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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Katzbach zur Seite und reihten sich die Schläge von Kulm und Denn ewitz
unmittelbar an. Napoleon's Gestirne begannen zu erbleichen. Der höchste
Werth jener Siege für die Verbündeten lag darin, daß sie das moralische
Element, das Zutrauen, die Begeisterung des Preußischen Volkes unbeschreib¬
lich stärkten; aber auch die materiellen Resultate ergaben sich groß. Bei
Großbeeren verfiel das VII. Corps völliger Deroute; an der Katzbach
war die Flucht so allgemein, daß sogar vom III. Corps, das kaum gefochten
hatte, ganze Banden den angeschwollenen Bober durchschwammen und zum
Theil darin ertranken. Mit geübten und tüchtigen Soldaten wäre die Schlacht
an der Katzbach wol auch verloren worden; aber der Schaden wäre her¬
stellbar gewesen, jetzt war die Folge des Rückzugs die völlige Zerstörung der
Division Puthod. Mehr als 100 Kanonen und an 30.000 Mann gingen
verloren. So gewöhnt hatte man sich übrigens seit Rußland, jedes Unheil
auf die Elemente zu schieben, daß Macdonald's Rapport an Berthier mit den
Worten begann: "-!' al ig, äouleur, ä' iniormsr Votrg ^Itesss, yue los xluios
ont oeeasionvö uns sueesssiort us ä6sastres, gui ins vo-prend 1e eosur ....
^iz v'al xu prevoir, ol mMrissr los Äöments; ils sont cause 6e tous nos
mMeurs." Macdonald beschwor den Kaiser, selbst zu kommen und in seiner
wankenden Armee zum Rechten zu sehn. In der That ging Napoleon mit
der Garde und dem VI. Corps nach Bautzen vor; aber da er Blücher nicht
erreichen konnte, so blieb er nur wenige Tage und hatte nicht Zeit, ernstlich
für die Herstellung von Macdonald's Armee zu wirken. Der Tagesbefehl aber,
mit welchem er sie verließ, läßt erkennen, wie furchtbar sie namentlich von
der Krankheit der Desertion ergriffen war. Napoleon befahl, alle Ver¬
einzelten zu sammeln und von je Zehn einen zu erschießen. Er war in ent¬
setzlicher Stimmung, und wenn ihm die Truppen Macdonald's in bunten
Haufen, bleich, zerlumpt, ja zuweilen unbewaffnet entgegengelaufen kamen, so
schimpfte er sie "Gesindel", oder höhnte die Generale, daß sie "Canaillen"
kommandirten. -- Nicht anders als in Schlesien lagen die Dinge in Böhmen
und in der Mark. Bei Kulm war das I. Armee-Corps (Vandamme)
"öerasv"; nur mit Mühe vermochte der General Lobau 7000 Mann davon
zu sammeln, und bei Dennewitz schmolz das XII. Armee-Corps gar bis
auf 4000 Mann zusammen. Wie bei Großbeeren versuchten die Franzosen
(und noch heut versucht es selbst Roussel) die Schuld des Verlustes auf die
Sachsen und Bayern zu schieben, welche, Thiers zufolge, toutes Mmbos"
geflohen seien, und doch steht actenmäßig das Gegentheil fest: Polen und
Rheinbündler schlugen sich bei Weitem am besten, die Franzosen und nament¬
lich die Italiener waren dagegen tief erschüttert in ihrer Haltung und zwar
nicht nur die jungen Conseribirten. Ney berichtet vielmehr an Berthier:
"Ils mora! ach Löneraux, et gvnäral lies oKeiei'Sz est LinAulivrsmönt


Katzbach zur Seite und reihten sich die Schläge von Kulm und Denn ewitz
unmittelbar an. Napoleon's Gestirne begannen zu erbleichen. Der höchste
Werth jener Siege für die Verbündeten lag darin, daß sie das moralische
Element, das Zutrauen, die Begeisterung des Preußischen Volkes unbeschreib¬
lich stärkten; aber auch die materiellen Resultate ergaben sich groß. Bei
Großbeeren verfiel das VII. Corps völliger Deroute; an der Katzbach
war die Flucht so allgemein, daß sogar vom III. Corps, das kaum gefochten
hatte, ganze Banden den angeschwollenen Bober durchschwammen und zum
Theil darin ertranken. Mit geübten und tüchtigen Soldaten wäre die Schlacht
an der Katzbach wol auch verloren worden; aber der Schaden wäre her¬
stellbar gewesen, jetzt war die Folge des Rückzugs die völlige Zerstörung der
Division Puthod. Mehr als 100 Kanonen und an 30.000 Mann gingen
verloren. So gewöhnt hatte man sich übrigens seit Rußland, jedes Unheil
auf die Elemente zu schieben, daß Macdonald's Rapport an Berthier mit den
Worten begann: „-!' al ig, äouleur, ä' iniormsr Votrg ^Itesss, yue los xluios
ont oeeasionvö uns sueesssiort us ä6sastres, gui ins vo-prend 1e eosur ....
