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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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den jetzigen Fürstbischof Herrn Förster offen bekannt und vertreten hat. Sedl-
nitzky wurde Protestant, nicht weil er in der evangelischen Kirche die vollkommene
Realisirung der Idee der allgemeinen sichtbaren Kirche erblickte. Im wesent¬
lichen erlitten seine ehemaligen Ansichten über sie auch dann keine Aenderung,
als er sich aufrichtig zu ihr bekannte und diese gingen einst dahin, daß in
ihr zwar der Geist Gottes ebenso thätig wie in der katholischen walte, daß
sie aber durch ihre Losreißung von der großen Gemeinschaft einen Theil der
heilkräftigen Wirksamkeit eingebüßt habe, welche dort trotz allem Verderb
der Einzelnen und einzelner Zeiten im Ganzen seit den Aposteln bis zu unsern
Tagen erhalten sei. Nun hatte er eingesehen, daß er sich in diesem Punkte
im Irrthum befinde und deshalb war er aus der katholischen Kirche ausge¬
treten. Da ihm aber nach seiner geistigen und ethischen Individualität so
viel, ja alles darauf ankam, einer concreten Kirche Glied zu sein, so mußte
er wohl sich der protestantischen Kirche anschließen, weil er hier wohl Mängel,
aber nicht die Grundfehler der von ihm verlassenen Kirchenform fand. Als
Protestant arbeitete er wo und wie er konnte, für die Kirche. Eine persön-
lich-practische Thätigkeit war für den Greis undenkbar, statt dessen verwandte
er den größten Theil seines bedeutenden Vermögens schon bei Lebzeiten auf
die Gründung von Stiftungen, die der Bildung protestantischer Theologen ge¬
widmet sind und auch nach seinem Tode hat er Summen dafür bestimmt, die
im Vergleich mit der sonstigen pecuniären Armseligkeit in der evangelischen
Kirche fürstlich heißen dürfen. --

Dieser ganze innere Entwickelungsproceß ist zum Theil von Sedlnitzky
selbst dargestellt, und insofern kann das Buch eine Selbstbiographie heißen,
obwohl sie nur bis zum Jahre 1840, zur Resignation auf den bischöflichen
Stuhl reicht. Das weitere ist von dem Herausgeber, einem seiner vertrauten
Freunde und Gesinnungsgenossen, aus authentischen Documenten verschiedener
Art, und vor allem aus mündlichen Mittheilungen und Bekenntnissen erzeugt.
Das Ganze ruht somit auf einer Grundlage von unanfechtbarer urkundlicher
Festigkeit, was in Anbetracht der bekannten Angriffsmethode der Gegner, um
die es sich hier zunächst handelt, von dem größten Belange ist. Hier prallen
alle ihre gewöhnlichen Ränke und Schliche, alle ihre arglistigen Verdächtigungs¬
versuche ab: die Thatsachen selbst lassen sich nicht umstoßen, die des äußeren
Lebens ebenso wenig, wie die des inneren, falls man nicht überhaupt sich zu
dem ächt jesuitisch genialen Ausweg entschlösse, das ganze Buch für eine prote¬
stantische Fälschung zu erklären. Aber es scheint nach wenigen Andeutungen
des Herausgebers auch dieser sehr wohl denkbare Schachzug vorgesehen und
durch umfassende sormaljuridische Beweismittel, die in Bereitschaft sind, paralysirt
zu sein. So bleibt doch schließlich nichts übrig, als das fatale Buch mög-


den jetzigen Fürstbischof Herrn Förster offen bekannt und vertreten hat. Sedl-
nitzky wurde Protestant, nicht weil er in der evangelischen Kirche die vollkommene
Realisirung der Idee der allgemeinen sichtbaren Kirche erblickte. Im wesent¬
lichen erlitten seine ehemaligen Ansichten über sie auch dann keine Aenderung,
als er sich aufrichtig zu ihr bekannte und diese gingen einst dahin, daß in
ihr zwar der Geist Gottes ebenso thätig wie in der katholischen walte, daß
sie aber durch ihre Losreißung von der großen Gemeinschaft einen Theil der
heilkräftigen Wirksamkeit eingebüßt habe, welche dort trotz allem Verderb
der Einzelnen und einzelner Zeiten im Ganzen seit den Aposteln bis zu unsern
Tagen erhalten sei. Nun hatte er eingesehen, daß er sich in diesem Punkte
im Irrthum befinde und deshalb war er aus der katholischen Kirche ausge¬
treten. Da ihm aber nach seiner geistigen und ethischen Individualität so
viel, ja alles darauf ankam, einer concreten Kirche Glied zu sein, so mußte
er wohl sich der protestantischen Kirche anschließen, weil er hier wohl Mängel,
aber nicht die Grundfehler der von ihm verlassenen Kirchenform fand. Als
Protestant arbeitete er wo und wie er konnte, für die Kirche. Eine persön-
lich-practische Thätigkeit war für den Greis undenkbar, statt dessen verwandte
er den größten Theil seines bedeutenden Vermögens schon bei Lebzeiten auf
die Gründung von Stiftungen, die der Bildung protestantischer Theologen ge¬
widmet sind und auch nach seinem Tode hat er Summen dafür bestimmt, die
im Vergleich mit der sonstigen pecuniären Armseligkeit in der evangelischen
Kirche fürstlich heißen dürfen. —

