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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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verstand, stehn wir isolirter als jemals und haben vor wie
rückwärts keine Hoffnung. Die Zersplitterung Deutschlands
hat nicht blos Staaten und Stämme auseinander gerissen,
sie frißt sogar wie ein böses Geschwür an einzelnen Menschen
und trennt sie von ihren Genossen, von aller nothwendigen Gemeinsamkeit.
Die letzten Wochen sind Kräfte vergeudet und thörichterweiser vernichtet
worden, die bei weiser Zusammenfassung und sorgsamer Verwendung hinge¬
reicht hätten, das Schicksal Deutschlands vollständig umzugestalten. Nie bin
ich so lebens- und wirkensmüde gewesen, wie jetzt; wäre es nicht
eine Schande, sich im Unglück von den Kampfgenossen zu trennen, ich würde
zusammenraffen, was ich allenfalls habe und entweder auswandern, oder mir
in irgend einem stillen, friedlichen Thale des südlichen Deutschlands eine
Mühle oder dergleichen kaufen und nie wieder in die Welt zurückkehren, sondern
theilnahmlos aus der Ferne ihr Treiben betrachten. Nicht weil ich muthlos
bin und am endlichen Siege der Vernunft verzweifle, sondern weil ich wirk¬
lich müde bin, völlig abgerungen in dieser Sisiphusarbeit, die ewig sich er¬
neuert und kaum einen Erfolg zeigt. Indessen, es muß ausgehalten seyn
und da einmal nach dem Naturgesetz die Revolutionen ihre Kinder fressen, so
mag es ruhig diesem Hungermomente entgegen gehen; die Erschlaffung, welche
so natürlich sich an die traurigen Erfahrungen der letzten Zeit knüpft, wird
wohl auch wieder weichen.

Gehen wir zu Deinen unbeantwortet gebliebenen Briefen zurück und ver¬
folgen sie nach ihrer Reihenfolge: Die Vaterlandsvereine in Leipzig überbieten
sich gegenseitig in Dummheiten, der eine zieht thörichterweise der Bourgeoisie
die Zollkastanien aus dem Feuer, der andere gestaltet auf seine Weise die
Welt um und hebt sie aus den Angeln, ohne nur die Kraft oder den Stand¬
punkt des Archimedes zu haben. Wenn ich denke, ich müßte jetzt nach
Leipzig zurück, um dort zu bleiben, ich könnte schwermüthig
werden. -- Ueber das Ministerium -- Blum bist Du nun wohl beruhigt;
es ist bis Ostern verschoben, wenn es auch dann nicht so heißt, so wird es
doch wahrscheinlich so seyn. Auf Namen und Menschen kommt's nicht an.
Der Sorgen um den Haushalt bist Du los und zu sterben aus Patriotismus
brauchst Du auch nicht. -- Träume! Träume! und doch war ihre Verwirk¬
lichung nahe und wäre eingetreten, wenn man vernünftig war. -- Wegen
dem Schillerfest hat mir Haubold geschrieben; es findet statt, und ich werde
also wahrscheinlich dazu kommen, wenn auch nur auf kurze Zeit. Dann
wird es mir wenigstens leichter werden, Weihnachten hier zu bleiben, was
wohl unvermeidlich seyn wird. -- Nächstes Frühjahr muß sich die Sache
jedenfalls wenden und ob nach dieser, ob nach jener Seite, man wird im
Stande seyn, einen festen Lebensplan zu fassen. Wenn man dann nur


verstand, stehn wir isolirter als jemals und haben vor wie
rückwärts keine Hoffnung. Die Zersplitterung Deutschlands
hat nicht blos Staaten und Stämme auseinander gerissen,
sie frißt sogar wie ein böses Geschwür an einzelnen Menschen
und trennt sie von ihren Genossen, von aller nothwendigen Gemeinsamkeit.
Die letzten Wochen sind Kräfte vergeudet und thörichterweiser vernichtet
worden, die bei weiser Zusammenfassung und sorgsamer Verwendung hinge¬
reicht hätten, das Schicksal Deutschlands vollständig umzugestalten. Nie bin
ich so lebens- und wirkensmüde gewesen, wie jetzt; wäre es nicht
eine Schande, sich im Unglück von den Kampfgenossen zu trennen, ich würde
zusammenraffen, was ich allenfalls habe und entweder auswandern, oder mir
in irgend einem stillen, friedlichen Thale des südlichen Deutschlands eine
Mühle oder dergleichen kaufen und nie wieder in die Welt zurückkehren, sondern
theilnahmlos aus der Ferne ihr Treiben betrachten. Nicht weil ich muthlos
bin und am endlichen Siege der Vernunft verzweifle, sondern weil ich wirk¬
lich müde bin, völlig abgerungen in dieser Sisiphusarbeit, die ewig sich er¬
neuert und kaum einen Erfolg zeigt. Indessen, es muß ausgehalten seyn
und da einmal nach dem Naturgesetz die Revolutionen ihre Kinder fressen, so
mag es ruhig diesem Hungermomente entgegen gehen; die Erschlaffung, welche
so natürlich sich an die traurigen Erfahrungen der letzten Zeit knüpft, wird
wohl auch wieder weichen.

Gehen wir zu Deinen unbeantwortet gebliebenen Briefen zurück und ver¬
folgen sie nach ihrer Reihenfolge: Die Vaterlandsvereine in Leipzig überbieten
sich gegenseitig in Dummheiten, der eine zieht thörichterweise der Bourgeoisie
die Zollkastanien aus dem Feuer, der andere gestaltet auf seine Weise die
Welt um und hebt sie aus den Angeln, ohne nur die Kraft oder den Stand¬
punkt des Archimedes zu haben. Wenn ich denke, ich müßte jetzt nach
Leipzig zurück, um dort zu bleiben, ich könnte schwermüthig
werden. — Ueber das Ministerium — Blum bist Du nun wohl beruhigt;
es ist bis Ostern verschoben, wenn es auch dann nicht so heißt, so wird es
doch wahrscheinlich so seyn. Auf Namen und Menschen kommt's nicht an.
Der Sorgen um den Haushalt bist Du los und zu sterben aus Patriotismus
brauchst Du auch nicht. — Träume! Träume! und doch war ihre Verwirk¬
lichung nahe und wäre eingetreten, wenn man vernünftig war. — Wegen
dem Schillerfest hat mir Haubold geschrieben; es findet statt, und ich werde
also wahrscheinlich dazu kommen, wenn auch nur auf kurze Zeit. Dann
wird es mir wenigstens leichter werden, Weihnachten hier zu bleiben, was
wohl unvermeidlich seyn wird. — Nächstes Frühjahr muß sich die Sache
jedenfalls wenden und ob nach dieser, ob nach jener Seite, man wird im
Stande seyn, einen festen Lebensplan zu fassen. Wenn man dann nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/255>, abgerufen am 22.07.2024.