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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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formation" gewisse Grundzüge des Etats gegeben. Auch die Dienstverpflichtung
der Mannschaften, die Etatsstärken der Truppenkörper, deren Eintheilung,
Chargen und Chargenbenennungen seien übereinstimmend geworden. Indessen
sei die Uebereinstimmung der höheren und niederen Militärbehörden vorläufig
nur auf zwei bayerische Armeecorps ausgedehnt, und die in den Versailler
Verträgen verheißene Gleichförmigkeit der Normen des Mobilisirungsplans sei
bisher von Bayern nicht verwirklicht, da eine ganz neue Verordnung des
Herrn von Pranckh im Zweifel den Mobilifirungsplan von 1870 zu Grunde
lege. Die Fortschritte der "Neuformation" seien immerhin sehr achtbar und
ein Beweis von viel gutem Willen. "Aber ist damit das bayerische Heer dem
deutschen Reichsheer als ein Glied von gleicher Lebenskraft und einheitlichem
Bau eingefügt?" fragt der Verfasser.

Diese Frage verneint derselbe entschieden, und zwar hauptsächlich aus fol¬
genden Erwägungen.

Die fortdauernd separate Existenz des bayerischen Heeres bleibe auch bei
der neuen Organisation bestehen. Es trete mit dem preußischen d. h. übrigen
Reichsheer nicht in directe Berührung, und selbst bei vollständiger Einführung
des preußischen Dienstreglements in Bayern sei dessen Handhabung auch nicht
einmal theilweise preußischen Officieren anvertraut, und ebensowenig gehen die
militärische Erziehung der Chargen und namentlich des Officierscorps nach
preußischer Norm und unter preußischer Leitung vor sich. Damit fehle aber
der rechte Geist für die preußischen Formen, der auch in Preußen sich erst nach
der langen Arbeit und Geschichte des preußischen Staates seit dem Großen
Kurfürsten in seiner vollen Eigenart herausgebildet habe: "der Geist der
äußersten Pflichttreue, der begeisterten Hingebung an König und Vaterland,
der strengsten Standesehre und des hohen Bewußtseins, daß der Staat durch,
ihn sicher fundamentirt ist." Dieser preußische Geist sei unverkürzt nur da¬
durch in das bayerische Heer einzuführen, daß die eine Hälfte des Officiers¬
corps und namentlich die höheren Führer aus Preußen bestehen und alle
Militäranstalten vom Cadettencorps an, überwiegend mit Preußen besetzt
werden. "Man kann uns das Sächsische Beispiel entgegenstellen" wirft sich
der Verfasser ein. "Aber in Sachsen waren die Umstände andere," antwortet
er. "Der Assimilirungsproceß wurde in Sachsen von oben begünstigt, durch
direct preußische Anordnungen eingeleitet, Nähe und Stammesverwandtschaft
förderten denselben und ein Officierscorps von hoher Intelligenz suchte seinen
Ruhm darin, denselben zu cultiviren und zu beschleunigen. Alles Verhält¬
nisse, die in Bayern nicht in dem Grade vorliegen, wie in Sachsen. Das
bayerische Heer ist zu groß, zu specifisch in seiner separaten Haltung entwickelt
der bayerische Volksgeist hat zu wenig sympathische Beziehungen zu den strammen
Formen und dem gemessenen Ernste des norddeutsch-preußischen Wesens." Die


formation" gewisse Grundzüge des Etats gegeben. Auch die Dienstverpflichtung
der Mannschaften, die Etatsstärken der Truppenkörper, deren Eintheilung,
Chargen und Chargenbenennungen seien übereinstimmend geworden. Indessen
sei die Uebereinstimmung der höheren und niederen Militärbehörden vorläufig
nur auf zwei bayerische Armeecorps ausgedehnt, und die in den Versailler
Verträgen verheißene Gleichförmigkeit der Normen des Mobilisirungsplans sei
bisher von Bayern nicht verwirklicht, da eine ganz neue Verordnung des
Herrn von Pranckh im Zweifel den Mobilifirungsplan von 1870 zu Grunde
lege. Die Fortschritte der „Neuformation" seien immerhin sehr achtbar und
ein Beweis von viel gutem Willen. „Aber ist damit das bayerische Heer dem
deutschen Reichsheer als ein Glied von gleicher Lebenskraft und einheitlichem
Bau eingefügt?" fragt der Verfasser.

Diese Frage verneint derselbe entschieden, und zwar hauptsächlich aus fol¬
genden Erwägungen.

