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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Leistung ist beispiellos in der Kriegsgeschichte und erscheint um so außerordent¬
licher, wenn man hört, daß die reproducirten Blätter der französischen General¬
stabskarte in Bezug auf die Nachträge des Wegenetzes u. s. w. viel voll¬
ständiger waren als die französischen Originale selbst, welche außerdem der
Eintragung der Einwohnerzahlen entbehren, die die Kriegskarte des preußischen
Generalstabs so sehr geeignet namentlich für Dislocationen machte. -- Auch
aus der Existenz dieser Karten hat man schließen wollen, daß Preußen den
Krieg mit Frankreich gewollt habe. Aber auch dieser Schluß ist falsch.
Für jeden Kriegsschauplatz wird zu Berlin das Kartenmaterial genau in
derselben Weise bearbeitet und ist zur Verausgabung an die Truppen in ganz
gleicher Art vorbereitet, wie die in den Zeughäusern aufgestellten Gewehre oder
Geschütze. Karten sind Kriegsmaterial so gut wie Waffen. -- Was die
Orientirung über den Feind selbst betrifft, so hatte man im preußischen
Generalstabe die in Frankreich stattfindenden Formationen mit solcher Sorg¬
falt verfolgt, daß schon am 24.Juli eine von dem Major Krause zusammen¬
gestellte Ordre de bataille der französischen Armee zur Kenntniß der deutschen
Armeen gebracht werden konnte, welche späterhin zur vollständigen Richtigkeit
nur unwesentlicher Correcturen bedürfte. Ebenso wurde den CommandoZ
mitgetheilt, daß die französischen Infanterie-Bataillone durchschnittlich mit
höchstens 600 Mann ausgerückt wären und voraussichtlich erst vom 29.
Juli an, nach dem Eintreffen der Reserven, auf die Stärke von 700 Mann
gelangen würden. Die Cavallerie-Regiementer wurden zu 300 Säbel veran¬
schlagt.

"Während der Aufmarsch der so in jeder Beziehung vollständig gerüsteten
deutschen Heere sich der Vollendung nahte, war der Juli verflossen, ohne daß
die Franzosen eine Ueberlegenheit benutzt hatten, welche ihr unfertiger Auf¬
bruch aus den Friedensgarnisonen ihnen vorübergehend verliehen. Das Ver¬
hältniß kehrte sich nunmehr um." Die Schrift weist, anschließend an
diese Bemerkung nach, wie nach Verlauf der ersten 14 Tage seit der Kriegs¬
erklärung die Situation am Abend des 31. Juli gestaltet war und erläutert
dies durch eine strategische Skizze. Das vierte Capitel schildert die Ereig¬
nisse zur See bis zum 31. Juli. -- Mit diesem Tage, dem Datum der
Abreise Seiner Majestät des Königs nach Mainz, schließt das Heft.

Fast eben so viel Seiten wie der Text nehmen die Anlagen des Heftes
ein, welche für den ernst studirenden Leser ebenfalls vom höchsten Werthe
sind. Sie bestehen in detaillirten Ordres de bataille: 1) der französischen
Rheinarmee, 2) sämmtlicher deutscher Armeen zu Anfang August; ferner in
einer Uebersicht der norddeutschen Kriegsschiffe und ihrer Vertheilung bei
Ausbruch des Krieges, und endlich in zwei Proklamationen Napoleons III.

Wer das Buch prüft, der wird ein Gefühl der Ueberraschung nicht unter-


Leistung ist beispiellos in der Kriegsgeschichte und erscheint um so außerordent¬
licher, wenn man hört, daß die reproducirten Blätter der französischen General¬
stabskarte in Bezug auf die Nachträge des Wegenetzes u. s. w. viel voll¬
ständiger waren als die französischen Originale selbst, welche außerdem der
Eintragung der Einwohnerzahlen entbehren, die die Kriegskarte des preußischen
Generalstabs so sehr geeignet namentlich für Dislocationen machte. — Auch
aus der Existenz dieser Karten hat man schließen wollen, daß Preußen den
Krieg mit Frankreich gewollt habe. Aber auch dieser Schluß ist falsch.
Für jeden Kriegsschauplatz wird zu Berlin das Kartenmaterial genau in
derselben Weise bearbeitet und ist zur Verausgabung an die Truppen in ganz
gleicher Art vorbereitet, wie die in den Zeughäusern aufgestellten Gewehre oder
Geschütze. Karten sind Kriegsmaterial so gut wie Waffen. — Was die
Orientirung über den Feind selbst betrifft, so hatte man im preußischen
Generalstabe die in Frankreich stattfindenden Formationen mit solcher Sorg¬
falt verfolgt, daß schon am 24.Juli eine von dem Major Krause zusammen¬
gestellte Ordre de bataille der französischen Armee zur Kenntniß der deutschen
Armeen gebracht werden konnte, welche späterhin zur vollständigen Richtigkeit
nur unwesentlicher Correcturen bedürfte. Ebenso wurde den CommandoZ
mitgetheilt, daß die französischen Infanterie-Bataillone durchschnittlich mit
höchstens 600 Mann ausgerückt wären und voraussichtlich erst vom 29.
Juli an, nach dem Eintreffen der Reserven, auf die Stärke von 700 Mann
gelangen würden. Die Cavallerie-Regiementer wurden zu 300 Säbel veran¬
schlagt.

„Während der Aufmarsch der so in jeder Beziehung vollständig gerüsteten
deutschen Heere sich der Vollendung nahte, war der Juli verflossen, ohne daß
die Franzosen eine Ueberlegenheit benutzt hatten, welche ihr unfertiger Auf¬
bruch aus den Friedensgarnisonen ihnen vorübergehend verliehen. Das Ver¬
hältniß kehrte sich nunmehr um." Die Schrift weist, anschließend an
diese Bemerkung nach, wie nach Verlauf der ersten 14 Tage seit der Kriegs¬
erklärung die Situation am Abend des 31. Juli gestaltet war und erläutert
dies durch eine strategische Skizze. Das vierte Capitel schildert die Ereig¬
nisse zur See bis zum 31. Juli. — Mit diesem Tage, dem Datum der
Abreise Seiner Majestät des Königs nach Mainz, schließt das Heft.

Fast eben so viel Seiten wie der Text nehmen die Anlagen des Heftes
ein, welche für den ernst studirenden Leser ebenfalls vom höchsten Werthe
sind. Sie bestehen in detaillirten Ordres de bataille: 1) der französischen
Rheinarmee, 2) sämmtlicher deutscher Armeen zu Anfang August; ferner in
einer Uebersicht der norddeutschen Kriegsschiffe und ihrer Vertheilung bei
Ausbruch des Krieges, und endlich in zwei Proklamationen Napoleons III.

Wer das Buch prüft, der wird ein Gefühl der Ueberraschung nicht unter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/251>, abgerufen am 22.07.2024.