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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Strohlager neben einander nieder, welches dem Frauenzimmer etwas ungewohnt
vorkam.

Die Stadt Bernburg ist ziemlich groß, die Saale fließet zwischen durch.
Es ist daselbst ein fürstlich Schloß, sonsten der Nilenspiegel genennet, auf
einem Berge gelegen. Jetziger regierender Fürst Victor Amadeus ist geboren
1634. Die Stadt wurde im 30 jährigen Krieg sehr ruiniret. Von diesen
sind noch die Reliquien von einer großen steinernen Brücke zu sehen, unter
welcher vor diesem die Saale hingegangen war. Daß das Sprüchwort wahr
war: daß die Dessauer am höflichsten, die Zerbster am gutthätigsten, die
Köthener am reichsten und die Bernburger am gröbsten seien, haben wir alles
observiret, sonderlich mit den Letzteren. Am anderen Morgen setzten wir
unsere Reise weiter fort.

Unser Marsch ging darauf nach Gifte, Warnsdorf und Schade¬
leben, drei Meilen von Bernburg. Bis hierher hatten wir einen Kölnischen
Fuhrmann, mit Herrn Vetter Wetzels und Herzbach seinen Pferden. Indem
wir zu Schadeleben neue Pferde vor den Wagen bekamen, so schien es, als
wenn sie vor diesen, da er noch neu war. erschraken. Deswegen nahmen wir
des Herrn Oheims schöne Reisekappe und banden sie dem einen Pferd vor die
Augen und nahmen nun unsere Tour auf Halberstadt, nachdem wir von
unserem Schindewirth und aus dessen mit Fliegen gefüllter Stube Abschied
genommen. Selber Wirth überließ uns ein gläsernes Posthorn um daraus
zu trinken. Von Schadeleben kamen wir auf Neuendorf, Hedersleben, Wegel
nach Halberstadt. Dieses ist eine große und alte Stadt an dem Fluß Hol¬
len" gelegen, ist noch mit einer alten steinernen Mauer umgeben. Daselbst
sind schöne Kirchen und viele Thürme mit Spitzen. Der Dom ist ein schön
Gebäude. In demselben ist ein künstlicher von Holz geschnitzter Altar und
andere Zierarten mehr. Es sind auch zwei Nonnenklöster, ein Dominicaner
und ein Barfüßerkloster und eine Judensynagoge hier. Von den Juden sind
viele hier und sie haben auch einen schönen Gottesacker. Das Rathhaus ist
auch besehenswerth, an welchem der Roland stehet. Vor der Stadt ist ein
schön und regulirlich Wirthshaus bei Mad. Wernern. Von hier gingen wir
auf Hessen und Wolfenbüttel, drei Meilen, und von da in einer schönen Allee
nach Braunschweig zu. Allhier kehreten wir wieder bei unserem vorigen
Hospes, Herrn Vienne, ein und nachdem wir aus unserem gläsernen Posthorn
die frische Mumme probiret, gingen wir mit unserem alten Hans auf Mohoff
und von da auf Zelle. Allda kehreten wir im Engel ein und nachdem wir
des Morgens einen Koffee bei Knittel und Kretschmar getrunken und den
Herrn Oheim sein unterwegs gekauftes glasäugiges Pferd bekommen, gingen
wir unter Begleitung der genannten Herren weiter fort nach Winsen. Da¬
selbst ließen wir uns einen hübschen kurzen Kohl zurecht machen, nahmen dann


Strohlager neben einander nieder, welches dem Frauenzimmer etwas ungewohnt
vorkam.

Die Stadt Bernburg ist ziemlich groß, die Saale fließet zwischen durch.
Es ist daselbst ein fürstlich Schloß, sonsten der Nilenspiegel genennet, auf
einem Berge gelegen. Jetziger regierender Fürst Victor Amadeus ist geboren
1634. Die Stadt wurde im 30 jährigen Krieg sehr ruiniret. Von diesen
sind noch die Reliquien von einer großen steinernen Brücke zu sehen, unter
welcher vor diesem die Saale hingegangen war. Daß das Sprüchwort wahr
war: daß die Dessauer am höflichsten, die Zerbster am gutthätigsten, die
Köthener am reichsten und die Bernburger am gröbsten seien, haben wir alles
observiret, sonderlich mit den Letzteren. Am anderen Morgen setzten wir
unsere Reise weiter fort.

