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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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werte die Hand zu bieten, sobald es nur eine greifbare Gestalt gewonnen
haben würde.

Unter solchen wahrhaft christlichen, wenn auch specifischst katholisch ge¬
färbten Einflüssen vollzog sich die innere Formation auch dieses wahrhaft
deutschen und wahrhaft katholischen Bischofs Sedlnitzky und sein Verhängniß
war es eben, daß er das, was ihm das Herz und Gewissen erfüllte, auch in
der Praxis seines Amtes durchzuführen sich gedrungen fühlte in einer Zeit
und Umgebung, die von ganz andern Richtungen beherrscht wurde.

Die französische Revolution vernichtete bei uns in Deutschland ohne
Zweifel sehr viel, was der Vernichtung werth war, aber man darf nicht ver¬
gessen, daß sie, absolut negativ und das vollste Gegentheil von allem positiv
sittlichen Pathos, wie der Volksgeist selbst, der sie gestaltete, auch sehr viel
hoffnungsreiche Keime auf deutschem Boden für immer zerstörte, so daß das
Plus oder Minus ihres Schadens oder Nutzens für Deutschland, wenn man
sich die überflüssige Mühe mit einem solchen geschichtlichen Rechenexempel
machen wollte, für den Unparteiischen und scharf Denkenden sehr zweifelhaft
ist. Zu dem besten, was sie zerstörte, zählt auch jene ideal nationale Tendenz
des deutschen Katholicismus. Einzelne Ausläufer derselben haben sich wohl
noch bis nahe an unsere Tage das Leben fristen können, aber das Gros der
Kirche in Deutschland ist seit der Neuordung der deutschen Zustände nach dem
Sturze Napoleons allmählich und endlich völlig in die Klauen der jesuitischen
Clique gerathen, die von Rom aus ihren Absolutismus in einer Schranken-
losigkeit, wie nie zuvor, in einer wahren Schreckensherrschaft durchzusetzen
wußte. Alle Päpste der Neuzeit sind nichts weiter als die gefügigen Satel¬
liten dieser Clique gewesen, die sich ihres Namens und Reliefs bediente, um
vorzugsweise in Deutschland, als dem instinctiven Hauptzielpunkt ihrer Feind¬
schaft, den Frieden zwischen den Confessionen, das gute Vernehmen zwischen
Kirche und Staat zu erschüttern und endlich zu zerstören. Die bisher d. h.
seit dem westfälischen Frieden allgemein giltige Praxis bei den gemischten
Ehen, die sich sogar der ausdrücklichen Sanction mehrerer Päpste des vorigen
Jahrhunderts zu erfreuen hatte, wie sie auf der andern Seite in unsere bür¬
gerliche Gesetzgebung z. B. in das preußische Landrecht als die allgemein an¬
erkannte Norm überging, bot die erste Handhabe zu diesen Angriffen. Der
Staat übte mehr aus Nachlässigkeit und Kurzsichtigkeit, als durch irgend ein
besseres Motiv geleitet, lange Zeit eine unglaubliche Nachsicht gegen diese re¬
volutionären Neuerungen und Anmaßungen. Die kirchlichen Würdenträger in
Deutschland fügten sich ihnen in gleicher Weise, da sie seit der französischen Re¬
volution allen Zusammenhang mit der Vergangenheit der deutschen katholischen
Kirche verloren hatten und sich durch jesuitische Einflüsterungen zu dem Wahne
bethören ließen, daß sie nur an Rom d. h. an der dort dominirenden Clique


werte die Hand zu bieten, sobald es nur eine greifbare Gestalt gewonnen
haben würde.

Unter solchen wahrhaft christlichen, wenn auch specifischst katholisch ge¬
färbten Einflüssen vollzog sich die innere Formation auch dieses wahrhaft
deutschen und wahrhaft katholischen Bischofs Sedlnitzky und sein Verhängniß
war es eben, daß er das, was ihm das Herz und Gewissen erfüllte, auch in
der Praxis seines Amtes durchzuführen sich gedrungen fühlte in einer Zeit
und Umgebung, die von ganz andern Richtungen beherrscht wurde.

Die französische Revolution vernichtete bei uns in Deutschland ohne
Zweifel sehr viel, was der Vernichtung werth war, aber man darf nicht ver¬
gessen, daß sie, absolut negativ und das vollste Gegentheil von allem positiv
sittlichen Pathos, wie der Volksgeist selbst, der sie gestaltete, auch sehr viel
hoffnungsreiche Keime auf deutschem Boden für immer zerstörte, so daß das
Plus oder Minus ihres Schadens oder Nutzens für Deutschland, wenn man
sich die überflüssige Mühe mit einem solchen geschichtlichen Rechenexempel
machen wollte, für den Unparteiischen und scharf Denkenden sehr zweifelhaft
ist. Zu dem besten, was sie zerstörte, zählt auch jene ideal nationale Tendenz
des deutschen Katholicismus. Einzelne Ausläufer derselben haben sich wohl
noch bis nahe an unsere Tage das Leben fristen können, aber das Gros der
Kirche in Deutschland ist seit der Neuordung der deutschen Zustände nach dem
Sturze Napoleons allmählich und endlich völlig in die Klauen der jesuitischen
Clique gerathen, die von Rom aus ihren Absolutismus in einer Schranken-
losigkeit, wie nie zuvor, in einer wahren Schreckensherrschaft durchzusetzen
wußte. Alle Päpste der Neuzeit sind nichts weiter als die gefügigen Satel¬
liten dieser Clique gewesen, die sich ihres Namens und Reliefs bediente, um
vorzugsweise in Deutschland, als dem instinctiven Hauptzielpunkt ihrer Feind¬
schaft, den Frieden zwischen den Confessionen, das gute Vernehmen zwischen
Kirche und Staat zu erschüttern und endlich zu zerstören. Die bisher d. h.
seit dem westfälischen Frieden allgemein giltige Praxis bei den gemischten
Ehen, die sich sogar der ausdrücklichen Sanction mehrerer Päpste des vorigen
Jahrhunderts zu erfreuen hatte, wie sie auf der andern Seite in unsere bür¬
gerliche Gesetzgebung z. B. in das preußische Landrecht als die allgemein an¬
erkannte Norm überging, bot die erste Handhabe zu diesen Angriffen. Der
Staat übte mehr aus Nachlässigkeit und Kurzsichtigkeit, als durch irgend ein
besseres Motiv geleitet, lange Zeit eine unglaubliche Nachsicht gegen diese re¬
volutionären Neuerungen und Anmaßungen. Die kirchlichen Würdenträger in
Deutschland fügten sich ihnen in gleicher Weise, da sie seit der französischen Re¬
volution allen Zusammenhang mit der Vergangenheit der deutschen katholischen
Kirche verloren hatten und sich durch jesuitische Einflüsterungen zu dem Wahne
bethören ließen, daß sie nur an Rom d. h. an der dort dominirenden Clique


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/288>, abgerufen am 22.12.2024.