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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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standsfähig sei. Als er endlich ^ am 25. Januar abreiste, war freilich der
Heerbestand immer noch höchst ungenügend. Er gebot über 41,300 Mann,
die vor Chalons und Vitry versammelt waren, über 20,600, die Mortier bei
Troyes befehligte und endlich über die 9100 Mann, welche Macdonald nach
Mezieres geführt hatte. Hiezu sind noch 2500 Mann unter General Aux bei
Auxerre zu rechnen -- diese 73,500 Mann bildeten aber die ganze Macht,
welche Napoleon zu Ende Januar den gegen Marne und Seine vordringenden
162,000 Mann der Verbündeten entgegensetzen konnte. Formirt waren diese
Schaaren als Alte Garde unter Mortier (3 Infanterie- und 1 Cavallerie-
Divifion) Junge Garde unter Ney und Oudinot (3Infanterie- und 1 Ca-
vallerie-Division), II. Corps Victor; VI. Corps Marmont; V. Corps
Sebastiani; XI. Corps Macdonald; 1., 2., 3., 5. Capak.-Corps. -- Was
die Nebenschauplätze betraf, so stand in den Niederlanden General Maison,
etwa 14,000 Mann stark, und im Süden bei Lyon das sogenannte Corps de
Rhone unter Augereau. Für dies Corps waren 30,000 Nationalgarten "dis¬
ponibel" und Truppen Suchet's von Catalonien her in Anmarsch; zur Zeit
aber war es noch in keiner Weise sähig, in die Operationen einzugreifen. --
Erwägt man diesem Zustande gegenüber, daß seit dem October die Aushebung
von 605,000 Mann decretirt war, so erkennt man, wie sehr im Anfange sei¬
ner Rüstungen Napoleon noch stand. Indessen gingen dieselben auch während
des Kampfes rastlos fort. Das administrative Hauptquartier war Metz, von
wo aus unter Kellermann's bewährter Leitung die Vertheilung der Mann¬
schaften an die Regimenter stattfand. Die Completirung der Infanterie wurde
als so dringend erkannt, daß Napoleon befahl, die neuen Bataillone zu 400
Mann und ohne jede Rücksicht auf UnVollständigkeit der Bekleidung aus den
Depots abzusenden. -- Die erste bedeutendere Verstärkung der Armee bildete
ein Heertheil von etwa 7500 Mann, welchen Gerard bei Vitry sammelte.

Gneisenau urtheilte über das französische Volk und Heer mit großer
Schärfe und Einsicht: "Der Geist der Nation ist gebrochen, ihr Vertheidi¬
gungssystem erschöpft. Die Nation sehnt sich nach einer besseren Regierung;
die alten Soldaten sind verschwunden, eine ganze Generation ist vertilgt; die
neuen Soldaten haben nicht Muth noch Zutrauen; die unsrigen haben das
Gefühl des Sieges. Die Vorsehung hat uns die Mittel gegeben, die gepei¬
nigten Völker an einem Ungeheuer zu rächen. Thun wir es nicht, so sind
wir solcher Wohlthaten nicht werth." -- Fürst Schwarzenberg aber schrieb:
"Blücher und mehr noch Gneisenau -- denn der gute Alte muß seinen Na¬
men leihen -- treiben mit einer so wahrhaft kindischen Wuth nach Paris,
daß sie alle Regeln des Krieges mit Füßen treten." -- In diesem Gegensatz
spricht sich die Chance aus, welche es Napoleon überhaupt ermöglichte, noch


standsfähig sei. Als er endlich ^ am 25. Januar abreiste, war freilich der
Heerbestand immer noch höchst ungenügend. Er gebot über 41,300 Mann,
die vor Chalons und Vitry versammelt waren, über 20,600, die Mortier bei
Troyes befehligte und endlich über die 9100 Mann, welche Macdonald nach
Mezieres geführt hatte. Hiezu sind noch 2500 Mann unter General Aux bei
Auxerre zu rechnen — diese 73,500 Mann bildeten aber die ganze Macht,
welche Napoleon zu Ende Januar den gegen Marne und Seine vordringenden
162,000 Mann der Verbündeten entgegensetzen konnte. Formirt waren diese
Schaaren als Alte Garde unter Mortier (3 Infanterie- und 1 Cavallerie-
Divifion) Junge Garde unter Ney und Oudinot (3Infanterie- und 1 Ca-
vallerie-Division), II. Corps Victor; VI. Corps Marmont; V. Corps
Sebastiani; XI. Corps Macdonald; 1., 2., 3., 5. Capak.-Corps. — Was
die Nebenschauplätze betraf, so stand in den Niederlanden General Maison,
etwa 14,000 Mann stark, und im Süden bei Lyon das sogenannte Corps de
Rhone unter Augereau. Für dies Corps waren 30,000 Nationalgarten „dis¬
ponibel" und Truppen Suchet's von Catalonien her in Anmarsch; zur Zeit
aber war es noch in keiner Weise sähig, in die Operationen einzugreifen. —
Erwägt man diesem Zustande gegenüber, daß seit dem October die Aushebung
von 605,000 Mann decretirt war, so erkennt man, wie sehr im Anfange sei¬
ner Rüstungen Napoleon noch stand. Indessen gingen dieselben auch während
des Kampfes rastlos fort. Das administrative Hauptquartier war Metz, von
wo aus unter Kellermann's bewährter Leitung die Vertheilung der Mann¬
schaften an die Regimenter stattfand. Die Completirung der Infanterie wurde
als so dringend erkannt, daß Napoleon befahl, die neuen Bataillone zu 400
Mann und ohne jede Rücksicht auf UnVollständigkeit der Bekleidung aus den
Depots abzusenden. — Die erste bedeutendere Verstärkung der Armee bildete
ein Heertheil von etwa 7500 Mann, welchen Gerard bei Vitry sammelte.

Gneisenau urtheilte über das französische Volk und Heer mit großer
Schärfe und Einsicht: „Der Geist der Nation ist gebrochen, ihr Vertheidi¬
gungssystem erschöpft. Die Nation sehnt sich nach einer besseren Regierung;
die alten Soldaten sind verschwunden, eine ganze Generation ist vertilgt; die
neuen Soldaten haben nicht Muth noch Zutrauen; die unsrigen haben das
Gefühl des Sieges. Die Vorsehung hat uns die Mittel gegeben, die gepei¬
nigten Völker an einem Ungeheuer zu rächen. Thun wir es nicht, so sind
wir solcher Wohlthaten nicht werth." — Fürst Schwarzenberg aber schrieb:
„Blücher und mehr noch Gneisenau — denn der gute Alte muß seinen Na¬
men leihen — treiben mit einer so wahrhaft kindischen Wuth nach Paris,
daß sie alle Regeln des Krieges mit Füßen treten." — In diesem Gegensatz
spricht sich die Chance aus, welche es Napoleon überhaupt ermöglichte, noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/368>, abgerufen am 22.07.2024.