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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Das alte Recht der Exclusive bestand in der Möglichkeit, den von den
Cardinälen zum Papste Erkorenen nach seiner Erwählung als unannehmbar
zu bezeichnen. Das neue Veto besteht in der Befugniß, vor dem Conclave
unerwünschte Candidaten von der Erwählung auszuschließen. Die letztere Fas¬
sung des Rechts verträgt sich besser mit der Unabhängigkeit der Kirche und
entspricht dem ursprünglichen Wahlstatute. Im Rituale begegnen wir einer
Stelle mit folgender Formel: ,MmuIo wo N., yuem g,ä enlum axostoli-
eum juclieium e'ommunö tuas plödis reZit", wodurch die Ableitung der Päpst¬
lichen Würde und Macht von dem Volkswillen bestätigt wird. Keine Bulle
kann hieran etwas ändern, und auch der unfehlbare Papst hat nicht das
Recht, die alten von seinen ja ebenfalls unfehlbaren Vorgängern aufgerichte¬
ten und anerkannten Satzungen umzustoßen.

Nach canonischem Rechte ist der König Victor Emanuel einer der legi¬
timsten Herrscher der Erde. Denn gleichwie die päpstliche Gewalt beruht seine
Autorität und Würde auf der Wahl durch das römische Volk. Nicht nur
das übrige Italien, sondern auch die Bevölkerung von Rom hat ihn zum
Oberhaupte Italiens ausgerufen. Er ist kaeto Nachfolger der römischen
Kaiser und der italienischen Könige. In den Augen der katholischen Kirche
müßte er in Folge dessen als Inhaber der höchsten irdischen Gewalt erschei¬
nen, und in diesem Zusammenhang gebührt ihm auch das Recht der Exclu¬
sive. Thorheit wäre es, wollte man dieser Forderung das bekannte Garantiegesetz
gegenüberstellen und behaupten, es sei ein Verzicht auf jenes Recht. Ein sol¬
cher ist weder darin ausgesprochen, noch hätte die italienische Regierung je
daran denken können, ihr Veto implicite darin auszugeben. Auch die That¬
sache, daß die italienischen Fürsten in der Zeit der Zersplitterung Italiens
das Recht der Exclusive nicht ausgeübt haben, läßt sich nicht gegen den An¬
spruch auf dieses Recht von Seiten Victor Emanuel^s geltend machen; denn
die meisten dieser Fürsten standen im Lehensverhältnisse zum Papste.

Gleich unzweifelhaft wie das Vetorecht des Königs von Italien ist das
des Oberhauptes der im deutschen Reiche wieder vereinigten deutschen Nation.
Der Glaube, zu welchem die Träger staatlicher Würden sich bekennen, kann
durchaus keinen Einfluß auf die Stellung ihrer Staaten und ihres eigenen
Verhältnisses zur Kirche (als einem Organismus) ausüben. Die Politik Ri¬
chelieu's, Talleyrand's und Guizot's liefern für diese Behauptung Beweise, die
zur Genüge bekannt sind. Der Kaiser Wilhelm ist allerdings nicht katholisch,
aber er ist das Oberhaupt vieler Millionen von Katholiken und deren Man¬
datar bei einer Papstwahl. Er ist somit durchaus berechtigt, seinen Einfluß
bei einer solchen zur Geltung zu bringen. Unlogisch und unnatürlich wäre
es, wollte man dem deutschen Kaiser ein Recht vorenthalten, welches dem Kö¬
nig von Spanien, dem nur wenig mehr, und welches dem König von Portu-


Das alte Recht der Exclusive bestand in der Möglichkeit, den von den
Cardinälen zum Papste Erkorenen nach seiner Erwählung als unannehmbar
zu bezeichnen. Das neue Veto besteht in der Befugniß, vor dem Conclave
unerwünschte Candidaten von der Erwählung auszuschließen. Die letztere Fas¬
sung des Rechts verträgt sich besser mit der Unabhängigkeit der Kirche und
entspricht dem ursprünglichen Wahlstatute. Im Rituale begegnen wir einer
Stelle mit folgender Formel: ,MmuIo wo N., yuem g,ä enlum axostoli-
eum juclieium e'ommunö tuas plödis reZit", wodurch die Ableitung der Päpst¬
lichen Würde und Macht von dem Volkswillen bestätigt wird. Keine Bulle
kann hieran etwas ändern, und auch der unfehlbare Papst hat nicht das
Recht, die alten von seinen ja ebenfalls unfehlbaren Vorgängern aufgerichte¬
ten und anerkannten Satzungen umzustoßen.

Nach canonischem Rechte ist der König Victor Emanuel einer der legi¬
timsten Herrscher der Erde. Denn gleichwie die päpstliche Gewalt beruht seine
Autorität und Würde auf der Wahl durch das römische Volk. Nicht nur
das übrige Italien, sondern auch die Bevölkerung von Rom hat ihn zum
Oberhaupte Italiens ausgerufen. Er ist kaeto Nachfolger der römischen
Kaiser und der italienischen Könige. In den Augen der katholischen Kirche
müßte er in Folge dessen als Inhaber der höchsten irdischen Gewalt erschei¬
nen, und in diesem Zusammenhang gebührt ihm auch das Recht der Exclu¬
sive. Thorheit wäre es, wollte man dieser Forderung das bekannte Garantiegesetz
gegenüberstellen und behaupten, es sei ein Verzicht auf jenes Recht. Ein sol¬
cher ist weder darin ausgesprochen, noch hätte die italienische Regierung je
daran denken können, ihr Veto implicite darin auszugeben. Auch die That¬
sache, daß die italienischen Fürsten in der Zeit der Zersplitterung Italiens
das Recht der Exclusive nicht ausgeübt haben, läßt sich nicht gegen den An¬
spruch auf dieses Recht von Seiten Victor Emanuel^s geltend machen; denn
die meisten dieser Fürsten standen im Lehensverhältnisse zum Papste.

