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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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hältnißmäßig jungen Alter von 47 Jahren durch das besondere Vertrauen
des Königs Friedrich Wilhelm auf den bischöflichen Stuhl von Breslau, der
bekanntlich die größte Seelenzahl unter allen Diöcesen der katholischen Welt
hat, erhoben wurde. Mit Bangen auf diese Höhe gestellt, die er noch immer
von der ganzen idealen oder mehr als idealen Glorie der strengst gläubigen
kirchlichen Auffassung umgeben sah, gingen ihm hier allmählig die Augen
auf für die Grundschaden nicht der Kirche, wie er sie faßte, aber der damaligen
kirchlichen Praxis, wie sie die jesuitische Clique in Rom durch ihr rücksichtsloses
Vorgehen hervorbrachte. Bald erkannte er, daß damit der Untergang alles
dessen, was ihm am meisten ans Herz und Gewissen gewachsen, der Reinheit
und Wahrheit der Kirche, nothwendig gesetzt sei, wenn auch momentan nur
die Tieferblickenden und ernster Gestimmten, also eine sehr kleine Zahl von
Menschen, die ganze Tragweite des hereinbrechenden Verderbens zu überschauen
vermochten. Die erschütterndsten Kämpfe folgten: auf der einen Seite gehetzt
und verwundet durch bald rohe, bald mit giftiger Tücke heimlich heranschleichende
Insulten, sogar direct von Rom, wobei die Person des Papstes wie immer
als Strohmann der Jesuiten figurirte, auf der andern im Gewissen verant¬
wortlich gemacht für den Frieden von der höchsten Staatsgewalt, die seiner
nicht entbehren zu können glaubte, war er Jahre lang in einer verzweifelten
Position, bis er endlich 1840 den Entschluß seiner Resignation durchsetzte.
Seiner reinen Natur hatte er es zu verdanken, daß er bei diesem für ihn
ungeheuren Schritte nicht ganz zusammenbrach, fondern allmählich in der
tiefsten Stille des beschaulichen, bloß auf ideale Thätigkeit beschränkten Privat¬
lebens wieder genas. Die Genesung führte zu einer gänzlichen Umge¬
staltung der Formen seines bisherigen Empfindens und Denkens. Das Bild
der Herrlichkeit der sichtbaren Kirche, das bei ihm immer noch identisch mit
dem der factisch bestehenden katholischen Kirche geblieben war, läuterte sich
jetzt zu dem eigentlichen Jdealbilde derselben und dieß stimmte natürlich nirgends
mehr recht mit jenem. Sein Gewissen gab auch hier die Entscheidung, vor
der alle Vorurtheile der Vergangenheit, alle Rücksichten auf äußere Verhält¬
nisse, und noch mehr die Gewöhnungen des Gefühls und der Phantasie weichen
mußten. Er befreite sich gänzlich von allen katholischen Reminiscenzen. Ein
Anderer in solchem Falle würde sich an der Mitgliedschaft der unsichtbaren
Kirche haben genügen lassen, ohne einer concreten Kirchengemeinschaft beizu¬
treten. Er aber konnte nach seiner Art darauf nicht verzichten, und so folgte
mit logischer Consequenz, daß er Protestant wurde. Der Uebertritt geschah
1863 und ist von ihm nie bereut worden, wie denn Sedlnitzky begreiflich nicht
mit irgend einer Ostentation, sondern in möglichster Beschränkung auf seine
Privatsphäre diesen entscheidenden Schritt gethan, ihn aber dann auch gegen
Jedermann z. B. gegen seinen spätern Nachfolger aus dem Breslauer Stuhle,


hältnißmäßig jungen Alter von 47 Jahren durch das besondere Vertrauen
des Königs Friedrich Wilhelm auf den bischöflichen Stuhl von Breslau, der
bekanntlich die größte Seelenzahl unter allen Diöcesen der katholischen Welt
hat, erhoben wurde. Mit Bangen auf diese Höhe gestellt, die er noch immer
von der ganzen idealen oder mehr als idealen Glorie der strengst gläubigen
kirchlichen Auffassung umgeben sah, gingen ihm hier allmählig die Augen
auf für die Grundschaden nicht der Kirche, wie er sie faßte, aber der damaligen
kirchlichen Praxis, wie sie die jesuitische Clique in Rom durch ihr rücksichtsloses
Vorgehen hervorbrachte. Bald erkannte er, daß damit der Untergang alles
dessen, was ihm am meisten ans Herz und Gewissen gewachsen, der Reinheit
und Wahrheit der Kirche, nothwendig gesetzt sei, wenn auch momentan nur
die Tieferblickenden und ernster Gestimmten, also eine sehr kleine Zahl von
Menschen, die ganze Tragweite des hereinbrechenden Verderbens zu überschauen
vermochten. Die erschütterndsten Kämpfe folgten: auf der einen Seite gehetzt
und verwundet durch bald rohe, bald mit giftiger Tücke heimlich heranschleichende
Insulten, sogar direct von Rom, wobei die Person des Papstes wie immer
als Strohmann der Jesuiten figurirte, auf der andern im Gewissen verant¬
wortlich gemacht für den Frieden von der höchsten Staatsgewalt, die seiner
nicht entbehren zu können glaubte, war er Jahre lang in einer verzweifelten
Position, bis er endlich 1840 den Entschluß seiner Resignation durchsetzte.
