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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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sein mochte, so waren sie doch vollständig ohne Autorität. Verloddert
und vereinzelt fand der Marschall Lefebvre 6 Kohorten auf der Straße von
Paris nach Chalons; öffentlich erklärten die Soldaten zweier anderer Cohorten:
sie würden ihre Officiere tödten, wenn sie wagten, an ihrer Spitze durch Paris
zu ziehn, und auf besondere Anordnung Napoleon's wurde Paris von ihnen
umgangen. Massenhaft mußten die Officiere ausgeschieden werden; dadurch aber
wurde der Mangel so groß, daß der General Lauriston kaum vierzehn Tage vor
Ausbruch der Feindseligkeiten dem Kriegsminister berichtete, daß ihm 83 Kapi-
taines und 73 Lieutenants fehlten. "I^e mau^ne as egMainizs oft vrai-
msnt nuisible, ees Meiers sont 1'aus ass eompaZnies." *)

Außer den Cohorten befanden sich in Frankreich eine große Anzahl
dritter und vierter Bataillone solcher Regimenter, die in Spanien
fochten und eine noch größere Menge einzelner Bataillone, die oft seit
Jahren von ihren Regimentern abgezweigt waren und die nun alle am Rhein
und in Italien verwendet werden sollten: die ersteren als regelmäßige Regi¬
menter unter besonderer Nummer, die letzteren, zu je zweien vereinigt, als
provisorische Regimenter. Aber in Wahrheit bildeten diese "Regimenter" nur
schwache Cadres und waren ebenso gut erst auszufüllen, wie die in den
Trümmern der großen Armee zurückerwarteten Cadres. -- Vorläufig stellten
die Ovservationscorps an Elbe und Rhein, also die aus den ehemaligen Cohorten
gebildeten Regimenter, fast allein formfertige Truppen dar.

Was die Herstellung der Cadres aus den Resten der großen Armee be¬
traf, so sah es freilich nicht besonders damit aus. Napoleon hatte erwartet,
daß er aus jedem Regiment den Rahmen für fünf Bataillone bilden könne,
die zu Erfurt und Augsburg aufgestellt werden sollten; aber nachdem der
Mcekönig mit großer Mühe von jedem Regiment der vier ersten Armee-Corps
kaum eine, (sehr selten zwei) Compagnien gesammelt hatte, vermochte er kaum
soviel Officiere und Unterofficiere zurückzuschicken als zur Aufstellung von
höchstens zwei Bataillonen nothwendig waren. Oft aber war auch das nicht
möglich; denn manches Regiment wie z. B. das leichte 33., bestand nur noch
in der Erinnerung; kein einziges Element seiner Cadres war vorhanden. --
Unter solchen Umständen griff der Kaiser nach Spanien, dessen Heer in ver¬
hältnißmäßig günstigen Umständen war und wo ja 88 Regimenter standen.
Er befahl, alle irgend entbehrlichen Cadres oder Fragmente derselben nach
Frankreich zu senden. Hier wurden sie mit Jubel begrüßt und für die Auf¬
stellung der neuen Armee von ganz unschätzbarem Werthe. Ueberaus groß
war der Mangel an Officieren. Zwar mag Bernhardt Recht haben, wenn
er berechnet, daß sich an 1800 dienstfähige Officiere aus Rußland gerettet



-) Roussel a. a. O.

sein mochte, so waren sie doch vollständig ohne Autorität. Verloddert
und vereinzelt fand der Marschall Lefebvre 6 Kohorten auf der Straße von
Paris nach Chalons; öffentlich erklärten die Soldaten zweier anderer Cohorten:
sie würden ihre Officiere tödten, wenn sie wagten, an ihrer Spitze durch Paris
zu ziehn, und auf besondere Anordnung Napoleon's wurde Paris von ihnen
umgangen. Massenhaft mußten die Officiere ausgeschieden werden; dadurch aber
wurde der Mangel so groß, daß der General Lauriston kaum vierzehn Tage vor
Ausbruch der Feindseligkeiten dem Kriegsminister berichtete, daß ihm 83 Kapi-
taines und 73 Lieutenants fehlten. „I^e mau^ne as egMainizs oft vrai-
msnt nuisible, ees Meiers sont 1'aus ass eompaZnies." *)

Außer den Cohorten befanden sich in Frankreich eine große Anzahl
dritter und vierter Bataillone solcher Regimenter, die in Spanien
fochten und eine noch größere Menge einzelner Bataillone, die oft seit
Jahren von ihren Regimentern abgezweigt waren und die nun alle am Rhein
und in Italien verwendet werden sollten: die ersteren als regelmäßige Regi¬
menter unter besonderer Nummer, die letzteren, zu je zweien vereinigt, als
provisorische Regimenter. Aber in Wahrheit bildeten diese „Regimenter" nur
schwache Cadres und waren ebenso gut erst auszufüllen, wie die in den
Trümmern der großen Armee zurückerwarteten Cadres. — Vorläufig stellten
die Ovservationscorps an Elbe und Rhein, also die aus den ehemaligen Cohorten
gebildeten Regimenter, fast allein formfertige Truppen dar.

