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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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der äußersten Linken des Parlamentes, die bisher nur mit grimmigem Unmuth
seine maßvolle, dictatorische Politik und Leitung in der "Vereinigten Linken"
ertragen hatten, ließen sich nicht länger bändigen. Bezeichnend sind hierfür
nachstehende Stellen in einem Briefe Kolaczek's mit dem Datum und
Poststempel Berlin 24. August 1848 an den später standrechtlich erschossenen
Abgeordneten von Trützschler in Frankfurt. Es heißt da: "Daß Rüge noch
hier ist, wißt Ihr wohl schon. Die Reform will wirklich ein Blatt eomms
it kaut werden, und zeigt in den ersten Nummern, daß sie es kann. Rüge
bleibt, also noch länger hier, er scheint überhaupt Frankfurt ganz aufgeben
zu wollen, und ihr müßt in ihn ernstlich dringen, wenn Ihr wünscht, daß
er bald zurückkehrt oder einen Ersatzmann verschafft. Er giebt das Frank-
furter Parlament total auf und der Reiz, hier zu einer größern Wirksamkeit
zu gelangen, als sie uns dort gegönnt ist, ist für ihn überwiegend. Die hiesige
Linke hält von der Frankfurter nicht viel, ja sie spöttelt über uns und fühlt
sich höher -- auch separatistisch. -- Blum hat dazu beigetragen, indem er
einigen Mitgliedern der Berliner Linken ein ganz falsches Bild unsrer Partei
gab. Darnach seien wir keine eigene Partei, wir gingen, nach Belieben,
bald hierhin, bald dorthin, Wesendonck z. B. drei Tage in den deutschen
Hof, drei in den holländischen Hof, so daß nur er als*) die eonvlitio sine
yua. non erschiene, um welche Alles mit mehr oder weniger Bewußtsein kreist.
Die Aeußerung, durch welche er Rüge wieder desavouirt und das Faktum
seines Uebertritts zu uns leugnet, kennt Ihr."

Dieser lange mühsam verhaltene Zwiespalt im eigenen Lager brach
unheilbar aus, als die Frankfurter Versammlung Mitte September den
unseligen Waffenstillstand von Malmö genehmigte. Zuerst war der Vertrag
bekanntlich verworfen worden, vornehmlich durch Dahlmanns und Blums
Einfluß und Beredtsamkeit. Aber als Dahlmann die ihm in Folge der Ver¬
werfung des Waffenstillstandes übertragene Bildung eines Majoritätsministeri-
ums, wegen seiner fatalen Vorurtheile gegen Robert Blum und dessen
Partei nicht zu Stande gebracht hatte, mußte er selbst seiner Partei die Ge¬
nehmigung des Vertrages empfehlen. Die wildesten Geister der äußersten
Linken, die Zitz, Schlüssel u. s. w. scheuten sich nicht, an das souveräne Volk
der Pfingstweide und Sachsenhausens Reden zu halten gegen die Versammlung,
der sie selbst angehörten. Andere reizten die Masse direct zum Straßenkampf.
Es folgten die Septembertage, die Ermordung Auerswalds und Lichnowskys,
der Belagerungszustand in Frankfurt. Mit dem größten Aufwand persön¬
lichen Muthes hat Blum, während Dutzende demokratischer Flintenläufe von
den Barrikaden auf seine Brust gerichtet waren, die empörten Massen zu be-



') Durchstrichen: "Jupiter."
Grenzboten III. 1872.32

der äußersten Linken des Parlamentes, die bisher nur mit grimmigem Unmuth
seine maßvolle, dictatorische Politik und Leitung in der „Vereinigten Linken"
ertragen hatten, ließen sich nicht länger bändigen. Bezeichnend sind hierfür
nachstehende Stellen in einem Briefe Kolaczek's mit dem Datum und
Poststempel Berlin 24. August 1848 an den später standrechtlich erschossenen
Abgeordneten von Trützschler in Frankfurt. Es heißt da: „Daß Rüge noch
hier ist, wißt Ihr wohl schon. Die Reform will wirklich ein Blatt eomms
it kaut werden, und zeigt in den ersten Nummern, daß sie es kann. Rüge
bleibt, also noch länger hier, er scheint überhaupt Frankfurt ganz aufgeben
zu wollen, und ihr müßt in ihn ernstlich dringen, wenn Ihr wünscht, daß
er bald zurückkehrt oder einen Ersatzmann verschafft. Er giebt das Frank-
furter Parlament total auf und der Reiz, hier zu einer größern Wirksamkeit
zu gelangen, als sie uns dort gegönnt ist, ist für ihn überwiegend. Die hiesige
Linke hält von der Frankfurter nicht viel, ja sie spöttelt über uns und fühlt
sich höher — auch separatistisch. — Blum hat dazu beigetragen, indem er
einigen Mitgliedern der Berliner Linken ein ganz falsches Bild unsrer Partei
gab. Darnach seien wir keine eigene Partei, wir gingen, nach Belieben,
bald hierhin, bald dorthin, Wesendonck z. B. drei Tage in den deutschen
Hof, drei in den holländischen Hof, so daß nur er als*) die eonvlitio sine
yua. non erschiene, um welche Alles mit mehr oder weniger Bewußtsein kreist.
Die Aeußerung, durch welche er Rüge wieder desavouirt und das Faktum
seines Uebertritts zu uns leugnet, kennt Ihr."