Seiner reinen Natur hatte er es zu verdanken, daß er bei diesem für ihn
ungeheuren Schritte nicht ganz zusammenbrach, fondern allmählich in der
tiefsten Stille des beschaulichen, bloß auf ideale Thätigkeit beschränkten Privat¬
lebens wieder genas. Die Genesung führte zu einer gänzlichen Umge¬
staltung der Formen seines bisherigen Empfindens und Denkens. Das Bild
der Herrlichkeit der sichtbaren Kirche, das bei ihm immer noch identisch mit
dem der factisch bestehenden katholischen Kirche geblieben war, läuterte sich
jetzt zu dem eigentlichen Jdealbilde derselben und dieß stimmte natürlich nirgends
mehr recht mit jenem. Sein Gewissen gab auch hier die Entscheidung, vor
der alle Vorurtheile der Vergangenheit, alle Rücksichten auf äußere Verhält¬
nisse, und noch mehr die Gewöhnungen des Gefühls und der Phantasie weichen
mußten. Er befreite sich gänzlich von allen katholischen Reminiscenzen. Ein
Anderer in solchem Falle würde sich an der Mitgliedschaft der unsichtbaren
Kirche haben genügen lassen, ohne einer concreten Kirchengemeinschaft beizu¬
treten. Er aber konnte nach seiner Art darauf nicht verzichten, und so folgte
mit logischer Consequenz, daß er Protestant wurde. Der Uebertritt geschah
1863 und ist von ihm nie bereut worden, wie denn Sedlnitzky begreiflich nicht
mit irgend einer Ostentation, sondern in möglichster Beschränkung auf seine
Privatsphäre diesen entscheidenden Schritt gethan, ihn aber dann auch gegen
Jedermann z. B. gegen seinen spätern Nachfolger aus dem Breslauer Stuhle,


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[0283] hältnißmäßig jungen Alter von 47 Jahren durch das besondere Vertrauen des Königs Friedrich Wilhelm auf den bischöflichen Stuhl von Breslau, der bekanntlich die größte Seelenzahl unter allen Diöcesen der katholischen Welt hat, erhoben wurde. Mit Bangen auf diese Höhe gestellt, die er noch immer von der ganzen idealen oder mehr als idealen Glorie der strengst gläubigen kirchlichen Auffassung umgeben sah, gingen ihm hier allmählig die Augen auf für die Grundschaden nicht der Kirche, wie er sie faßte, aber der damaligen kirchlichen Praxis, wie sie die jesuitische Clique in Rom durch ihr rücksichtsloses Vorgehen hervorbrachte. Bald erkannte er, daß damit der Untergang alles dessen, was ihm am meisten ans Herz und Gewissen gewachsen, der Reinheit und Wahrheit der Kirche, nothwendig gesetzt sei, wenn auch momentan nur die Tieferblickenden und ernster Gestimmten, also eine sehr kleine Zahl von Menschen, die ganze Tragweite des hereinbrechenden Verderbens zu überschauen vermochten. Die erschütterndsten Kämpfe folgten: auf der einen Seite gehetzt und verwundet durch bald rohe, bald mit giftiger Tücke heimlich heranschleichende Insulten, sogar direct von Rom, wobei die Person des Papstes wie immer als Strohmann der Jesuiten figurirte, auf der andern im Gewissen verant¬ wortlich gemacht für den Frieden von der höchsten Staatsgewalt, die seiner nicht entbehren zu können glaubte, war er Jahre lang in einer verzweifelten Position, bis er endlich 1840 den Entschluß seiner Resignation durchsetzte. Seiner reinen Natur hatte er es zu verdanken, daß er bei diesem für ihn ungeheuren Schritte nicht ganz zusammenbrach, fondern allmählich in der tiefsten Stille des beschaulichen, bloß auf ideale Thätigkeit beschränkten Privat¬ lebens wieder genas. Die Genesung führte zu einer gänzlichen Umge¬ staltung der Formen seines bisherigen Empfindens und Denkens. Das Bild der Herrlichkeit der sichtbaren Kirche, das bei ihm immer noch identisch mit dem der factisch bestehenden katholischen Kirche geblieben war, läuterte sich jetzt zu dem eigentlichen Jdealbilde derselben und dieß stimmte natürlich nirgends mehr recht mit jenem. Sein Gewissen gab auch hier die Entscheidung, vor der alle Vorurtheile der Vergangenheit, alle Rücksichten auf äußere Verhält¬ nisse, und noch mehr die Gewöhnungen des Gefühls und der Phantasie weichen mußten. Er befreite sich gänzlich von allen katholischen Reminiscenzen. Ein Anderer in solchem Falle würde sich an der Mitgliedschaft der unsichtbaren Kirche haben genügen lassen, ohne einer concreten Kirchengemeinschaft beizu¬ treten. Er aber konnte nach seiner Art darauf nicht verzichten, und so folgte mit logischer Consequenz, daß er Protestant wurde. Der Uebertritt geschah 1863 und ist von ihm nie bereut worden, wie denn Sedlnitzky begreiflich nicht mit irgend einer Ostentation, sondern in möglichster Beschränkung auf seine Privatsphäre diesen entscheidenden Schritt gethan, ihn aber dann auch gegen Jedermann z. B. gegen seinen spätern Nachfolger aus dem Breslauer Stuhle,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/283>, abgerufen am 23.07.2024.