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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Conseribirten gebildet waren, befanden sich in weit schlimmerer Lage. Man
muß sich vergegenwärtigen, daß von den 673,000 Mann, welche Napoleon in
Frankreich vom Januar bis zum April 1813 aufbrachte, nur die 5000 Mann
der Garde von Paris, resp, der Departements den Krieg kannten -- alle
anderen waren Neulinge, und zwei Drittel der Gesammtzahl hatten ein geringeres
Alter als 20 Jahr.

Wenn es nun auch nicht an guten Jnstructeuren in den Depots fehlte,
so mangelte doch durchaus die Zeit zur Ausbildung; nach 14 Tagen
bis 3 Wochen höchstens mußten die Conseribirten zur Armee abrücken, und
da den Depots die Verpflichtung oblag, den Regimentern ihren Ersatz zuzu¬
führen, so war der beste Theil ihrer Officiere und Unterofficiere beständig
unterwegs und ging für die Ausbildungsarbeit fast verloren. "I/instruction
ost xres-ML nullo" ist der gewöhnliche Ausspruch der Generale, welche die Zu¬
züge in Mainz oder Magdeburg inspicirten. Bis zum Peloton-Exercitium
vorgeschritten zu sein, galt als eine außerordentliche Leistung. Zu diesen
Uebelständen gesellte sich dann noch der eines außerordentlichen Abgangs.
Beispielsweise ließ ein Detachement des 72. Regiments von 600 Mann Aus¬
rückestärke schon zu Brüssel 100 Mann im Lazarett), während es 200 andere
als "zu schwach für die Fatiguen des Krieges" ebendort zurücklassen mußte. --
Von 950 Conseribirten des Jahres 1813, welche das Depot des 132. Regiments
erhalten hatte, lagen bereits im Februar 300 im Lazarett) von La Rochelle,
und die Sterblichkeit unter diesen war ganz enorm. Dazu kamen noch moralische
Eindrücke schlimmer Art. Immer wieder mahnen die Generale Kellermann
von Mainz, Lauriston von Magdeburg aus, die Zuzüge so zu dirigiren, daß
die Rekruten so wenig wie irgend möglich mit den Trümmern der aus Ru߬
land zurückkehrenden Regimenter zusammentrafen; denn das Beispiel und der
Anblick dieser elenden, auf erfrorenen Füßen forttaumelnden Landsleute, welche
den Krieg haßten und niemals die Disciplin gekannt hätten, wäre ansteckend
und verwildere die junge Mannschaft. Solche Einflüße waren um so bedenk¬
licher, als die Cadres der neuen Truppentheile ungemein schwach waren. Zu
Erfurt sollten durch die Conseribirten des Jahrgangs 1813 die zweiten Batail¬
lone von 28 Regimentern der Großen Armee reorganisirt werden; bei den vier
ersten, mit denen man begann, fehlten aber allein 20 Officiere, 257 Unter¬
officiere -- und so stand es fast allenthalben.

Die genannten 28 zweiten Bataillone und die vier Oberservationscorps
absorbirten die Aushebung von 1813 vollständigst; zur Completirung der ersten,
dritten und vierten Bataillone jener 28 Regimenter wurden die Ik-vos ach
<iua.er" ein-ssW und die aus Spanien gezogenen Cadres bestimmt. Dabei
steigerten sich die Schwierigkeiten noch; denn nun begann es an Ausrüstung
und Bekleidung zu fehlen. In Folge dieses Mangels mußten viele Depots


Conseribirten gebildet waren, befanden sich in weit schlimmerer Lage. Man
muß sich vergegenwärtigen, daß von den 673,000 Mann, welche Napoleon in
Frankreich vom Januar bis zum April 1813 aufbrachte, nur die 5000 Mann
der Garde von Paris, resp, der Departements den Krieg kannten — alle
anderen waren Neulinge, und zwei Drittel der Gesammtzahl hatten ein geringeres
Alter als 20 Jahr.

Wenn es nun auch nicht an guten Jnstructeuren in den Depots fehlte,
so mangelte doch durchaus die Zeit zur Ausbildung; nach 14 Tagen
bis 3 Wochen höchstens mußten die Conseribirten zur Armee abrücken, und
da den Depots die Verpflichtung oblag, den Regimentern ihren Ersatz zuzu¬
führen, so war der beste Theil ihrer Officiere und Unterofficiere beständig
unterwegs und ging für die Ausbildungsarbeit fast verloren. „I/instruction
ost xres-ML nullo" ist der gewöhnliche Ausspruch der Generale, welche die Zu¬
züge in Mainz oder Magdeburg inspicirten. Bis zum Peloton-Exercitium
vorgeschritten zu sein, galt als eine außerordentliche Leistung. Zu diesen
Uebelständen gesellte sich dann noch der eines außerordentlichen Abgangs.
Beispielsweise ließ ein Detachement des 72. Regiments von 600 Mann Aus¬
rückestärke schon zu Brüssel 100 Mann im Lazarett), während es 200 andere
als „zu schwach für die Fatiguen des Krieges" ebendort zurücklassen mußte. —
Von 950 Conseribirten des Jahres 1813, welche das Depot des 132. Regiments
erhalten hatte, lagen bereits im Februar 300 im Lazarett) von La Rochelle,
und die Sterblichkeit unter diesen war ganz enorm. Dazu kamen noch moralische
Eindrücke schlimmer Art. Immer wieder mahnen die Generale Kellermann
von Mainz, Lauriston von Magdeburg aus, die Zuzüge so zu dirigiren, daß
die Rekruten so wenig wie irgend möglich mit den Trümmern der aus Ru߬
land zurückkehrenden Regimenter zusammentrafen; denn das Beispiel und der
Anblick dieser elenden, auf erfrorenen Füßen forttaumelnden Landsleute, welche
den Krieg haßten und niemals die Disciplin gekannt hätten, wäre ansteckend
und verwildere die junge Mannschaft. Solche Einflüße waren um so bedenk¬
licher, als die Cadres der neuen Truppentheile ungemein schwach waren. Zu
Erfurt sollten durch die Conseribirten des Jahrgangs 1813 die zweiten Batail¬
lone von 28 Regimentern der Großen Armee reorganisirt werden; bei den vier
ersten, mit denen man begann, fehlten aber allein 20 Officiere, 257 Unter¬
officiere — und so stand es fast allenthalben.

Die genannten 28 zweiten Bataillone und die vier Oberservationscorps
absorbirten die Aushebung von 1813 vollständigst; zur Completirung der ersten,
dritten und vierten Bataillone jener 28 Regimenter wurden die Ik-vos ach
<iua.er« ein-ssW und die aus Spanien gezogenen Cadres bestimmt. Dabei
steigerten sich die Schwierigkeiten noch; denn nun begann es an Ausrüstung
und Bekleidung zu fehlen. In Folge dieses Mangels mußten viele Depots


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/332>, abgerufen am 22.07.2024.