Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.ständig zunehmende schamlose Desertion. Jene übermäßigen Schmeicheleien Dieser Zustand seines Heeres war es vorzugsweise, welcher den Kaiser Um die Disciplin besser aufrecht erhalten zu können und das Gefühl Unterdessen zogen aus Frankreich unaufhörlich neue Menschenmassen ') Der Kaiser an den General Clarke. Neumarkt 2. Juni I8IJ. vorrc-gp. t. XXV. Graf Daru an Graf Dumas, Generalintendanten der Armee. 1Z. Juni 18lZ.
ständig zunehmende schamlose Desertion. Jene übermäßigen Schmeicheleien Dieser Zustand seines Heeres war es vorzugsweise, welcher den Kaiser Um die Disciplin besser aufrecht erhalten zu können und das Gefühl Unterdessen zogen aus Frankreich unaufhörlich neue Menschenmassen ') Der Kaiser an den General Clarke. Neumarkt 2. Juni I8IJ. vorrc-gp. t. XXV. Graf Daru an Graf Dumas, Generalintendanten der Armee. 1Z. Juni 18lZ.
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ständig zunehmende schamlose Desertion. Jene übermäßigen Schmeicheleien
aber und der Rausch erster Erfolge steigerten nicht nur das militärische Selbst¬
gefühl der jungen Soldaten, sondern auch den Eigendünkel und die Verachtung
der unbegriffenen Regeln, mit ihnen aber die verhängnißvolle Jndisciplin. Und
durch welche Verluste mußte man jeden Erfolg erkaufen! Ney's Corps z. B.
welches mit 48,000 Combattanten in die Schlacht von Lützen eintrat, verlor
15.600 Mann — ein Drittel seiner Stärke, und ähnlich stand es bei den andern
Corps. Bei Bautzen, wo sich der Erfolg lediglich auf die Eroberung des
Schlachtfeldes beschränkte, verloren die Verbündeten höchstens 15,000, die Fran¬
zosen aber 25,000 Mann, und in tiefer Erbitterung rief Napoleon aus: „Nach
einer solchen Schlächterei kein Resultat, keine Gefangnen! Diese Leute werden
mir nicht einen Nagel übrig lassen!" — Zu keiner Zeit hatte er die Ver¬
luste so ängstlich zählen müssen und niemals waren sie so groß gewesen wie
jetzt. Und wie viel litt die Armee unter der physischen Schwäche, unter dem
Mangel der Kriegsgewohnheit ihrer jungen Soldaten! Sie schlugen sich nicht
schlecht; aber nach kurzem Aufschwung sanken sie schlaff zusammen! eine nachhal¬
tige Verfolgung wie nach Austerlitz etwa, wäre ihnen völlig unmöglich gewesen.
Dieser Zustand seines Heeres war es vorzugsweise, welcher den Kaiser
für den Abschluß des Waffenstillstands geneigt machte. Er hoffte den¬
selben bis September hinauszuziehen, um dann, mit gefestigter Kraft, erholten
und geübten Truppen und verstärkter Reiterei, große entscheidende Schläge
zu thun.*)
Um die Disciplin besser aufrecht erhalten zu können und das Gefühl
militärischer Zusammengehörigkeit zu steigern, wurden die Truppen während
des Stillstands nicht in Cantonnements, sondern meist in Barackenlagern
vereinigt. Neben straffem Exercitium sollten sie Scheibenschießen und Spiele
beschäftigen und erheitern; aber die für junge, noch im Wachsthum begriffene
Menschen unzureichende Nahrung, sowie die Unregelmäßigkeit der Besoldung
vereitelten viel von dem gehofften Erfolg; ja als Rückschlag gegen die vorher¬
gegangene gewaltsame Anspannung brachen bei den Truppen während der
Ruhe sich weitverbreitende Krankheiten aus. Das dritte Corps z. B., welches
40,000 Mann zählte, hatte mehr als die Hälfte (26,000) in den Lazarethen.
Dabei kamen Selbstverstümmelungen an der rechten Hand oder dem Unter¬
arm, um sich dienstunbrauchbar zu machen, so häufig vor. daß das Dresdener
Hospital damals allein 2128 solcher Fälle registrirte. **)
Unterdessen zogen aus Frankreich unaufhörlich neue Menschenmassen
hervor: links des Rheins Recruten, rechts desselben Soldaten genannt, welche
') Der Kaiser an den General Clarke. Neumarkt 2. Juni I8IJ. vorrc-gp. t. XXV.
Graf Daru an Graf Dumas, Generalintendanten der Armee. 1Z. Juni 18lZ.
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