Was die Herstellung der Cadres aus den Resten der großen Armee be¬
traf, so sah es freilich nicht besonders damit aus. Napoleon hatte erwartet,
daß er aus jedem Regiment den Rahmen für fünf Bataillone bilden könne,
die zu Erfurt und Augsburg aufgestellt werden sollten; aber nachdem der
Mcekönig mit großer Mühe von jedem Regiment der vier ersten Armee-Corps
kaum eine, (sehr selten zwei) Compagnien gesammelt hatte, vermochte er kaum
soviel Officiere und Unterofficiere zurückzuschicken als zur Aufstellung von
höchstens zwei Bataillonen nothwendig waren. Oft aber war auch das nicht
möglich; denn manches Regiment wie z. B. das leichte 33., bestand nur noch
in der Erinnerung; kein einziges Element seiner Cadres war vorhanden. —
Unter solchen Umständen griff der Kaiser nach Spanien, dessen Heer in ver¬
hältnißmäßig günstigen Umständen war und wo ja 88 Regimenter standen.
Er befahl, alle irgend entbehrlichen Cadres oder Fragmente derselben nach
Frankreich zu senden. Hier wurden sie mit Jubel begrüßt und für die Auf¬
stellung der neuen Armee von ganz unschätzbarem Werthe. Ueberaus groß
war der Mangel an Officieren. Zwar mag Bernhardt Recht haben, wenn
er berechnet, daß sich an 1800 dienstfähige Officiere aus Rußland gerettet



-) Roussel a. a. O.
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[0328] sein mochte, so waren sie doch vollständig ohne Autorität. Verloddert und vereinzelt fand der Marschall Lefebvre 6 Kohorten auf der Straße von Paris nach Chalons; öffentlich erklärten die Soldaten zweier anderer Cohorten: sie würden ihre Officiere tödten, wenn sie wagten, an ihrer Spitze durch Paris zu ziehn, und auf besondere Anordnung Napoleon's wurde Paris von ihnen umgangen. Massenhaft mußten die Officiere ausgeschieden werden; dadurch aber wurde der Mangel so groß, daß der General Lauriston kaum vierzehn Tage vor Ausbruch der Feindseligkeiten dem Kriegsminister berichtete, daß ihm 83 Kapi- taines und 73 Lieutenants fehlten. „I^e mau^ne as egMainizs oft vrai- msnt nuisible, ees Meiers sont 1'aus ass eompaZnies." *) Außer den Cohorten befanden sich in Frankreich eine große Anzahl dritter und vierter Bataillone solcher Regimenter, die in Spanien fochten und eine noch größere Menge einzelner Bataillone, die oft seit Jahren von ihren Regimentern abgezweigt waren und die nun alle am Rhein und in Italien verwendet werden sollten: die ersteren als regelmäßige Regi¬ menter unter besonderer Nummer, die letzteren, zu je zweien vereinigt, als provisorische Regimenter. Aber in Wahrheit bildeten diese „Regimenter" nur schwache Cadres und waren ebenso gut erst auszufüllen, wie die in den Trümmern der großen Armee zurückerwarteten Cadres. — Vorläufig stellten die Ovservationscorps an Elbe und Rhein, also die aus den ehemaligen Cohorten gebildeten Regimenter, fast allein formfertige Truppen dar. Was die Herstellung der Cadres aus den Resten der großen Armee be¬ traf, so sah es freilich nicht besonders damit aus. Napoleon hatte erwartet, daß er aus jedem Regiment den Rahmen für fünf Bataillone bilden könne, die zu Erfurt und Augsburg aufgestellt werden sollten; aber nachdem der Mcekönig mit großer Mühe von jedem Regiment der vier ersten Armee-Corps kaum eine, (sehr selten zwei) Compagnien gesammelt hatte, vermochte er kaum soviel Officiere und Unterofficiere zurückzuschicken als zur Aufstellung von höchstens zwei Bataillonen nothwendig waren. Oft aber war auch das nicht möglich; denn manches Regiment wie z. B. das leichte 33., bestand nur noch in der Erinnerung; kein einziges Element seiner Cadres war vorhanden. — Unter solchen Umständen griff der Kaiser nach Spanien, dessen Heer in ver¬ hältnißmäßig günstigen Umständen war und wo ja 88 Regimenter standen. Er befahl, alle irgend entbehrlichen Cadres oder Fragmente derselben nach Frankreich zu senden. Hier wurden sie mit Jubel begrüßt und für die Auf¬ stellung der neuen Armee von ganz unschätzbarem Werthe. Ueberaus groß war der Mangel an Officieren. Zwar mag Bernhardt Recht haben, wenn er berechnet, daß sich an 1800 dienstfähige Officiere aus Rußland gerettet -) Roussel a. a. O.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/328>, abgerufen am 22.07.2024.