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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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640 Industrielle mitbrachte, ihre Entstehung. Er ließ eine Segeltuchmcmu-
factur, eine Tau-, Salpeter- und Schwefelfabrik, Gerbereien errichten. Diesen
folgten die Duderhofer Papierfabrik, die Petersburger Seidenmanufactur, der
"Tuchhof" in Moskau, der "Leinwandhof;" Eisenhämmer, Sägemühlen, die
Waffenfabrik in Tula wurden von ihm gegründet. Unter seinem Schutze und
Beistande unternahmen Gesellschaften die Errichtung einer Zucker-, Glas- und
Krystallfabrik u. f. w. Peter der Große, der Stifter des modernen Rußland,
wurde auch der Begründer von dessen Industrie und als er die Augen schloß,
blühten in dem weiten Reiche bereits 213 Fabriken oder Hüttenwerke. Katharina
II., Alexander I., Nikolaus II. bauten auf den von Peter gelegten Grundlagen
weiter fort.

Unter den handelspolitischen Maßnahmen zweifelhafter Natur, welche auf
die Hebung der russischen Industrie abzielten, verdient der Schutzzolltarif vom
Jahre 1822 genannt zu werden, der mit geringen Abänderungen noch heute
im wesentlichen fortbesteht. Wohl haben die Handels- und wissenschaftlichen
Kreise in Nußland selbst für Einführung des Freihandelssystems sich bemüht,
sie sind aber nicht durchgedrungen und der Markt von 7V Millionen Russen
war der westeuropäischen Industrie bisher nur im beschränkten Maße zugänglich.
Es ist nicht unsre Sache hier das "Für" und "Wider" in dieser Frage zu
erörtern. Allen freisinnigen Vorstellungen gegenüber antwortete die Peters¬
burger Regierung: "Es ist unsre .dringendste Aufgabe in erster Linie für das
eigene Land zu sorgen und den Verbrauch unserer 70 Millionen Unterthanen
der eigenen Industrie dienstbar zu machen." Daß damit die russische Industrie
den Charakter der Treibhauspflanze erhielt, wird selbst von den Schutzzöllnern
nicht geleugnet.

Wie weit die Gewerbthätigkeit Rußlands heute gelangt ist, bewies am
besten die Petersburger Industrieausstellung vom Jahre 1870; sie war- die
bedeutendste ihrer Art, die bisher in Rußland stattgefunden, denn während
1861 erst 1003 Industrielle ausgestellt hatten, belief sich deren Zahl 1870
auf 3105 und selbst Turkestan, die kaukasischen Landschaften, Sibirien waren
vertreten. Diese Industrieausstellung ist verschiedenartig beurtheilt worden.
Daß sie nicht die Aufmerksamkeit Westeuropas in dem Grade in Anspruch
nahm, wie sie wohl verdient hätte, hatte seinen Grund im Ausbruche des
deutsch-französischen Krieges, der bald alle Interessen absorbirte; aber es wird
nachgeholt, was uns entgangen und einem ehemaligen sächsischen Offizier,
Friedrich Matthäi, verdanken wir jetzt ein außerordentlich gründliches Wert'
über die russische Industrie y. Mit echt deutschem Fleiß ist hier alles ge-



') Die Industrie Rußlands in ihrer bisherigen Entwickelung und in ihrem gegenwärtigen
Zustande. Erster Band. Leipzig. Hermann Fries. 1872.

640 Industrielle mitbrachte, ihre Entstehung. Er ließ eine Segeltuchmcmu-
factur, eine Tau-, Salpeter- und Schwefelfabrik, Gerbereien errichten. Diesen
folgten die Duderhofer Papierfabrik, die Petersburger Seidenmanufactur, der
„Tuchhof" in Moskau, der „Leinwandhof;" Eisenhämmer, Sägemühlen, die
Waffenfabrik in Tula wurden von ihm gegründet. Unter seinem Schutze und
Beistande unternahmen Gesellschaften die Errichtung einer Zucker-, Glas- und
Krystallfabrik u. f. w. Peter der Große, der Stifter des modernen Rußland,
wurde auch der Begründer von dessen Industrie und als er die Augen schloß,
blühten in dem weiten Reiche bereits 213 Fabriken oder Hüttenwerke. Katharina
II., Alexander I., Nikolaus II. bauten auf den von Peter gelegten Grundlagen
weiter fort.

Unter den handelspolitischen Maßnahmen zweifelhafter Natur, welche auf
die Hebung der russischen Industrie abzielten, verdient der Schutzzolltarif vom
Jahre 1822 genannt zu werden, der mit geringen Abänderungen noch heute
im wesentlichen fortbesteht. Wohl haben die Handels- und wissenschaftlichen
Kreise in Nußland selbst für Einführung des Freihandelssystems sich bemüht,
sie sind aber nicht durchgedrungen und der Markt von 7V Millionen Russen
war der westeuropäischen Industrie bisher nur im beschränkten Maße zugänglich.
Es ist nicht unsre Sache hier das „Für" und „Wider" in dieser Frage zu
erörtern. Allen freisinnigen Vorstellungen gegenüber antwortete die Peters¬
burger Regierung: „Es ist unsre .dringendste Aufgabe in erster Linie für das
eigene Land zu sorgen und den Verbrauch unserer 70 Millionen Unterthanen
der eigenen Industrie dienstbar zu machen." Daß damit die russische Industrie
den Charakter der Treibhauspflanze erhielt, wird selbst von den Schutzzöllnern
nicht geleugnet.

Wie weit die Gewerbthätigkeit Rußlands heute gelangt ist, bewies am
besten die Petersburger Industrieausstellung vom Jahre 1870; sie war- die
bedeutendste ihrer Art, die bisher in Rußland stattgefunden, denn während
1861 erst 1003 Industrielle ausgestellt hatten, belief sich deren Zahl 1870
auf 3105 und selbst Turkestan, die kaukasischen Landschaften, Sibirien waren
vertreten. Diese Industrieausstellung ist verschiedenartig beurtheilt worden.
Daß sie nicht die Aufmerksamkeit Westeuropas in dem Grade in Anspruch
nahm, wie sie wohl verdient hätte, hatte seinen Grund im Ausbruche des
deutsch-französischen Krieges, der bald alle Interessen absorbirte; aber es wird
nachgeholt, was uns entgangen und einem ehemaligen sächsischen Offizier,
Friedrich Matthäi, verdanken wir jetzt ein außerordentlich gründliches Wert'
über die russische Industrie y. Mit echt deutschem Fleiß ist hier alles ge-



') Die Industrie Rußlands in ihrer bisherigen Entwickelung und in ihrem gegenwärtigen
Zustande. Erster Band. Leipzig. Hermann Fries. 1872.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/24>, abgerufen am 22.07.2024.