Dieser ganze innere Entwickelungsproceß ist zum Theil von Sedlnitzky
selbst dargestellt, und insofern kann das Buch eine Selbstbiographie heißen,
obwohl sie nur bis zum Jahre 1840, zur Resignation auf den bischöflichen
Stuhl reicht. Das weitere ist von dem Herausgeber, einem seiner vertrauten
Freunde und Gesinnungsgenossen, aus authentischen Documenten verschiedener
Art, und vor allem aus mündlichen Mittheilungen und Bekenntnissen erzeugt.
Das Ganze ruht somit auf einer Grundlage von unanfechtbarer urkundlicher
Festigkeit, was in Anbetracht der bekannten Angriffsmethode der Gegner, um
die es sich hier zunächst handelt, von dem größten Belange ist. Hier prallen
alle ihre gewöhnlichen Ränke und Schliche, alle ihre arglistigen Verdächtigungs¬
versuche ab: die Thatsachen selbst lassen sich nicht umstoßen, die des äußeren
Lebens ebenso wenig, wie die des inneren, falls man nicht überhaupt sich zu
dem ächt jesuitisch genialen Ausweg entschlösse, das ganze Buch für eine prote¬
stantische Fälschung zu erklären. Aber es scheint nach wenigen Andeutungen
des Herausgebers auch dieser sehr wohl denkbare Schachzug vorgesehen und
durch umfassende sormaljuridische Beweismittel, die in Bereitschaft sind, paralysirt
zu sein. So bleibt doch schließlich nichts übrig, als das fatale Buch mög-


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[0284] den jetzigen Fürstbischof Herrn Förster offen bekannt und vertreten hat. Sedl- nitzky wurde Protestant, nicht weil er in der evangelischen Kirche die vollkommene Realisirung der Idee der allgemeinen sichtbaren Kirche erblickte. Im wesent¬ lichen erlitten seine ehemaligen Ansichten über sie auch dann keine Aenderung, als er sich aufrichtig zu ihr bekannte und diese gingen einst dahin, daß in ihr zwar der Geist Gottes ebenso thätig wie in der katholischen walte, daß sie aber durch ihre Losreißung von der großen Gemeinschaft einen Theil der heilkräftigen Wirksamkeit eingebüßt habe, welche dort trotz allem Verderb der Einzelnen und einzelner Zeiten im Ganzen seit den Aposteln bis zu unsern Tagen erhalten sei. Nun hatte er eingesehen, daß er sich in diesem Punkte im Irrthum befinde und deshalb war er aus der katholischen Kirche ausge¬ treten. Da ihm aber nach seiner geistigen und ethischen Individualität so viel, ja alles darauf ankam, einer concreten Kirche Glied zu sein, so mußte er wohl sich der protestantischen Kirche anschließen, weil er hier wohl Mängel, aber nicht die Grundfehler der von ihm verlassenen Kirchenform fand. Als Protestant arbeitete er wo und wie er konnte, für die Kirche. Eine persön- lich-practische Thätigkeit war für den Greis undenkbar, statt dessen verwandte er den größten Theil seines bedeutenden Vermögens schon bei Lebzeiten auf die Gründung von Stiftungen, die der Bildung protestantischer Theologen ge¬ widmet sind und auch nach seinem Tode hat er Summen dafür bestimmt, die im Vergleich mit der sonstigen pecuniären Armseligkeit in der evangelischen Kirche fürstlich heißen dürfen. — Dieser ganze innere Entwickelungsproceß ist zum Theil von Sedlnitzky selbst dargestellt, und insofern kann das Buch eine Selbstbiographie heißen, obwohl sie nur bis zum Jahre 1840, zur Resignation auf den bischöflichen Stuhl reicht. Das weitere ist von dem Herausgeber, einem seiner vertrauten Freunde und Gesinnungsgenossen, aus authentischen Documenten verschiedener Art, und vor allem aus mündlichen Mittheilungen und Bekenntnissen erzeugt. Das Ganze ruht somit auf einer Grundlage von unanfechtbarer urkundlicher Festigkeit, was in Anbetracht der bekannten Angriffsmethode der Gegner, um die es sich hier zunächst handelt, von dem größten Belange ist. Hier prallen alle ihre gewöhnlichen Ränke und Schliche, alle ihre arglistigen Verdächtigungs¬ versuche ab: die Thatsachen selbst lassen sich nicht umstoßen, die des äußeren Lebens ebenso wenig, wie die des inneren, falls man nicht überhaupt sich zu dem ächt jesuitisch genialen Ausweg entschlösse, das ganze Buch für eine prote¬ stantische Fälschung zu erklären. Aber es scheint nach wenigen Andeutungen des Herausgebers auch dieser sehr wohl denkbare Schachzug vorgesehen und durch umfassende sormaljuridische Beweismittel, die in Bereitschaft sind, paralysirt zu sein. So bleibt doch schließlich nichts übrig, als das fatale Buch mög-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/284>, abgerufen am 23.07.2024.