Unser Marsch ging darauf nach Gifte, Warnsdorf und Schade¬
leben, drei Meilen von Bernburg. Bis hierher hatten wir einen Kölnischen
Fuhrmann, mit Herrn Vetter Wetzels und Herzbach seinen Pferden. Indem
wir zu Schadeleben neue Pferde vor den Wagen bekamen, so schien es, als
wenn sie vor diesen, da er noch neu war. erschraken. Deswegen nahmen wir
des Herrn Oheims schöne Reisekappe und banden sie dem einen Pferd vor die
Augen und nahmen nun unsere Tour auf Halberstadt, nachdem wir von
unserem Schindewirth und aus dessen mit Fliegen gefüllter Stube Abschied
genommen. Selber Wirth überließ uns ein gläsernes Posthorn um daraus
zu trinken. Von Schadeleben kamen wir auf Neuendorf, Hedersleben, Wegel
nach Halberstadt. Dieses ist eine große und alte Stadt an dem Fluß Hol¬
len« gelegen, ist noch mit einer alten steinernen Mauer umgeben. Daselbst
sind schöne Kirchen und viele Thürme mit Spitzen. Der Dom ist ein schön
Gebäude. In demselben ist ein künstlicher von Holz geschnitzter Altar und
andere Zierarten mehr. Es sind auch zwei Nonnenklöster, ein Dominicaner
und ein Barfüßerkloster und eine Judensynagoge hier. Von den Juden sind
viele hier und sie haben auch einen schönen Gottesacker. Das Rathhaus ist
auch besehenswerth, an welchem der Roland stehet. Vor der Stadt ist ein
schön und regulirlich Wirthshaus bei Mad. Wernern. Von hier gingen wir
auf Hessen und Wolfenbüttel, drei Meilen, und von da in einer schönen Allee
nach Braunschweig zu. Allhier kehreten wir wieder bei unserem vorigen
Hospes, Herrn Vienne, ein und nachdem wir aus unserem gläsernen Posthorn
die frische Mumme probiret, gingen wir mit unserem alten Hans auf Mohoff
und von da auf Zelle. Allda kehreten wir im Engel ein und nachdem wir
des Morgens einen Koffee bei Knittel und Kretschmar getrunken und den
Herrn Oheim sein unterwegs gekauftes glasäugiges Pferd bekommen, gingen
wir unter Begleitung der genannten Herren weiter fort nach Winsen. Da¬
selbst ließen wir uns einen hübschen kurzen Kohl zurecht machen, nahmen dann


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[0228] Strohlager neben einander nieder, welches dem Frauenzimmer etwas ungewohnt vorkam. Die Stadt Bernburg ist ziemlich groß, die Saale fließet zwischen durch. Es ist daselbst ein fürstlich Schloß, sonsten der Nilenspiegel genennet, auf einem Berge gelegen. Jetziger regierender Fürst Victor Amadeus ist geboren 1634. Die Stadt wurde im 30 jährigen Krieg sehr ruiniret. Von diesen sind noch die Reliquien von einer großen steinernen Brücke zu sehen, unter welcher vor diesem die Saale hingegangen war. Daß das Sprüchwort wahr war: daß die Dessauer am höflichsten, die Zerbster am gutthätigsten, die Köthener am reichsten und die Bernburger am gröbsten seien, haben wir alles observiret, sonderlich mit den Letzteren. Am anderen Morgen setzten wir unsere Reise weiter fort. Unser Marsch ging darauf nach Gifte, Warnsdorf und Schade¬ leben, drei Meilen von Bernburg. Bis hierher hatten wir einen Kölnischen Fuhrmann, mit Herrn Vetter Wetzels und Herzbach seinen Pferden. Indem wir zu Schadeleben neue Pferde vor den Wagen bekamen, so schien es, als wenn sie vor diesen, da er noch neu war. erschraken. Deswegen nahmen wir des Herrn Oheims schöne Reisekappe und banden sie dem einen Pferd vor die Augen und nahmen nun unsere Tour auf Halberstadt, nachdem wir von unserem Schindewirth und aus dessen mit Fliegen gefüllter Stube Abschied genommen. Selber Wirth überließ uns ein gläsernes Posthorn um daraus zu trinken. Von Schadeleben kamen wir auf Neuendorf, Hedersleben, Wegel nach Halberstadt. Dieses ist eine große und alte Stadt an dem Fluß Hol¬ len« gelegen, ist noch mit einer alten steinernen Mauer umgeben. Daselbst sind schöne Kirchen und viele Thürme mit Spitzen. Der Dom ist ein schön Gebäude. In demselben ist ein künstlicher von Holz geschnitzter Altar und andere Zierarten mehr. Es sind auch zwei Nonnenklöster, ein Dominicaner und ein Barfüßerkloster und eine Judensynagoge hier. Von den Juden sind viele hier und sie haben auch einen schönen Gottesacker. Das Rathhaus ist auch besehenswerth, an welchem der Roland stehet. Vor der Stadt ist ein schön und regulirlich Wirthshaus bei Mad. Wernern. Von hier gingen wir auf Hessen und Wolfenbüttel, drei Meilen, und von da in einer schönen Allee nach Braunschweig zu. Allhier kehreten wir wieder bei unserem vorigen Hospes, Herrn Vienne, ein und nachdem wir aus unserem gläsernen Posthorn die frische Mumme probiret, gingen wir mit unserem alten Hans auf Mohoff und von da auf Zelle. Allda kehreten wir im Engel ein und nachdem wir des Morgens einen Koffee bei Knittel und Kretschmar getrunken und den Herrn Oheim sein unterwegs gekauftes glasäugiges Pferd bekommen, gingen wir unter Begleitung der genannten Herren weiter fort nach Winsen. Da¬ selbst ließen wir uns einen hübschen kurzen Kohl zurecht machen, nahmen dann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/228>, abgerufen am 22.07.2024.