ausschließlich sprechen, irgend eine Macht über dieselben, vielmehr besitzen diese, jede einzelne für sich, dieselbe Selbständigkeit in der Ordnung ihrer inneren Angelegenheiten, wie die Ritterschaft für das gesammte platte Land, und das provinziale Gesetzgebungsrecht des Landtags müßte erst auf die Städte ausgedehnt werden, wenn letztere in ihm mitvertreten werden sollten. Riga schickt nur wegen seines großen Landbesitzes zwei Abgeordnete in den Landtag. Indeß bildet die Steuerfreiheit des Adels doch immer eine Scheidewand zwischen der großen Masse der Städterund ihm, und es ist noch gar nicht lange her, daß wenigstens der höhere Bürgerstand in allen drei Herzogtümern mit dem Adel fest geschlossen zusammensteht, indem jener zu der Ueberzeugung gelangt ist, daß dieser seine Standesvorrechte nur zum ge¬ meinsamen Besten des Landes verwende und daß er ihnen nur insoweit ent¬ sagen darf, als das Wohl der Gesammtheit dadurch nicht auf das äußerste gefährdet würde. Zu den politischen Rücksichten treten in Livland die staatswirthschaftlichen Bedürfnisse. Alle Zweige der Selbstverwaltung erfordern größere Verwen¬ dungen, etwa mit Ausnahme der Kirche, und es machen sich neue Bedürfnisse dringend geltend. Die Hakensteuer aber deckt nur eben die alten Bedürfnisse,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/37
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/37>, abgerufen am 22.12.2024.