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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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gai, dem nicht halb so viel Katholiken gehorchen wie dem Kaiser Wilhelm,
unbestritten gebührt. Bei der Stellung des deutschen Kaisers zu der frag¬
lichen Angelegenheit handelt es sich nicht um ein "Sacrament", welches das
katholische Glaubensbekenntniß zur Voraussetzung hat, sondern lediglich um
ein "civiles" Rechtsverhältniß, um das "Mandat" seiner katholischen Unter¬
thanen. Im ehemaligen deutschen Reiche wurden die katholischen Kaiser von
einer Anzahl Kurfürsten gewählt, unter denen drei protestantische waren. Bei
der Consecration desselben durch die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Cöln
übten auch diese protestantischen Wahlfürsten symbolische Acte aus und wohn¬
ten der katholischen Messe bei. Sie betheiligten sich also mit den katholischen
Bischöfen an katholischen Handlungen, ja diese Bischöfe nahmen aus der Hand
solcher protestantischen Wahlfürsten die Krone, die sie dem Erwählten auf¬
setzten. Es leuchtet ein, daß der deutsche Kaiser, wenn er durch ein Veto
einen mittelbaren Einfluß auf die Wahl des Papstes ausübte, einen viel we¬
niger "geistlichen" Act vollziehen wurde, als die erwähnte directe Betheiligung
der Kurfürsten bei der Weihe der alten Kaiser in sich schloß.

Kann sich der Kaiser des neuen deutschen Reiches auch nicht als Erben
des Bestätigungs- oder Vetorechts der Kaiser des alten römischen Reichs
deutscher Nation betrachten, so stehen ihm dafür thatsächliche Rechtsgründe
zur Seite, welche schwerer wiegen als solch ein Erbtheil.

Der Papst selbst hat den König von Preußen als deutschen Kaiser an¬
erkannt und damit auch dessen Recht zur Erclusive.

Der deutsche Kaiser und der König von Italien, durch politische Interessen¬
gemeinschaft auf gemeinschaftliches Handeln hingewiesen, dürfen nichts unter¬
lassen, was ihnen im Kampfe mit der Kirche zur Erringung des Sieges zu
helfen verspricht; sie müssen also auch ihr Recht zur Erclusive geltend machen.

Pius der Neunte hat wiederholt schon altehrwürdige Satzungen der Kirche
verletzt. Wollte er nun auch das Recht des Vetos, welches sich auf die Grund¬
verfassung derselben stützt, in Frage stellen, so würde er sich der Gefahr aus¬
setzen, damit gründlich zu scheitern und der Kirche schweren Schaden zuzufügen.
Es könnte dann geschehen, daß sein Nachfolger nicht anerkannt würde und
ein verderbliches Schisma entstünde. Der Papst möge auch nicht vergessen,
daß die Regierungen, durch ihn in den Stand der Nothwehr versetzt, sich be¬
wogen finden könnten, den Bischöfen, welche ihm auf dem Wege solcher "Un¬
geheuerlichkeiten" nachfolgen wollten, die Temporalien zu sperren.

So das italienische Blatt. Unsere Ansicht aber ist folgende.

Der historische Werth des Rechtes der Erclusive ist von keiner großen
Bedeutung. Wir müssen die Frage aus der Lage heraus beurtheilen, welche
durch die vaticanischen Decrete vom Juli 1870 geschaffen worden ist.

Durch diese Decrete ist die ohnehin schwache Garantie gegen kirchliche


gai, dem nicht halb so viel Katholiken gehorchen wie dem Kaiser Wilhelm,
unbestritten gebührt. Bei der Stellung des deutschen Kaisers zu der frag¬
lichen Angelegenheit handelt es sich nicht um ein „Sacrament", welches das
katholische Glaubensbekenntniß zur Voraussetzung hat, sondern lediglich um
ein „civiles" Rechtsverhältniß, um das „Mandat" seiner katholischen Unter¬
thanen. Im ehemaligen deutschen Reiche wurden die katholischen Kaiser von
einer Anzahl Kurfürsten gewählt, unter denen drei protestantische waren. Bei
der Consecration desselben durch die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Cöln
übten auch diese protestantischen Wahlfürsten symbolische Acte aus und wohn¬
ten der katholischen Messe bei. Sie betheiligten sich also mit den katholischen
Bischöfen an katholischen Handlungen, ja diese Bischöfe nahmen aus der Hand
solcher protestantischen Wahlfürsten die Krone, die sie dem Erwählten auf¬
setzten. Es leuchtet ein, daß der deutsche Kaiser, wenn er durch ein Veto
einen mittelbaren Einfluß auf die Wahl des Papstes ausübte, einen viel we¬
niger „geistlichen" Act vollziehen wurde, als die erwähnte directe Betheiligung
der Kurfürsten bei der Weihe der alten Kaiser in sich schloß.

Kann sich der Kaiser des neuen deutschen Reiches auch nicht als Erben
des Bestätigungs- oder Vetorechts der Kaiser des alten römischen Reichs
deutscher Nation betrachten, so stehen ihm dafür thatsächliche Rechtsgründe
zur Seite, welche schwerer wiegen als solch ein Erbtheil.