Dieser lange mühsam verhaltene Zwiespalt im eigenen Lager brach
unheilbar aus, als die Frankfurter Versammlung Mitte September den
unseligen Waffenstillstand von Malmö genehmigte. Zuerst war der Vertrag
bekanntlich verworfen worden, vornehmlich durch Dahlmanns und Blums
Einfluß und Beredtsamkeit. Aber als Dahlmann die ihm in Folge der Ver¬
werfung des Waffenstillstandes übertragene Bildung eines Majoritätsministeri-
ums, wegen seiner fatalen Vorurtheile gegen Robert Blum und dessen
Partei nicht zu Stande gebracht hatte, mußte er selbst seiner Partei die Ge¬
nehmigung des Vertrages empfehlen. Die wildesten Geister der äußersten
Linken, die Zitz, Schlüssel u. s. w. scheuten sich nicht, an das souveräne Volk
der Pfingstweide und Sachsenhausens Reden zu halten gegen die Versammlung,
der sie selbst angehörten. Andere reizten die Masse direct zum Straßenkampf.
Es folgten die Septembertage, die Ermordung Auerswalds und Lichnowskys,
der Belagerungszustand in Frankfurt. Mit dem größten Aufwand persön¬
lichen Muthes hat Blum, während Dutzende demokratischer Flintenläufe von
den Barrikaden auf seine Brust gerichtet waren, die empörten Massen zu be-



') Durchstrichen: „Jupiter."
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[0253] der äußersten Linken des Parlamentes, die bisher nur mit grimmigem Unmuth seine maßvolle, dictatorische Politik und Leitung in der „Vereinigten Linken" ertragen hatten, ließen sich nicht länger bändigen. Bezeichnend sind hierfür nachstehende Stellen in einem Briefe Kolaczek's mit dem Datum und Poststempel Berlin 24. August 1848 an den später standrechtlich erschossenen Abgeordneten von Trützschler in Frankfurt. Es heißt da: „Daß Rüge noch hier ist, wißt Ihr wohl schon. Die Reform will wirklich ein Blatt eomms it kaut werden, und zeigt in den ersten Nummern, daß sie es kann. Rüge bleibt, also noch länger hier, er scheint überhaupt Frankfurt ganz aufgeben zu wollen, und ihr müßt in ihn ernstlich dringen, wenn Ihr wünscht, daß er bald zurückkehrt oder einen Ersatzmann verschafft. Er giebt das Frank- furter Parlament total auf und der Reiz, hier zu einer größern Wirksamkeit zu gelangen, als sie uns dort gegönnt ist, ist für ihn überwiegend. Die hiesige Linke hält von der Frankfurter nicht viel, ja sie spöttelt über uns und fühlt sich höher — auch separatistisch. — Blum hat dazu beigetragen, indem er einigen Mitgliedern der Berliner Linken ein ganz falsches Bild unsrer Partei gab. Darnach seien wir keine eigene Partei, wir gingen, nach Belieben, bald hierhin, bald dorthin, Wesendonck z. B. drei Tage in den deutschen Hof, drei in den holländischen Hof, so daß nur er als*) die eonvlitio sine yua. non erschiene, um welche Alles mit mehr oder weniger Bewußtsein kreist. Die Aeußerung, durch welche er Rüge wieder desavouirt und das Faktum seines Uebertritts zu uns leugnet, kennt Ihr." Dieser lange mühsam verhaltene Zwiespalt im eigenen Lager brach unheilbar aus, als die Frankfurter Versammlung Mitte September den unseligen Waffenstillstand von Malmö genehmigte. Zuerst war der Vertrag bekanntlich verworfen worden, vornehmlich durch Dahlmanns und Blums Einfluß und Beredtsamkeit. Aber als Dahlmann die ihm in Folge der Ver¬ werfung des Waffenstillstandes übertragene Bildung eines Majoritätsministeri- ums, wegen seiner fatalen Vorurtheile gegen Robert Blum und dessen Partei nicht zu Stande gebracht hatte, mußte er selbst seiner Partei die Ge¬ nehmigung des Vertrages empfehlen. Die wildesten Geister der äußersten Linken, die Zitz, Schlüssel u. s. w. scheuten sich nicht, an das souveräne Volk der Pfingstweide und Sachsenhausens Reden zu halten gegen die Versammlung, der sie selbst angehörten. Andere reizten die Masse direct zum Straßenkampf. Es folgten die Septembertage, die Ermordung Auerswalds und Lichnowskys, der Belagerungszustand in Frankfurt. Mit dem größten Aufwand persön¬ lichen Muthes hat Blum, während Dutzende demokratischer Flintenläufe von den Barrikaden auf seine Brust gerichtet waren, die empörten Massen zu be- ') Durchstrichen: „Jupiter." Grenzboten III. 1872.32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/253>, abgerufen am 22.12.2024.