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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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große Glocke der Oeffentlichkeit, verabscheute oder davor bangte. Erziehung,
Standeseinflüsse und persönliche Anlage stempelten ihn zu einer stillen Seele,
der es nur im Kreise der vertrautesten gleichgesinnten und -gestimmten Freunde
oder im Arbeitszimmer, allenfalls auch in der eigentlichsten Berufsthätigkeit,
soweit sie nicht auf bloße Repräsentation hinauslief, wohl war.

Und doch sollte dieser Mann von allen denen gekannt sein, welche ein
Verständniß haben wollen für die schwerste und größte Aufgabe des deutschen
Volkes unserer Zeit, sür den Kampf gegen Rom oder die Jesuiten oder den Ultra¬
montanismus, oder wie man sonst den in der äußeren Vielgestaltigkeit eines Proteus
oder irgend eines andern Dämons auftretenden einen Haupt- oder Todfeind
Deutschlands und des deutschen Volksgeistes nennen mag. Der unscheinbare,
längst vergessene Greis, dessen Tod neben andern ephemeren Ereignissen ge¬
legentlich wohl von den Berliner und andern Zeitungen erwähnt, richtiger
von einer in die andere, sichtlich ohne ein Verständniß für das, was der Ver¬
storbene bedeutete, colportirt wurde, ist einer der ehrwürdigsten Zeugen der
Wahrheit, wie sie das deutsche Bewußtsein des 19. Jahrhunderts hervorzu¬
bringen vermag. Der Gehalt seines Lebens, so zusagen, auf.seinen abstracten
Ausdruck gebracht, wird dieß beweisen: eine friedfertig nach innen gekehrte
Natur, mit entschieden religiöser Anlage, von frühester Kindheit an voll Ge¬
horsam und Pflichttreue gegen jede Autorität, deren sittliche Berechtigung ihr
fühlbar wird, also ein trefflicher Sohn, Bruder, Schüler. Mitten in dem
erlusivsten Katholicismus einer seit dem Jahrhundert der katholischen Reaction
oder was dasselbe ist, dem dreißigjährigen Krieg, streng kirchlich gesinnten Familie
des höheren Adels eines streng katholischen Landes, wie es Mähren im
vorigen Jahrhundert noch mehr als heute war, geboren, wurzeln alle Fasern
seines Empfindens und des davon wesentlich beherrschten Denkens nicht bloß
in dem passiven Glauben, sondern in der lebendigsten Begeisterung für die
sichtbare katholische Kirche. Die geistliche Laufbahn ist das nothwendige innere
Ziel, dessen Erreichung ihm durch die Begünstigung seiner Geburt ebenso
äußerlich erleichtert, wie durch den ins unermeßliche gesteigerten Begriff von
der Würde und Hoheit des geweihten Amtes innerlich erschwert wird, so daß
bei ihm das, was seit den urältesten Zeiten der Kirche bis heute meist nur
als leere Formel oder gar als lügenhafte Grimasse geübt zu werden pflegt,
das Bekenntniß der absolutesten eigenen Unwürdigkeit aus der Tiefe des ge¬
ängsteten Gewissens und des belasteten Herzens herausströmte. Nur das
Machtgebot persönlicher Autorität, dem er in solchem Falle die Führung seines
Willens nach den bittersten Gemüthskämpfen übergab, setzte es dann immer
durch, daß er die verschiedenen geistlichen Würden, zu denen man ihn berief,
endlich doch übernahm und eine nach der andern, wie man vorausgesehen
hatte, mit größter Auszeichnung verwaltete, bis er endlich 1835 in dem ver-


große Glocke der Oeffentlichkeit, verabscheute oder davor bangte. Erziehung,
Standeseinflüsse und persönliche Anlage stempelten ihn zu einer stillen Seele,
der es nur im Kreise der vertrautesten gleichgesinnten und -gestimmten Freunde
oder im Arbeitszimmer, allenfalls auch in der eigentlichsten Berufsthätigkeit,
soweit sie nicht auf bloße Repräsentation hinauslief, wohl war.

Und doch sollte dieser Mann von allen denen gekannt sein, welche ein
Verständniß haben wollen für die schwerste und größte Aufgabe des deutschen
Volkes unserer Zeit, sür den Kampf gegen Rom oder die Jesuiten oder den Ultra¬
montanismus, oder wie man sonst den in der äußeren Vielgestaltigkeit eines Proteus
oder irgend eines andern Dämons auftretenden einen Haupt- oder Todfeind
Deutschlands und des deutschen Volksgeistes nennen mag. Der unscheinbare,
längst vergessene Greis, dessen Tod neben andern ephemeren Ereignissen ge¬
legentlich wohl von den Berliner und andern Zeitungen erwähnt, richtiger
von einer in die andere, sichtlich ohne ein Verständniß für das, was der Ver¬
storbene bedeutete, colportirt wurde, ist einer der ehrwürdigsten Zeugen der
Wahrheit, wie sie das deutsche Bewußtsein des 19. Jahrhunderts hervorzu¬
bringen vermag. Der Gehalt seines Lebens, so zusagen, auf.seinen abstracten
Ausdruck gebracht, wird dieß beweisen: eine friedfertig nach innen gekehrte
Natur, mit entschieden religiöser Anlage, von frühester Kindheit an voll Ge¬
horsam und Pflichttreue gegen jede Autorität, deren sittliche Berechtigung ihr
fühlbar wird, also ein trefflicher Sohn, Bruder, Schüler. Mitten in dem
erlusivsten Katholicismus einer seit dem Jahrhundert der katholischen Reaction
oder was dasselbe ist, dem dreißigjährigen Krieg, streng kirchlich gesinnten Familie
des höheren Adels eines streng katholischen Landes, wie es Mähren im
vorigen Jahrhundert noch mehr als heute war, geboren, wurzeln alle Fasern
seines Empfindens und des davon wesentlich beherrschten Denkens nicht bloß
in dem passiven Glauben, sondern in der lebendigsten Begeisterung für die
sichtbare katholische Kirche. Die geistliche Laufbahn ist das nothwendige innere
Ziel, dessen Erreichung ihm durch die Begünstigung seiner Geburt ebenso
äußerlich erleichtert, wie durch den ins unermeßliche gesteigerten Begriff von
der Würde und Hoheit des geweihten Amtes innerlich erschwert wird, so daß
bei ihm das, was seit den urältesten Zeiten der Kirche bis heute meist nur
als leere Formel oder gar als lügenhafte Grimasse geübt zu werden pflegt,
das Bekenntniß der absolutesten eigenen Unwürdigkeit aus der Tiefe des ge¬
ängsteten Gewissens und des belasteten Herzens herausströmte. Nur das
Machtgebot persönlicher Autorität, dem er in solchem Falle die Führung seines
Willens nach den bittersten Gemüthskämpfen übergab, setzte es dann immer
durch, daß er die verschiedenen geistlichen Würden, zu denen man ihn berief,
endlich doch übernahm und eine nach der andern, wie man vorausgesehen
hatte, mit größter Auszeichnung verwaltete, bis er endlich 1835 in dem ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/282>, abgerufen am 29.09.2024.