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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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dem Europas verzehrt? Hätte der Kaiser nur Zeit gehabt: er wäre wol
gern dem frechen Rathe gefolgt, den einst der herzlose Cardinal Fleury dem
Prinzen Conti ertheilt hat: "II suKt ä'avoir un Komme cgMdle ac portei-
un mousguot. I^es premieres e^mvagues lor>t le reste an onoix, on it s'en-
äuroit et s'instruit, on it meurt." Aber Napoleon hatte nicht Zeit zu diesem
frivolen Experiment; fast die ganze Armee starb ihm dahin als wahre entends
dei-ridles; und wenn die Mannschaft auch älter gewesen, wenn dann auch
weniger gefallen und gestorben wären -- glaubt man. daß der faktische
Widerstand ein wesentlich größerer gewesen wäre. Wir glauben es nicht.
Mit noch mehr Recht als "Ich brauche Männer!" hätte Napoleon sagen
dürfen: "Ich brauche Soldaten, keine Rekruten!" Waren es doch allein
die wenigen wirklichen Soldaten, welche er besaß, die Grenadiere und Chasseurs
der alten Garde, welche es ihm möglich machten, bei Hanau sich den Rück¬
weg nach Frankreich zu erkämpfen! -- Daran, daß seinem Heere die Dis¬
ciplin fehlte, daß es an jener Ordnung und Methode gebrach, die später den
alten Blücher befähigte, nach dem Tage von Ligny dem englischen Heere bei
Belle Alliance die Bruderhand zu reichen, daran ging der gewaltige Schlach¬
tenkaiser zu Grunde! --

Wenn man zusammenrechnet, wie viel Mannschaften in der Zeit vom
22. September 1812 bis zum 9. Oetober 1813 aufgeboten worden sind, so
ergiebt sich die ungeheuere Summe von 987,000 Mann. "Niraele yue cette
ere^lion!" ruft der Herzog von Aumale aus. "Nais les miraeles des dom-
ines meines les plus granäs ont une limite, et les xeuvles axprerment Mr
ac eruelles leyMs ü, mesurer 1a üistimee, gui Seps-re "les Kommes xrovi-
äentiels" as 1a?roviäenee."

Für das Verhältniß Frankreichs zur allgemeinen Wehr¬
pflicht ist der Feldzug des Jahres 1813 in hohem Maße bezeichnend und
interessant. Denn während desselben bestand, wie wir dargelegt haben, die
allgemeine Wehrpflicht in der That. Sie wurde praktisch zur Geltung gebracht,
aber sie war weder principiell und gesetzlich angenommen, noch war sie orga¬
nisch vorbereitet. Sie gewährte daher auch keineswegs Das, was sie leisten
kann, wenn sie eine integrirende Einrichtung des Staats- und Volkslebens
geworden ist. Und wie in dieser fundamentalen Voraussetzung der Institution
schon damals Frankreich von Preußen überflügelt wurde, so war auch der
militärische Geist der französischen Nation dem des preußischen Volkes ent¬
schieden untergeordnet. -- Allerdings haben die jungen Conscrits sich keines¬
wegs schlecht geschlagen; aber wenn auch im Gefecht die kriegerischen Flammen
emporloderten -- nachhaltige Gluth tieferer Begeisterung fehlte diesen Menschen¬
massen nicht weniger, als ihnen die soldatische Erziehung und damit der stützende
Halt in Entbehrung, Sorge und Zweifel gebrach. Der Mangel an Mannes-


dem Europas verzehrt? Hätte der Kaiser nur Zeit gehabt: er wäre wol
gern dem frechen Rathe gefolgt, den einst der herzlose Cardinal Fleury dem
Prinzen Conti ertheilt hat: „II suKt ä'avoir un Komme cgMdle ac portei-
un mousguot. I^es premieres e^mvagues lor>t le reste an onoix, on it s'en-
äuroit et s'instruit, on it meurt." Aber Napoleon hatte nicht Zeit zu diesem
frivolen Experiment; fast die ganze Armee starb ihm dahin als wahre entends
dei-ridles; und wenn die Mannschaft auch älter gewesen, wenn dann auch
weniger gefallen und gestorben wären — glaubt man. daß der faktische
Widerstand ein wesentlich größerer gewesen wäre. Wir glauben es nicht.
Mit noch mehr Recht als „Ich brauche Männer!" hätte Napoleon sagen
dürfen: „Ich brauche Soldaten, keine Rekruten!" Waren es doch allein
die wenigen wirklichen Soldaten, welche er besaß, die Grenadiere und Chasseurs
der alten Garde, welche es ihm möglich machten, bei Hanau sich den Rück¬
weg nach Frankreich zu erkämpfen! — Daran, daß seinem Heere die Dis¬
ciplin fehlte, daß es an jener Ordnung und Methode gebrach, die später den
alten Blücher befähigte, nach dem Tage von Ligny dem englischen Heere bei
Belle Alliance die Bruderhand zu reichen, daran ging der gewaltige Schlach¬
tenkaiser zu Grunde! —

Wenn man zusammenrechnet, wie viel Mannschaften in der Zeit vom
22. September 1812 bis zum 9. Oetober 1813 aufgeboten worden sind, so
ergiebt sich die ungeheuere Summe von 987,000 Mann. „Niraele yue cette
ere^lion!" ruft der Herzog von Aumale aus. „Nais les miraeles des dom-
ines meines les plus granäs ont une limite, et les xeuvles axprerment Mr
ac eruelles leyMs ü, mesurer 1a üistimee, gui Seps-re „les Kommes xrovi-
äentiels" as 1a?roviäenee."

Für das Verhältniß Frankreichs zur allgemeinen Wehr¬
pflicht ist der Feldzug des Jahres 1813 in hohem Maße bezeichnend und
interessant. Denn während desselben bestand, wie wir dargelegt haben, die
allgemeine Wehrpflicht in der That. Sie wurde praktisch zur Geltung gebracht,
aber sie war weder principiell und gesetzlich angenommen, noch war sie orga¬
nisch vorbereitet. Sie gewährte daher auch keineswegs Das, was sie leisten
kann, wenn sie eine integrirende Einrichtung des Staats- und Volkslebens
geworden ist. Und wie in dieser fundamentalen Voraussetzung der Institution
schon damals Frankreich von Preußen überflügelt wurde, so war auch der
militärische Geist der französischen Nation dem des preußischen Volkes ent¬
schieden untergeordnet. — Allerdings haben die jungen Conscrits sich keines¬
wegs schlecht geschlagen; aber wenn auch im Gefecht die kriegerischen Flammen
emporloderten — nachhaltige Gluth tieferer Begeisterung fehlte diesen Menschen¬
massen nicht weniger, als ihnen die soldatische Erziehung und damit der stützende
Halt in Entbehrung, Sorge und Zweifel gebrach. Der Mangel an Mannes-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/342>, abgerufen am 29.09.2024.