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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Die Amerikaner schrieben regelmäßig die Steuern für Wathcom-County aus
und die Briten protestirten.

Auf San Juan, das reiche Wtesengründe, fruchtbaren Boden und schöne
Wälder bietet, hatten sich unterdessen mehr und mehr Ansiedler niedergelassen,
auch zahlreiche Amerikaner. Den eingeborenen Indianern, die aus ihren Jagd-
und Fischereigründen sich durch jene verdrängt sahen, waren diese Weißen na¬
türlich ein Dorn im Auge. Die Rothhäute überfielen die Weißen, mordeten
wo sie konnten und verdarben den Aufenthalt auf San Juan gründlich. Im
Juli 1859 wandten sich nun 22 auf San Juan lebende Amerikaner an den
amerikanischen General Harney, mit dem Ersuchen, ihnen eine Compagnie
Soldaten zum Schutze gegen die Indianer zu senden. Harney entsprach dem
Verlangen, eine Compagnie vom 9. Infanterieregiment unter Hauptmann
Pikete besetzte die Insel und der amerikanische Kriegsdampfer "Massachu¬
setts" kreuzte im Harocanal um die Soldaten gegen etwaige Ueberfälle der
Engländer zu schützen, denn diese rüsteten ernstlich auf Vancouver-Island,
und wäre es auf den dortigen Gouverneur Douglas allein angekommen, so
wäre im August 18S9 der Krieg schon ausgebrochen. Fünf englische Kriegs¬
schiffe mit 167 Kanonen und 1940 Mann erschienen vor San Juan mit dem
Vorschlage: die Insel möge gemeinschaftlich besetzt bleiben, bis eine Ent¬
scheidung getroffen sei. Die Amerikaner, obwohl in der Minderheit, zeigten
die Zähne und wollten von diesem billigen Vorschlage nichts wissen. Sie
landeten die Kanonen des "Massachusetts", warfen Batterien auf und wiesen
die englischen Vorschläge zurück. Die Sache schaute sehr ernst aus.

General Harney hätte damals gerne losgeschlagen. Zum Glücke erschien
aber noch rechtzeitig der amerikanische Grenzcommissär Campbell auf der Insel,
welcher eine gemeinschaftliche Besetzung zugab. Die Engländer schlugen nun
im Osten, die Amerikaner im Westen der Insel ihr Lager auf, und seitdem
haben beide Flaggen dort 13 Jahre nebeneinander geweht; Steuern wurden
von keiner Partei ausgeschrieben und auch keine Rekruten ausgehoben. Wäh¬
rend des amerikanischen Bürgerkrieges schlief die San-Juan-Frage; sie wurde
erst durch ihre fettere Schwester, die Alabamafrage, wieder zu neuem Leben
erweckt und in London traten Bevollmächtigte beider Theile zusammen, welche
am 8. Mai vorigen Jahres einen Vertrag vereinbarten, demzufolge die Sach
auf schiedsrichterlichen Wege geordnet werden sollte. Artikel 34 bis 32 über-
trugen dann dem deutschen Kaiser diese schiedsrichterliche Entscheidung.

Bekanntlich steht letztere nahe bevor, bis dahin mögen aber die Leser
aus der obigen, möglichst unparteiischen Darstellung einige Belehrung über die
wenig gekannte Angelegenheit schöpfen.


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Die Amerikaner schrieben regelmäßig die Steuern für Wathcom-County aus
und die Briten protestirten.

Auf San Juan, das reiche Wtesengründe, fruchtbaren Boden und schöne
Wälder bietet, hatten sich unterdessen mehr und mehr Ansiedler niedergelassen,
auch zahlreiche Amerikaner. Den eingeborenen Indianern, die aus ihren Jagd-
und Fischereigründen sich durch jene verdrängt sahen, waren diese Weißen na¬
türlich ein Dorn im Auge. Die Rothhäute überfielen die Weißen, mordeten
wo sie konnten und verdarben den Aufenthalt auf San Juan gründlich. Im
Juli 1859 wandten sich nun 22 auf San Juan lebende Amerikaner an den
amerikanischen General Harney, mit dem Ersuchen, ihnen eine Compagnie
Soldaten zum Schutze gegen die Indianer zu senden. Harney entsprach dem
Verlangen, eine Compagnie vom 9. Infanterieregiment unter Hauptmann
Pikete besetzte die Insel und der amerikanische Kriegsdampfer „Massachu¬
setts" kreuzte im Harocanal um die Soldaten gegen etwaige Ueberfälle der
Engländer zu schützen, denn diese rüsteten ernstlich auf Vancouver-Island,
und wäre es auf den dortigen Gouverneur Douglas allein angekommen, so
wäre im August 18S9 der Krieg schon ausgebrochen. Fünf englische Kriegs¬
schiffe mit 167 Kanonen und 1940 Mann erschienen vor San Juan mit dem
Vorschlage: die Insel möge gemeinschaftlich besetzt bleiben, bis eine Ent¬
scheidung getroffen sei. Die Amerikaner, obwohl in der Minderheit, zeigten
die Zähne und wollten von diesem billigen Vorschlage nichts wissen. Sie
landeten die Kanonen des „Massachusetts", warfen Batterien auf und wiesen
die englischen Vorschläge zurück. Die Sache schaute sehr ernst aus.