Der Papst selbst hat den König von Preußen als deutschen Kaiser an¬
erkannt und damit auch dessen Recht zur Erclusive.

Der deutsche Kaiser und der König von Italien, durch politische Interessen¬
gemeinschaft auf gemeinschaftliches Handeln hingewiesen, dürfen nichts unter¬
lassen, was ihnen im Kampfe mit der Kirche zur Erringung des Sieges zu
helfen verspricht; sie müssen also auch ihr Recht zur Erclusive geltend machen.

Pius der Neunte hat wiederholt schon altehrwürdige Satzungen der Kirche
verletzt. Wollte er nun auch das Recht des Vetos, welches sich auf die Grund¬
verfassung derselben stützt, in Frage stellen, so würde er sich der Gefahr aus¬
setzen, damit gründlich zu scheitern und der Kirche schweren Schaden zuzufügen.
Es könnte dann geschehen, daß sein Nachfolger nicht anerkannt würde und
ein verderbliches Schisma entstünde. Der Papst möge auch nicht vergessen,
daß die Regierungen, durch ihn in den Stand der Nothwehr versetzt, sich be¬
wogen finden könnten, den Bischöfen, welche ihm auf dem Wege solcher „Un¬
geheuerlichkeiten" nachfolgen wollten, die Temporalien zu sperren.

So das italienische Blatt. Unsere Ansicht aber ist folgende.

Der historische Werth des Rechtes der Erclusive ist von keiner großen
Bedeutung. Wir müssen die Frage aus der Lage heraus beurtheilen, welche
durch die vaticanischen Decrete vom Juli 1870 geschaffen worden ist.

Durch diese Decrete ist die ohnehin schwache Garantie gegen kirchliche


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[0359] gai, dem nicht halb so viel Katholiken gehorchen wie dem Kaiser Wilhelm, unbestritten gebührt. Bei der Stellung des deutschen Kaisers zu der frag¬ lichen Angelegenheit handelt es sich nicht um ein „Sacrament", welches das katholische Glaubensbekenntniß zur Voraussetzung hat, sondern lediglich um ein „civiles" Rechtsverhältniß, um das „Mandat" seiner katholischen Unter¬ thanen. Im ehemaligen deutschen Reiche wurden die katholischen Kaiser von einer Anzahl Kurfürsten gewählt, unter denen drei protestantische waren. Bei der Consecration desselben durch die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Cöln übten auch diese protestantischen Wahlfürsten symbolische Acte aus und wohn¬ ten der katholischen Messe bei. Sie betheiligten sich also mit den katholischen Bischöfen an katholischen Handlungen, ja diese Bischöfe nahmen aus der Hand solcher protestantischen Wahlfürsten die Krone, die sie dem Erwählten auf¬ setzten. Es leuchtet ein, daß der deutsche Kaiser, wenn er durch ein Veto einen mittelbaren Einfluß auf die Wahl des Papstes ausübte, einen viel we¬ niger „geistlichen" Act vollziehen wurde, als die erwähnte directe Betheiligung der Kurfürsten bei der Weihe der alten Kaiser in sich schloß. Kann sich der Kaiser des neuen deutschen Reiches auch nicht als Erben des Bestätigungs- oder Vetorechts der Kaiser des alten römischen Reichs deutscher Nation betrachten, so stehen ihm dafür thatsächliche Rechtsgründe zur Seite, welche schwerer wiegen als solch ein Erbtheil. Der Papst selbst hat den König von Preußen als deutschen Kaiser an¬ erkannt und damit auch dessen Recht zur Erclusive. Der deutsche Kaiser und der König von Italien, durch politische Interessen¬ gemeinschaft auf gemeinschaftliches Handeln hingewiesen, dürfen nichts unter¬ lassen, was ihnen im Kampfe mit der Kirche zur Erringung des Sieges zu helfen verspricht; sie müssen also auch ihr Recht zur Erclusive geltend machen. Pius der Neunte hat wiederholt schon altehrwürdige Satzungen der Kirche verletzt. Wollte er nun auch das Recht des Vetos, welches sich auf die Grund¬ verfassung derselben stützt, in Frage stellen, so würde er sich der Gefahr aus¬ setzen, damit gründlich zu scheitern und der Kirche schweren Schaden zuzufügen. Es könnte dann geschehen, daß sein Nachfolger nicht anerkannt würde und ein verderbliches Schisma entstünde. Der Papst möge auch nicht vergessen, daß die Regierungen, durch ihn in den Stand der Nothwehr versetzt, sich be¬ wogen finden könnten, den Bischöfen, welche ihm auf dem Wege solcher „Un¬ geheuerlichkeiten" nachfolgen wollten, die Temporalien zu sperren. So das italienische Blatt. Unsere Ansicht aber ist folgende. Der historische Werth des Rechtes der Erclusive ist von keiner großen Bedeutung. Wir müssen die Frage aus der Lage heraus beurtheilen, welche durch die vaticanischen Decrete vom Juli 1870 geschaffen worden ist. Durch diese Decrete ist die ohnehin schwache Garantie gegen kirchliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/359>, abgerufen am 22.12.2024.