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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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patentes an irgendwie tauglich scheinende Bewerber desselben auf die Dauer
des Krieges: an Familiensöhne, junge Beamte, entlassene Officiere, Ausländer
in Masse, und vorzugsweise gern an Schiffscapitäne. Da in wenigen Wochen
viele Tausend Officiere creirt werden mußten, so war es unmöglich, die An-
tecedentien jedes Einzelnen zu prüfen. "Ein früherer Titel, die Empfehlung
durch eine bekannte Persönlichkeit, Zeugnisse, die an Echtheit zu prüfen wir
oft außer Stande waren, bestimmten die Annahme. Wir sahen besondersauf
die militärischen Eigenschaften, und ließen die andern, welche in ruhigen
Zeiten ihre gebührende Rolle spielen, aber auf dem Schlachtfelde wenig gelten,
etwas aus den Augen". Daß unter so günstigen Verhältnissen ein großer
Theil der Herren Polen, des radicalen Italiens u. s. w. eine gut bezahlte
Verwendung für seine freie Zeit suchte, ist nicht zu verwundern.

Die größten Schwierigkeiten bereitete der Regierung Gambettas wol der
Mangel an G eweh r en und Munition. Die Verwaltung vom 10. October
fand das Land ohne Gewehre. Alles concentrirte sich in Metz, Straßburg,
Sedan, Paris und war den Provinzen demnach verloren. Die Staatssabriken
fertigten monatlich nur 15--18000 Stück. So ernannte die Delegation von
Tours gleich bei ihrem Amtsantritt eine Bewaffnungscommission welche be¬
auftragt wurde, auf allen Märkten der Welt Gewehre auszulaufen. Aber
auch diese Commission stand seltsamer Weise nicht unter dem Kriegsministeri¬
um, sondern, völlig unabhängig von diesem unter dem Ministerium der
öffentlichen Arbeiten! In den drei Monaten nach dem 10. October 1870 sind
von ihr 1,200000 Gewehre, außer 300000 Chassepots geliefert und dafür so¬
wie für Munition 200 Millionen Francs verausgabt worden. Natürlich
waren diese Gewehre verschiedenster Art: Hinterlader, Vorderlader, Reming-
tons. Snyders, Springfields, Enfields, ungeänderte und nicht ungeänderte fran¬
zösische Gewehre. Verhältnißmäßig steigerte sich mit der Dauer des Krieges
die Verwirrung in den Modellen, trat das Chassepotgewehr immermehr in
den Hintergrund, wuchs naturgemäß also die Schwierigkeit, für diese verschie¬
denartigsten Gewehre die eigenartige Munition herbei zu schaffen. Selbst
die Anfertigung der Chassepotpatronen, die am 10. October gerade noch für
zehn Tage zureichten, bereitete außerordentliche Schwierigkeiten, da Papiere
und Arbeiter in Paris geblieben waren, und die Bereitung der Zündhütchen
außerhalb Paris nur einem Manne, dem Feuerwerk-Unterchef Chatenay be¬
kannt war. Was unter so schwierigen Verhältnissen industrielle Hochherzig¬
keit, -- wie des Papierfabrikanten Laroche Toubert zu AngoulZme, der seine
ganze Fabrik zur Hülsenfabrikation zur Verfügung stellte -- und die praktische
Erfindungsgabe des Chemikers Maseart vom College de France geleistet haben,
ist höchst bedeutend und bewunderungswürdig. Bald gelangte man bis zur


patentes an irgendwie tauglich scheinende Bewerber desselben auf die Dauer
des Krieges: an Familiensöhne, junge Beamte, entlassene Officiere, Ausländer
in Masse, und vorzugsweise gern an Schiffscapitäne. Da in wenigen Wochen
viele Tausend Officiere creirt werden mußten, so war es unmöglich, die An-
tecedentien jedes Einzelnen zu prüfen. „Ein früherer Titel, die Empfehlung
durch eine bekannte Persönlichkeit, Zeugnisse, die an Echtheit zu prüfen wir
oft außer Stande waren, bestimmten die Annahme. Wir sahen besondersauf
die militärischen Eigenschaften, und ließen die andern, welche in ruhigen
Zeiten ihre gebührende Rolle spielen, aber auf dem Schlachtfelde wenig gelten,
etwas aus den Augen". Daß unter so günstigen Verhältnissen ein großer
Theil der Herren Polen, des radicalen Italiens u. s. w. eine gut bezahlte
Verwendung für seine freie Zeit suchte, ist nicht zu verwundern.

Die größten Schwierigkeiten bereitete der Regierung Gambettas wol der
Mangel an G eweh r en und Munition. Die Verwaltung vom 10. October
fand das Land ohne Gewehre. Alles concentrirte sich in Metz, Straßburg,
Sedan, Paris und war den Provinzen demnach verloren. Die Staatssabriken
fertigten monatlich nur 15—18000 Stück. So ernannte die Delegation von
Tours gleich bei ihrem Amtsantritt eine Bewaffnungscommission welche be¬
auftragt wurde, auf allen Märkten der Welt Gewehre auszulaufen. Aber
auch diese Commission stand seltsamer Weise nicht unter dem Kriegsministeri¬
um, sondern, völlig unabhängig von diesem unter dem Ministerium der
öffentlichen Arbeiten! In den drei Monaten nach dem 10. October 1870 sind
von ihr 1,200000 Gewehre, außer 300000 Chassepots geliefert und dafür so¬
wie für Munition 200 Millionen Francs verausgabt worden. Natürlich
waren diese Gewehre verschiedenster Art: Hinterlader, Vorderlader, Reming-
tons. Snyders, Springfields, Enfields, ungeänderte und nicht ungeänderte fran¬
zösische Gewehre. Verhältnißmäßig steigerte sich mit der Dauer des Krieges
die Verwirrung in den Modellen, trat das Chassepotgewehr immermehr in
den Hintergrund, wuchs naturgemäß also die Schwierigkeit, für diese verschie¬
denartigsten Gewehre die eigenartige Munition herbei zu schaffen. Selbst
die Anfertigung der Chassepotpatronen, die am 10. October gerade noch für
zehn Tage zureichten, bereitete außerordentliche Schwierigkeiten, da Papiere
und Arbeiter in Paris geblieben waren, und die Bereitung der Zündhütchen
außerhalb Paris nur einem Manne, dem Feuerwerk-Unterchef Chatenay be¬
kannt war. Was unter so schwierigen Verhältnissen industrielle Hochherzig¬
keit, — wie des Papierfabrikanten Laroche Toubert zu AngoulZme, der seine
ganze Fabrik zur Hülsenfabrikation zur Verfügung stellte — und die praktische
Erfindungsgabe des Chemikers Maseart vom College de France geleistet haben,
ist höchst bedeutend und bewunderungswürdig. Bald gelangte man bis zur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/300>, abgerufen am 22.07.2024.