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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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3) aus 10000 jungen Leuten von Familie, die sich bisher durch Stellvertretung
dem persönlichen Dienste entzogen hatten und die der Kaiser nun doppelt
zu besteuern dachte, indem er ihre Eltern nöthigte, die Söhne in sechs
Escadrons Garde-du-Corps einzureihen und Jedem 1000 Francs Zulage zu
zahlen. -- Es ist bezeichnend für die wachsende Unzufriedenheit in Frank-
reich, daß diese "Ehrengarden" in der Armee ganz allgemein den Bei¬
namen der owges d. h. der Geißeln führte.

Diese Hülfsaushebung von 180000 Mann ist ein höchst merkwürdiges
Ereigniß in der Geschichte des französischen Wehrthums. In ihr bricht, der
Noth des Augenblickes gegenüber, die allgemeine Wehrpflicht, wenn
auch nur in beschränktem Sinne, thatsächlich wieder durch.

Die Opfer, welche Frankreich in diesem Augenblicke brachte, waren außer¬
ordentlich groß; es war, um eine ganz neue Heeresrüstung zu schaffen, eine
Milliarde nöthig, und um diese aufzubringen, bedürfte es, trotz all der unge¬
heueren Summen, die ja doch als Beute und Raub nach Frankreich geflossen
waren, bei dem tiefen Mißtrauen, welches alle Geldkreise erfüllte, der gewalt¬
samsten Mittel. Dem nationalen Leben schlugen diese fast gleich tiefe Wunden
wie die immer neuen Aushebungen von Menschen.

Das Heer aber, das mit all diesen Opfern aufgebracht wurde, konnte
natürlich immerhin nichts anderes sein, als eine ungeheuere Improvisation. --
Formirt waren gegen Anfang März von den neu aufgestellten Truppen etwa
2S0000 Mann: 78000 Mann der Kohorten und 170000 Mann Aushebung
von 1813 in Frankreich (148 Bataillone) und Italien (66 Bataillone) nebst
den erwähnten kleineren Gestaltungen. Wie schon mitgetheilt, waren die aus
den Cohorten gebildeten Regimenter in ein Observations-Corps der
Elbe (Lauriston) und ein 1. Observationscorps des Rheins (Ney)
eingetheilt worden; das letztere war dann durch Mannschaften des Jahrgangs
1813 auf 40000 Mann gebracht worden, während ein 2. Observations-
corps des Rheins (Marmont) von 20000Mann und das Observations-
corps von Italien (Bertrand), etwa 30000 Mann stark, fast durchweg
aus jungen Conseribirten bestanden. -- Diese Observationscorps hielten die
Lande des Rheinbundes fest und zwangen sie zu erneuter Heeresfolge, und
hinter ihrem Schleier vollzogen sich die weiteren Neu-Formationen, die je
länger je mehr auf immer größere Unzulänglichkeiten, auf immer peinlichere
Hindernisse stießen.

Unendlich schwierig lagen besonders in diesem Augenblicke die Verhält¬
nisse der militärischen Erziehung und Ausbildung. Wir haben
bereits der Excesse und des Officiermangels bet den Kohorten gedacht. Diese
bestanden aber doch immerhin aus den besseren und älteren (d. h. 9 bis 10
Monat exercirten) Elementen; die andern Corps, welche fast ausschließlich aus


3) aus 10000 jungen Leuten von Familie, die sich bisher durch Stellvertretung
dem persönlichen Dienste entzogen hatten und die der Kaiser nun doppelt
zu besteuern dachte, indem er ihre Eltern nöthigte, die Söhne in sechs
Escadrons Garde-du-Corps einzureihen und Jedem 1000 Francs Zulage zu
zahlen. — Es ist bezeichnend für die wachsende Unzufriedenheit in Frank-
reich, daß diese „Ehrengarden" in der Armee ganz allgemein den Bei¬
namen der owges d. h. der Geißeln führte.

Diese Hülfsaushebung von 180000 Mann ist ein höchst merkwürdiges
Ereigniß in der Geschichte des französischen Wehrthums. In ihr bricht, der
Noth des Augenblickes gegenüber, die allgemeine Wehrpflicht, wenn
auch nur in beschränktem Sinne, thatsächlich wieder durch.

Die Opfer, welche Frankreich in diesem Augenblicke brachte, waren außer¬
ordentlich groß; es war, um eine ganz neue Heeresrüstung zu schaffen, eine
Milliarde nöthig, und um diese aufzubringen, bedürfte es, trotz all der unge¬
heueren Summen, die ja doch als Beute und Raub nach Frankreich geflossen
waren, bei dem tiefen Mißtrauen, welches alle Geldkreise erfüllte, der gewalt¬
samsten Mittel. Dem nationalen Leben schlugen diese fast gleich tiefe Wunden
wie die immer neuen Aushebungen von Menschen.

Das Heer aber, das mit all diesen Opfern aufgebracht wurde, konnte
natürlich immerhin nichts anderes sein, als eine ungeheuere Improvisation. —
Formirt waren gegen Anfang März von den neu aufgestellten Truppen etwa
2S0000 Mann: 78000 Mann der Kohorten und 170000 Mann Aushebung
von 1813 in Frankreich (148 Bataillone) und Italien (66 Bataillone) nebst
den erwähnten kleineren Gestaltungen. Wie schon mitgetheilt, waren die aus
den Cohorten gebildeten Regimenter in ein Observations-Corps der
Elbe (Lauriston) und ein 1. Observationscorps des Rheins (Ney)
eingetheilt worden; das letztere war dann durch Mannschaften des Jahrgangs
1813 auf 40000 Mann gebracht worden, während ein 2. Observations-
corps des Rheins (Marmont) von 20000Mann und das Observations-
corps von Italien (Bertrand), etwa 30000 Mann stark, fast durchweg
aus jungen Conseribirten bestanden. — Diese Observationscorps hielten die
Lande des Rheinbundes fest und zwangen sie zu erneuter Heeresfolge, und
hinter ihrem Schleier vollzogen sich die weiteren Neu-Formationen, die je
länger je mehr auf immer größere Unzulänglichkeiten, auf immer peinlichere
Hindernisse stießen.

Unendlich schwierig lagen besonders in diesem Augenblicke die Verhält¬
nisse der militärischen Erziehung und Ausbildung. Wir haben
bereits der Excesse und des Officiermangels bet den Kohorten gedacht. Diese
bestanden aber doch immerhin aus den besseren und älteren (d. h. 9 bis 10
Monat exercirten) Elementen; die andern Corps, welche fast ausschließlich aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/331>, abgerufen am 22.07.2024.