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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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die höchste Anerkennung gezollt worden. Nur in Frankreich selbst wird weniger
unbefangen geurtheilt. Für jede Periode verminderten Wohlbehagens oder
gar der Einbuße an Macht und Ehren sucht sich das eitle Volk seinen Prügel¬
knaben. Für die unglücklichen Kämpfe der Provinzen nach Sedan, während
der Belagerung von Paris, heißt dieser Prügelknabe so unzweifelhaft Leon
Gambetta, als bis Sedan Napoleon III. Und in Betreff beider Perioden hat
Herr Trochu die Tribüne der französischen Assemblee für den geeigneten Platz
gehalten, um diese beiden Prügelknaben als solche der Nation zu denunciren,
sich dagegen hinzustellen als den stillen Sieger, den Mann mit dem verkannten
Kriegsplan, der die Weltgeschichte umgeschraubt hätte, wenn er nicht an dem
albernen Eigensinn der Freunde und Feinde und bisweilen auch an der Geo¬
graphie Frankreichs und anderen Elementarverhältnissen gescheitert wäre.
Wir irren wohl nicht, wenn wir aus einer großen Anzahl gegen die Expec-
torationen Trochus gerichteter Noten Freycinets schließen, daß sein gutes
Buch mit zur Strafe dieser eiteln Unfähigkeit geschrieben wurde. Der nächste
Anlaß zu seiner Abfassung ist jedoch wohl die bekannte Kriegsgeschichte "I^g,
premiörs Arm6s Ze Is, I^viro" des Generals et'^.ur"zU<ZL as ?aIaüwL3 gewesen,
der das Mißgeschick aller Provinzialarmeen Frankreichs "der Einmischung des
bürgerlichen Elementes in die Leitung der kriegerischen Operationen" zu¬
schreibt.

In der That hat sich gerade diesem General -- wenn nicht dem fähigsten,
so doch, außer Bourbaki, zweifellos dem gebildetsten Soldaten, über welchen
Gambetta überhaupt zu verfügen hatte -- die Regierung von Tours am
häufigsten und nicht selten in einer wenig liebenswürdigen, barschen und
höhnischen Weise in die militärischen Operationen eingedrängt. Chanzy, Faid-
herbe, Bourbaki (mit Ausnahme der letzten Tage vor dem Uebertritt in die
Schweiz), Garibaldi u. s. w. sind, nach Ausweis des Werkes von Freycinet,
erheblich weniger mit Plänen und Unternehmungen von Tours und Bordeaux
aus behelligt, weit glimpflicher in den Depeschen des Kriegsministers angehaucht
worden. Der Unterschied dieser Behandlung ist mit das Jnteressanteste weil
für die Situation Charakteristischste, was die Schrift Freycinets bietet. d'Au-
relles de Paladines ist keineswegs ein schlechterer Franzose und Stratege ge¬
wesen, als etwa Chanzy oder Garibaldi. Aber er ist der Soldat der alten
Schule, der mit Schmerz und Unmuth sich immer von neuem den Befehl auf¬
gedrungen sieht, seine Truppen, meist eiligst zusammengetriebene Rekruten,
ohne feste Operationsbasis, ohne Reserven und selbst ohne ausreichende Ver¬
pflegungsbestände, ohne Kenntniß der feindlichen Truppenzahl und Stellungen,
ja kaum über die eigene Marschrichtung und das Terrain nothdürftig unter¬
richtet, gegen die siegreiche beste Armee der Welt zu führen. Etwas vom
Fabius Cunetator hat d'Aurelles freilich an sich. 'Aber wenn erM) Anfangs


die höchste Anerkennung gezollt worden. Nur in Frankreich selbst wird weniger
unbefangen geurtheilt. Für jede Periode verminderten Wohlbehagens oder
gar der Einbuße an Macht und Ehren sucht sich das eitle Volk seinen Prügel¬
knaben. Für die unglücklichen Kämpfe der Provinzen nach Sedan, während
der Belagerung von Paris, heißt dieser Prügelknabe so unzweifelhaft Leon
Gambetta, als bis Sedan Napoleon III. Und in Betreff beider Perioden hat
Herr Trochu die Tribüne der französischen Assemblee für den geeigneten Platz
gehalten, um diese beiden Prügelknaben als solche der Nation zu denunciren,
sich dagegen hinzustellen als den stillen Sieger, den Mann mit dem verkannten
Kriegsplan, der die Weltgeschichte umgeschraubt hätte, wenn er nicht an dem
albernen Eigensinn der Freunde und Feinde und bisweilen auch an der Geo¬
graphie Frankreichs und anderen Elementarverhältnissen gescheitert wäre.
Wir irren wohl nicht, wenn wir aus einer großen Anzahl gegen die Expec-
torationen Trochus gerichteter Noten Freycinets schließen, daß sein gutes
Buch mit zur Strafe dieser eiteln Unfähigkeit geschrieben wurde. Der nächste
Anlaß zu seiner Abfassung ist jedoch wohl die bekannte Kriegsgeschichte „I^g,
premiörs Arm6s Ze Is, I^viro" des Generals et'^.ur«zU<ZL as ?aIaüwL3 gewesen,
der das Mißgeschick aller Provinzialarmeen Frankreichs „der Einmischung des
bürgerlichen Elementes in die Leitung der kriegerischen Operationen" zu¬
schreibt.

In der That hat sich gerade diesem General — wenn nicht dem fähigsten,
so doch, außer Bourbaki, zweifellos dem gebildetsten Soldaten, über welchen
Gambetta überhaupt zu verfügen hatte — die Regierung von Tours am
häufigsten und nicht selten in einer wenig liebenswürdigen, barschen und
höhnischen Weise in die militärischen Operationen eingedrängt. Chanzy, Faid-
herbe, Bourbaki (mit Ausnahme der letzten Tage vor dem Uebertritt in die
Schweiz), Garibaldi u. s. w. sind, nach Ausweis des Werkes von Freycinet,
erheblich weniger mit Plänen und Unternehmungen von Tours und Bordeaux
aus behelligt, weit glimpflicher in den Depeschen des Kriegsministers angehaucht
worden. Der Unterschied dieser Behandlung ist mit das Jnteressanteste weil
für die Situation Charakteristischste, was die Schrift Freycinets bietet. d'Au-
relles de Paladines ist keineswegs ein schlechterer Franzose und Stratege ge¬
wesen, als etwa Chanzy oder Garibaldi. Aber er ist der Soldat der alten
Schule, der mit Schmerz und Unmuth sich immer von neuem den Befehl auf¬
gedrungen sieht, seine Truppen, meist eiligst zusammengetriebene Rekruten,
ohne feste Operationsbasis, ohne Reserven und selbst ohne ausreichende Ver¬
pflegungsbestände, ohne Kenntniß der feindlichen Truppenzahl und Stellungen,
ja kaum über die eigene Marschrichtung und das Terrain nothdürftig unter¬
richtet, gegen die siegreiche beste Armee der Welt zu führen. Etwas vom
Fabius Cunetator hat d'Aurelles freilich an sich. 'Aber wenn erM) Anfangs


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/291>, abgerufen am 22.12.2024.