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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Oesterreich bei der künftigen Ordnung der deutschen Einheit, den gewaltigsten
Sturm unter den versammelten Schützenbrüdern, während der biedere Oester¬
reicher, der sich diese unholde Klarheit verbat, von seinem Kaiser reich decorirt
und belohnt wurde. -- Die Folge dieser ersten Hereinziehung eines vernünf¬
tigen politischen Gedankens in die unnützen Festphrasen war die, daß fortan
jede Klarheit des politischen Gedankens über deutsche Dinge als gemeinschäd¬
lich, feststörend und verletzend verboten oder wenigstens so gehandelt und ge¬
redet wurde, als ob dieses Verbot bestünde. Man nährte den Festjubel an
höchst allgemeinen und wenig rechtsverbindlichen Gut- und Blutphrasen und
erweckte den allerstürmischsten Beifall bei allen Festgenossen aus Europa und
Amerika, wenn man dem alten sterbenden Attinghausen sein "Einig!" nachrief
oder Einiges aus der Rütliscene declamirte. Von dieser Mäßigung in Be¬
ziehung auf politische Anspielungen hat sich erst das "deutsche Schützenfest" in
der "deutschen" Stadt Wien im Sommer 1868 emancipirt. In Deutschland
hatten die Donaubrüder gefordert und erlangt, daß man in klarer Weise über
das deutsche Vaterland in den Festhütten nicht reden dürfe. Hier in Wien
mußten Hunderte deutscher Männer freiwillige und womöglich mitjubelnde
Zeugen sein, jener wüsten deutschfeindlichen Orgien, welche der Präsident des
"deutschen" Schützenbundes Herr Dr. Kopp, Herr Karl Mayer vom Stuttgarter
Beobachter und Andere unter dem gnädigen Lächeln des Reichskanzlers von Beust
auf der Wiener Festtribüne feierten. Aber dieses vaterlandslose Gerede war immer
noch zahm und sanft zu nennen gegen die Schmach, die der Präsident des
"deutschen" Schützenbundes, der "deutsche" Dr. Kopp aus Wien dem deutschen
Namen anthat, als er auf dem 24. eidgenössischen Schützenfeste in Zug sich im
Namen "aller Freien Deutschlands" und als "Vertreter des einzigen für
Gesammtdeutschland bestehenden Gemeinwesens" also vernehmen ließ! In
Oesterreich ging die Freiheit auf, in Deutschland ging sie unter. . . . Zwei
Cäsaren stehen in Europa einander gegenüber mit zwei Millionen Soldateska....
Die Cäsaren, die Blut gesät haben, werden auch in Blut untergehen. Da¬
mals haben 76 deutsche Schützenvereine den Rücktritt Kopp's vom Präsidium
des Schützenbundes gefordert. Das hat aber überall nicht gehindert, daß
derselbe Herr sich bei unserm diesjährigen Schützenfest abermals als Präsident
des deutschen Schützenbundes aufgespielt -hat.

Das sind die Verdienste der deutschen Schützenfeste um die deutsche
Einheit. Wir würden jede Erneuerung ihrer werthlosen Phrasen auch dann
reichlich entbehren können, wenn wir in unsrer staatlichen Entwickelung heute
noch auf dem Boden des Jahres 1868 ständen. Aber vollends im Jahre
des Heils 1872, nach dem großen Kriege gegen Frankreich, nach Wieder¬
aufrichtung von Kaiser und Reich und einer gesammtdeutschen Reichsvertretung,
und nach einer bald zweijährigen fruchtbringenden Thätigkeit aller Factoren


Oesterreich bei der künftigen Ordnung der deutschen Einheit, den gewaltigsten
Sturm unter den versammelten Schützenbrüdern, während der biedere Oester¬
reicher, der sich diese unholde Klarheit verbat, von seinem Kaiser reich decorirt
und belohnt wurde. — Die Folge dieser ersten Hereinziehung eines vernünf¬
tigen politischen Gedankens in die unnützen Festphrasen war die, daß fortan
jede Klarheit des politischen Gedankens über deutsche Dinge als gemeinschäd¬
lich, feststörend und verletzend verboten oder wenigstens so gehandelt und ge¬
redet wurde, als ob dieses Verbot bestünde. Man nährte den Festjubel an
höchst allgemeinen und wenig rechtsverbindlichen Gut- und Blutphrasen und
erweckte den allerstürmischsten Beifall bei allen Festgenossen aus Europa und
Amerika, wenn man dem alten sterbenden Attinghausen sein „Einig!" nachrief
oder Einiges aus der Rütliscene declamirte. Von dieser Mäßigung in Be¬
ziehung auf politische Anspielungen hat sich erst das „deutsche Schützenfest" in
der „deutschen" Stadt Wien im Sommer 1868 emancipirt. In Deutschland
hatten die Donaubrüder gefordert und erlangt, daß man in klarer Weise über
das deutsche Vaterland in den Festhütten nicht reden dürfe. Hier in Wien
mußten Hunderte deutscher Männer freiwillige und womöglich mitjubelnde
Zeugen sein, jener wüsten deutschfeindlichen Orgien, welche der Präsident des
„deutschen" Schützenbundes Herr Dr. Kopp, Herr Karl Mayer vom Stuttgarter
Beobachter und Andere unter dem gnädigen Lächeln des Reichskanzlers von Beust
auf der Wiener Festtribüne feierten. Aber dieses vaterlandslose Gerede war immer
noch zahm und sanft zu nennen gegen die Schmach, die der Präsident des
„deutschen" Schützenbundes, der „deutsche" Dr. Kopp aus Wien dem deutschen
Namen anthat, als er auf dem 24. eidgenössischen Schützenfeste in Zug sich im
Namen „aller Freien Deutschlands" und als „Vertreter des einzigen für
Gesammtdeutschland bestehenden Gemeinwesens" also vernehmen ließ! In
Oesterreich ging die Freiheit auf, in Deutschland ging sie unter. . . . Zwei
Cäsaren stehen in Europa einander gegenüber mit zwei Millionen Soldateska....
Die Cäsaren, die Blut gesät haben, werden auch in Blut untergehen. Da¬
mals haben 76 deutsche Schützenvereine den Rücktritt Kopp's vom Präsidium
des Schützenbundes gefordert. Das hat aber überall nicht gehindert, daß
derselbe Herr sich bei unserm diesjährigen Schützenfest abermals als Präsident
des deutschen Schützenbundes aufgespielt -hat.