^iz v'al xu prevoir, ol mMrissr los Äöments; ils sont cause 6e tous nos
mMeurs." Macdonald beschwor den Kaiser, selbst zu kommen und in seiner
wankenden Armee zum Rechten zu sehn. In der That ging Napoleon mit
der Garde und dem VI. Corps nach Bautzen vor; aber da er Blücher nicht
erreichen konnte, so blieb er nur wenige Tage und hatte nicht Zeit, ernstlich
für die Herstellung von Macdonald's Armee zu wirken. Der Tagesbefehl aber,
mit welchem er sie verließ, läßt erkennen, wie furchtbar sie namentlich von
der Krankheit der Desertion ergriffen war. Napoleon befahl, alle Ver¬
einzelten zu sammeln und von je Zehn einen zu erschießen. Er war in ent¬
setzlicher Stimmung, und wenn ihm die Truppen Macdonald's in bunten
Haufen, bleich, zerlumpt, ja zuweilen unbewaffnet entgegengelaufen kamen, so
schimpfte er sie „Gesindel", oder höhnte die Generale, daß sie „Canaillen"
kommandirten. — Nicht anders als in Schlesien lagen die Dinge in Böhmen
und in der Mark. Bei Kulm war das I. Armee-Corps (Vandamme)
„öerasv"; nur mit Mühe vermochte der General Lobau 7000 Mann davon
zu sammeln, und bei Dennewitz schmolz das XII. Armee-Corps gar bis
auf 4000 Mann zusammen. Wie bei Großbeeren versuchten die Franzosen
(und noch heut versucht es selbst Roussel) die Schuld des Verlustes auf die
Sachsen und Bayern zu schieben, welche, Thiers zufolge, toutes Mmbos"
geflohen seien, und doch steht actenmäßig das Gegentheil fest: Polen und
Rheinbündler schlugen sich bei Weitem am besten, die Franzosen und nament¬
lich die Italiener waren dagegen tief erschüttert in ihrer Haltung und zwar
nicht nur die jungen Conseribirten. Ney berichtet vielmehr an Berthier:
„Ils mora! ach Löneraux, et gvnäral lies oKeiei'Sz est LinAulivrsmönt


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[0338] Katzbach zur Seite und reihten sich die Schläge von Kulm und Denn ewitz unmittelbar an. Napoleon's Gestirne begannen zu erbleichen. Der höchste Werth jener Siege für die Verbündeten lag darin, daß sie das moralische Element, das Zutrauen, die Begeisterung des Preußischen Volkes unbeschreib¬ lich stärkten; aber auch die materiellen Resultate ergaben sich groß. Bei Großbeeren verfiel das VII. Corps völliger Deroute; an der Katzbach war die Flucht so allgemein, daß sogar vom III. Corps, das kaum gefochten hatte, ganze Banden den angeschwollenen Bober durchschwammen und zum Theil darin ertranken. Mit geübten und tüchtigen Soldaten wäre die Schlacht an der Katzbach wol auch verloren worden; aber der Schaden wäre her¬ stellbar gewesen, jetzt war die Folge des Rückzugs die völlige Zerstörung der Division Puthod. Mehr als 100 Kanonen und an 30.000 Mann gingen verloren. So gewöhnt hatte man sich übrigens seit Rußland, jedes Unheil auf die Elemente zu schieben, daß Macdonald's Rapport an Berthier mit den Worten begann: „-!' al ig, äouleur, ä' iniormsr Votrg ^Itesss, yue los xluios ont oeeasionvö uns sueesssiort us ä6sastres, gui ins vo-prend 1e eosur .... ^iz v'al xu prevoir, ol mMrissr los Äöments; ils sont cause 6e tous nos mMeurs." Macdonald beschwor den Kaiser, selbst zu kommen und in seiner wankenden Armee zum Rechten zu sehn. In der That ging Napoleon mit der Garde und dem VI. Corps nach Bautzen vor; aber da er Blücher nicht erreichen konnte, so blieb er nur wenige Tage und hatte nicht Zeit, ernstlich für die Herstellung von Macdonald's Armee zu wirken. Der Tagesbefehl aber, mit welchem er sie verließ, läßt erkennen, wie furchtbar sie namentlich von der Krankheit der Desertion ergriffen war. Napoleon befahl, alle Ver¬ einzelten zu sammeln und von je Zehn einen zu erschießen. Er war in ent¬ setzlicher Stimmung, und wenn ihm die Truppen Macdonald's in bunten Haufen, bleich, zerlumpt, ja zuweilen unbewaffnet entgegengelaufen kamen, so schimpfte er sie „Gesindel", oder höhnte die Generale, daß sie „Canaillen" kommandirten. — Nicht anders als in Schlesien lagen die Dinge in Böhmen und in der Mark. Bei Kulm war das I. Armee-Corps (Vandamme) „öerasv"; nur mit Mühe vermochte der General Lobau 7000 Mann davon zu sammeln, und bei Dennewitz schmolz das XII. Armee-Corps gar bis auf 4000 Mann zusammen. Wie bei Großbeeren versuchten die Franzosen (und noch heut versucht es selbst Roussel) die Schuld des Verlustes auf die Sachsen und Bayern zu schieben, welche, Thiers zufolge, toutes Mmbos" geflohen seien, und doch steht actenmäßig das Gegentheil fest: Polen und Rheinbündler schlugen sich bei Weitem am besten, die Franzosen und nament¬ lich die Italiener waren dagegen tief erschüttert in ihrer Haltung und zwar nicht nur die jungen Conseribirten. Ney berichtet vielmehr an Berthier: „Ils mora! ach Löneraux, et gvnäral lies oKeiei'Sz est LinAulivrsmönt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/338>, abgerufen am 22.07.2024.