Gleich unzweifelhaft wie das Vetorecht des Königs von Italien ist das
des Oberhauptes der im deutschen Reiche wieder vereinigten deutschen Nation.
Der Glaube, zu welchem die Träger staatlicher Würden sich bekennen, kann
durchaus keinen Einfluß auf die Stellung ihrer Staaten und ihres eigenen
Verhältnisses zur Kirche (als einem Organismus) ausüben. Die Politik Ri¬
chelieu's, Talleyrand's und Guizot's liefern für diese Behauptung Beweise, die
zur Genüge bekannt sind. Der Kaiser Wilhelm ist allerdings nicht katholisch,
aber er ist das Oberhaupt vieler Millionen von Katholiken und deren Man¬
datar bei einer Papstwahl. Er ist somit durchaus berechtigt, seinen Einfluß
bei einer solchen zur Geltung zu bringen. Unlogisch und unnatürlich wäre
es, wollte man dem deutschen Kaiser ein Recht vorenthalten, welches dem Kö¬
nig von Spanien, dem nur wenig mehr, und welches dem König von Portu-


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[0358] Das alte Recht der Exclusive bestand in der Möglichkeit, den von den Cardinälen zum Papste Erkorenen nach seiner Erwählung als unannehmbar zu bezeichnen. Das neue Veto besteht in der Befugniß, vor dem Conclave unerwünschte Candidaten von der Erwählung auszuschließen. Die letztere Fas¬ sung des Rechts verträgt sich besser mit der Unabhängigkeit der Kirche und entspricht dem ursprünglichen Wahlstatute. Im Rituale begegnen wir einer Stelle mit folgender Formel: ,MmuIo wo N., yuem g,ä enlum axostoli- eum juclieium e'ommunö tuas plödis reZit", wodurch die Ableitung der Päpst¬ lichen Würde und Macht von dem Volkswillen bestätigt wird. Keine Bulle kann hieran etwas ändern, und auch der unfehlbare Papst hat nicht das Recht, die alten von seinen ja ebenfalls unfehlbaren Vorgängern aufgerichte¬ ten und anerkannten Satzungen umzustoßen. Nach canonischem Rechte ist der König Victor Emanuel einer der legi¬ timsten Herrscher der Erde. Denn gleichwie die päpstliche Gewalt beruht seine Autorität und Würde auf der Wahl durch das römische Volk. Nicht nur das übrige Italien, sondern auch die Bevölkerung von Rom hat ihn zum Oberhaupte Italiens ausgerufen. Er ist kaeto Nachfolger der römischen Kaiser und der italienischen Könige. In den Augen der katholischen Kirche müßte er in Folge dessen als Inhaber der höchsten irdischen Gewalt erschei¬ nen, und in diesem Zusammenhang gebührt ihm auch das Recht der Exclu¬ sive. Thorheit wäre es, wollte man dieser Forderung das bekannte Garantiegesetz gegenüberstellen und behaupten, es sei ein Verzicht auf jenes Recht. Ein sol¬ cher ist weder darin ausgesprochen, noch hätte die italienische Regierung je daran denken können, ihr Veto implicite darin auszugeben. Auch die That¬ sache, daß die italienischen Fürsten in der Zeit der Zersplitterung Italiens das Recht der Exclusive nicht ausgeübt haben, läßt sich nicht gegen den An¬ spruch auf dieses Recht von Seiten Victor Emanuel^s geltend machen; denn die meisten dieser Fürsten standen im Lehensverhältnisse zum Papste. Gleich unzweifelhaft wie das Vetorecht des Königs von Italien ist das des Oberhauptes der im deutschen Reiche wieder vereinigten deutschen Nation. Der Glaube, zu welchem die Träger staatlicher Würden sich bekennen, kann durchaus keinen Einfluß auf die Stellung ihrer Staaten und ihres eigenen Verhältnisses zur Kirche (als einem Organismus) ausüben. Die Politik Ri¬ chelieu's, Talleyrand's und Guizot's liefern für diese Behauptung Beweise, die zur Genüge bekannt sind. Der Kaiser Wilhelm ist allerdings nicht katholisch, aber er ist das Oberhaupt vieler Millionen von Katholiken und deren Man¬ datar bei einer Papstwahl. Er ist somit durchaus berechtigt, seinen Einfluß bei einer solchen zur Geltung zu bringen. Unlogisch und unnatürlich wäre es, wollte man dem deutschen Kaiser ein Recht vorenthalten, welches dem Kö¬ nig von Spanien, dem nur wenig mehr, und welches dem König von Portu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/358>, abgerufen am 22.12.2024.