Das sind die Verdienste der deutschen Schützenfeste um die deutsche
Einheit. Wir würden jede Erneuerung ihrer werthlosen Phrasen auch dann
reichlich entbehren können, wenn wir in unsrer staatlichen Entwickelung heute
noch auf dem Boden des Jahres 1868 ständen. Aber vollends im Jahre
des Heils 1872, nach dem großen Kriege gegen Frankreich, nach Wieder¬
aufrichtung von Kaiser und Reich und einer gesammtdeutschen Reichsvertretung,
und nach einer bald zweijährigen fruchtbringenden Thätigkeit aller Factoren


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[0202] Oesterreich bei der künftigen Ordnung der deutschen Einheit, den gewaltigsten Sturm unter den versammelten Schützenbrüdern, während der biedere Oester¬ reicher, der sich diese unholde Klarheit verbat, von seinem Kaiser reich decorirt und belohnt wurde. — Die Folge dieser ersten Hereinziehung eines vernünf¬ tigen politischen Gedankens in die unnützen Festphrasen war die, daß fortan jede Klarheit des politischen Gedankens über deutsche Dinge als gemeinschäd¬ lich, feststörend und verletzend verboten oder wenigstens so gehandelt und ge¬ redet wurde, als ob dieses Verbot bestünde. Man nährte den Festjubel an höchst allgemeinen und wenig rechtsverbindlichen Gut- und Blutphrasen und erweckte den allerstürmischsten Beifall bei allen Festgenossen aus Europa und Amerika, wenn man dem alten sterbenden Attinghausen sein „Einig!" nachrief oder Einiges aus der Rütliscene declamirte. Von dieser Mäßigung in Be¬ ziehung auf politische Anspielungen hat sich erst das „deutsche Schützenfest" in der „deutschen" Stadt Wien im Sommer 1868 emancipirt. In Deutschland hatten die Donaubrüder gefordert und erlangt, daß man in klarer Weise über das deutsche Vaterland in den Festhütten nicht reden dürfe. Hier in Wien mußten Hunderte deutscher Männer freiwillige und womöglich mitjubelnde Zeugen sein, jener wüsten deutschfeindlichen Orgien, welche der Präsident des „deutschen" Schützenbundes Herr Dr. Kopp, Herr Karl Mayer vom Stuttgarter Beobachter und Andere unter dem gnädigen Lächeln des Reichskanzlers von Beust auf der Wiener Festtribüne feierten. Aber dieses vaterlandslose Gerede war immer noch zahm und sanft zu nennen gegen die Schmach, die der Präsident des „deutschen" Schützenbundes, der „deutsche" Dr. Kopp aus Wien dem deutschen Namen anthat, als er auf dem 24. eidgenössischen Schützenfeste in Zug sich im Namen „aller Freien Deutschlands" und als „Vertreter des einzigen für Gesammtdeutschland bestehenden Gemeinwesens" also vernehmen ließ! In Oesterreich ging die Freiheit auf, in Deutschland ging sie unter. . . . Zwei Cäsaren stehen in Europa einander gegenüber mit zwei Millionen Soldateska.... Die Cäsaren, die Blut gesät haben, werden auch in Blut untergehen. Da¬ mals haben 76 deutsche Schützenvereine den Rücktritt Kopp's vom Präsidium des Schützenbundes gefordert. Das hat aber überall nicht gehindert, daß derselbe Herr sich bei unserm diesjährigen Schützenfest abermals als Präsident des deutschen Schützenbundes aufgespielt -hat. Das sind die Verdienste der deutschen Schützenfeste um die deutsche Einheit. Wir würden jede Erneuerung ihrer werthlosen Phrasen auch dann reichlich entbehren können, wenn wir in unsrer staatlichen Entwickelung heute noch auf dem Boden des Jahres 1868 ständen. Aber vollends im Jahre des Heils 1872, nach dem großen Kriege gegen Frankreich, nach Wieder¬ aufrichtung von Kaiser und Reich und einer gesammtdeutschen Reichsvertretung, und nach einer bald zweijährigen fruchtbringenden Thätigkeit aller Factoren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/202>, abgerufen am 22.07.2024.