Die fortdauernd separate Existenz des bayerischen Heeres bleibe auch bei
der neuen Organisation bestehen. Es trete mit dem preußischen d. h. übrigen
Reichsheer nicht in directe Berührung, und selbst bei vollständiger Einführung
des preußischen Dienstreglements in Bayern sei dessen Handhabung auch nicht
einmal theilweise preußischen Officieren anvertraut, und ebensowenig gehen die
militärische Erziehung der Chargen und namentlich des Officierscorps nach
preußischer Norm und unter preußischer Leitung vor sich. Damit fehle aber
der rechte Geist für die preußischen Formen, der auch in Preußen sich erst nach
der langen Arbeit und Geschichte des preußischen Staates seit dem Großen
Kurfürsten in seiner vollen Eigenart herausgebildet habe: „der Geist der
äußersten Pflichttreue, der begeisterten Hingebung an König und Vaterland,
der strengsten Standesehre und des hohen Bewußtseins, daß der Staat durch,
ihn sicher fundamentirt ist." Dieser preußische Geist sei unverkürzt nur da¬
durch in das bayerische Heer einzuführen, daß die eine Hälfte des Officiers¬
corps und namentlich die höheren Führer aus Preußen bestehen und alle
Militäranstalten vom Cadettencorps an, überwiegend mit Preußen besetzt
werden. „Man kann uns das Sächsische Beispiel entgegenstellen" wirft sich
der Verfasser ein. „Aber in Sachsen waren die Umstände andere," antwortet
er. „Der Assimilirungsproceß wurde in Sachsen von oben begünstigt, durch
direct preußische Anordnungen eingeleitet, Nähe und Stammesverwandtschaft
förderten denselben und ein Officierscorps von hoher Intelligenz suchte seinen
Ruhm darin, denselben zu cultiviren und zu beschleunigen. Alles Verhält¬
nisse, die in Bayern nicht in dem Grade vorliegen, wie in Sachsen. Das
bayerische Heer ist zu groß, zu specifisch in seiner separaten Haltung entwickelt
der bayerische Volksgeist hat zu wenig sympathische Beziehungen zu den strammen
Formen und dem gemessenen Ernste des norddeutsch-preußischen Wesens." Die


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[0242] formation" gewisse Grundzüge des Etats gegeben. Auch die Dienstverpflichtung der Mannschaften, die Etatsstärken der Truppenkörper, deren Eintheilung, Chargen und Chargenbenennungen seien übereinstimmend geworden. Indessen sei die Uebereinstimmung der höheren und niederen Militärbehörden vorläufig nur auf zwei bayerische Armeecorps ausgedehnt, und die in den Versailler Verträgen verheißene Gleichförmigkeit der Normen des Mobilisirungsplans sei bisher von Bayern nicht verwirklicht, da eine ganz neue Verordnung des Herrn von Pranckh im Zweifel den Mobilifirungsplan von 1870 zu Grunde lege. Die Fortschritte der „Neuformation" seien immerhin sehr achtbar und ein Beweis von viel gutem Willen. „Aber ist damit das bayerische Heer dem deutschen Reichsheer als ein Glied von gleicher Lebenskraft und einheitlichem Bau eingefügt?" fragt der Verfasser. Diese Frage verneint derselbe entschieden, und zwar hauptsächlich aus fol¬ genden Erwägungen. Die fortdauernd separate Existenz des bayerischen Heeres bleibe auch bei der neuen Organisation bestehen. Es trete mit dem preußischen d. h. übrigen Reichsheer nicht in directe Berührung, und selbst bei vollständiger Einführung des preußischen Dienstreglements in Bayern sei dessen Handhabung auch nicht einmal theilweise preußischen Officieren anvertraut, und ebensowenig gehen die militärische Erziehung der Chargen und namentlich des Officierscorps nach preußischer Norm und unter preußischer Leitung vor sich. Damit fehle aber der rechte Geist für die preußischen Formen, der auch in Preußen sich erst nach der langen Arbeit und Geschichte des preußischen Staates seit dem Großen Kurfürsten in seiner vollen Eigenart herausgebildet habe: „der Geist der äußersten Pflichttreue, der begeisterten Hingebung an König und Vaterland, der strengsten Standesehre und des hohen Bewußtseins, daß der Staat durch, ihn sicher fundamentirt ist." Dieser preußische Geist sei unverkürzt nur da¬ durch in das bayerische Heer einzuführen, daß die eine Hälfte des Officiers¬ corps und namentlich die höheren Führer aus Preußen bestehen und alle Militäranstalten vom Cadettencorps an, überwiegend mit Preußen besetzt werden. „Man kann uns das Sächsische Beispiel entgegenstellen" wirft sich der Verfasser ein. „Aber in Sachsen waren die Umstände andere," antwortet er. „Der Assimilirungsproceß wurde in Sachsen von oben begünstigt, durch direct preußische Anordnungen eingeleitet, Nähe und Stammesverwandtschaft förderten denselben und ein Officierscorps von hoher Intelligenz suchte seinen Ruhm darin, denselben zu cultiviren und zu beschleunigen. Alles Verhält¬ nisse, die in Bayern nicht in dem Grade vorliegen, wie in Sachsen. Das bayerische Heer ist zu groß, zu specifisch in seiner separaten Haltung entwickelt der bayerische Volksgeist hat zu wenig sympathische Beziehungen zu den strammen Formen und dem gemessenen Ernste des norddeutsch-preußischen Wesens." Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/242>, abgerufen am 22.07.2024.