General Harney hätte damals gerne losgeschlagen. Zum Glücke erschien
aber noch rechtzeitig der amerikanische Grenzcommissär Campbell auf der Insel,
welcher eine gemeinschaftliche Besetzung zugab. Die Engländer schlugen nun
im Osten, die Amerikaner im Westen der Insel ihr Lager auf, und seitdem
haben beide Flaggen dort 13 Jahre nebeneinander geweht; Steuern wurden
von keiner Partei ausgeschrieben und auch keine Rekruten ausgehoben. Wäh¬
rend des amerikanischen Bürgerkrieges schlief die San-Juan-Frage; sie wurde
erst durch ihre fettere Schwester, die Alabamafrage, wieder zu neuem Leben
erweckt und in London traten Bevollmächtigte beider Theile zusammen, welche
am 8. Mai vorigen Jahres einen Vertrag vereinbarten, demzufolge die Sach
auf schiedsrichterlichen Wege geordnet werden sollte. Artikel 34 bis 32 über-
trugen dann dem deutschen Kaiser diese schiedsrichterliche Entscheidung.

Bekanntlich steht letztere nahe bevor, bis dahin mögen aber die Leser
aus der obigen, möglichst unparteiischen Darstellung einige Belehrung über die
wenig gekannte Angelegenheit schöpfen.


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[0239] Die Amerikaner schrieben regelmäßig die Steuern für Wathcom-County aus und die Briten protestirten. Auf San Juan, das reiche Wtesengründe, fruchtbaren Boden und schöne Wälder bietet, hatten sich unterdessen mehr und mehr Ansiedler niedergelassen, auch zahlreiche Amerikaner. Den eingeborenen Indianern, die aus ihren Jagd- und Fischereigründen sich durch jene verdrängt sahen, waren diese Weißen na¬ türlich ein Dorn im Auge. Die Rothhäute überfielen die Weißen, mordeten wo sie konnten und verdarben den Aufenthalt auf San Juan gründlich. Im Juli 1859 wandten sich nun 22 auf San Juan lebende Amerikaner an den amerikanischen General Harney, mit dem Ersuchen, ihnen eine Compagnie Soldaten zum Schutze gegen die Indianer zu senden. Harney entsprach dem Verlangen, eine Compagnie vom 9. Infanterieregiment unter Hauptmann Pikete besetzte die Insel und der amerikanische Kriegsdampfer „Massachu¬ setts" kreuzte im Harocanal um die Soldaten gegen etwaige Ueberfälle der Engländer zu schützen, denn diese rüsteten ernstlich auf Vancouver-Island, und wäre es auf den dortigen Gouverneur Douglas allein angekommen, so wäre im August 18S9 der Krieg schon ausgebrochen. Fünf englische Kriegs¬ schiffe mit 167 Kanonen und 1940 Mann erschienen vor San Juan mit dem Vorschlage: die Insel möge gemeinschaftlich besetzt bleiben, bis eine Ent¬ scheidung getroffen sei. Die Amerikaner, obwohl in der Minderheit, zeigten die Zähne und wollten von diesem billigen Vorschlage nichts wissen. Sie landeten die Kanonen des „Massachusetts", warfen Batterien auf und wiesen die englischen Vorschläge zurück. Die Sache schaute sehr ernst aus. General Harney hätte damals gerne losgeschlagen. Zum Glücke erschien aber noch rechtzeitig der amerikanische Grenzcommissär Campbell auf der Insel, welcher eine gemeinschaftliche Besetzung zugab. Die Engländer schlugen nun im Osten, die Amerikaner im Westen der Insel ihr Lager auf, und seitdem haben beide Flaggen dort 13 Jahre nebeneinander geweht; Steuern wurden von keiner Partei ausgeschrieben und auch keine Rekruten ausgehoben. Wäh¬ rend des amerikanischen Bürgerkrieges schlief die San-Juan-Frage; sie wurde erst durch ihre fettere Schwester, die Alabamafrage, wieder zu neuem Leben erweckt und in London traten Bevollmächtigte beider Theile zusammen, welche am 8. Mai vorigen Jahres einen Vertrag vereinbarten, demzufolge die Sach auf schiedsrichterlichen Wege geordnet werden sollte. Artikel 34 bis 32 über- trugen dann dem deutschen Kaiser diese schiedsrichterliche Entscheidung. Bekanntlich steht letztere nahe bevor, bis dahin mögen aber die Leser aus der obigen, möglichst unparteiischen Darstellung einige Belehrung über die wenig gekannte Angelegenheit schöpfen. «,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/239>, abgerufen am 22.07.2024.