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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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dieses Leben und Treiben. 8i oft vita, non sse its,! heißt es da wieder.
Mord und Todtschlag an allen Ecken, förmlich mit Knütteln und Aerten
ausgekämpfte Schlachten; ganze Regimenter aufgeboten zur Ruhe und Sicher¬
heit des Landes, hier die weiße Farbe der Deakpartei, dort die grüne der
Linken, die Deutschen, Slaven. Magyaren, Juden oder Wallachen wild durch
einander gestikulirend, zechend und polternd, bestochen und von den Korkes,
den Wahlagenten, zur Urne getrieben -- so stellt sich im wirren Durchein¬
ander der Herensabbath unserer Wahlen dar.

Zwei, drei Wochen dauert in Deutschland vielleicht die höchste Jluth der immer
sanften Wahlbewegung, hier braust ebenso viele Monate ein wahrer Orkan als
Wiegenlied bei der Geburt des ungarischen Abgeordnetenhauses. Seit Mitte April
sind wir in einer fortwährenden Wahlthätigkeit und jetzt erst im Juli nahte
uns der Schlußakt; Hungaria hat ein volles Vierteljahr gekreist und daß die
Wehen so lange dauern, liegt in dem umständlichen und unverständlichen
Wahlgesetze von 1848, das aber als Theil der aus eben jenem Jahre stam¬
menden Verfassung für musterhaft gilt. Ungemein viel Zeit wird mit der
Registrirung der Wähler vertrödelt und für die Wahlen wird allemal zuerst
ein besonderes Wahlcomit6 gewählt, welches die eigentliche Gewalt in Händen
hat und auf das sehr viel ankommt. Hier schon können sich die Parteien
messen, denn das Wahlcomite' hat einen sehr weiten Spielraum, es interpretirt
das Gesetz nach Gutdünken und sucht die Wähler der Gegenpartei in all und
jedem zu schädigen. Dieser oder jener wird unter nichtigen Vorwänden von
der Wahlliste gestrichen; der Wahlort wird in eine Gegend des Comitats
verlegt, wo die Wähler mit den politischen Gesinnungen des Comites über¬
einstimmen und die Wähler einen möglichst weiten Weg zur Urne haben.
Nach dem Gesetze von 1848 soll die Abstimmung frei und öffentlich sein; der
Präsident verliest die einzelnen anrückenden Gemeinden nach dem Alphabet,
die Wähler treten dann vor und geben ihre Stimme mündlich ab, wenn ihre
Identität durch das Conscriptionsprotokoll constatirt ist. Trotzdem dieses
nun Gesetz ist, hat man doch hier und da in den Comitaten beliebt die ge¬
heime Abstimmung einzuführen, nicht blos bei den diesjährigen Wahlen,
sondern auch schon früher und das Abgeordnetenhaus hat auch solche Wahlen,
trotzdem sie ganz gegen das Gesetz sind, einfach sanctionirt, wenn es nämlich
der Majorität paßte.

In einem Lande wie Ungarn jedoch, wo die Bildung auf einer so bedauerlich
tiefen Stufe steht -- nur 25 Prozent der assentirten Rekruten sind des Schreibens
in Ungarn kundig -- hat es für die Wähler einige Schwierigkeit die Wahl¬
zettel zu lesen, die ihnen von den Agenten in die Hand gedrückt werden.
Man ist daher auf den originellen Gedanken verfallen, Stöcke -- 'fünf Fuß
lange Stöcke -- für die Wahlzettel zu substituiren. Da nun blos immer


dieses Leben und Treiben. 8i oft vita, non sse its,! heißt es da wieder.
Mord und Todtschlag an allen Ecken, förmlich mit Knütteln und Aerten
ausgekämpfte Schlachten; ganze Regimenter aufgeboten zur Ruhe und Sicher¬
heit des Landes, hier die weiße Farbe der Deakpartei, dort die grüne der
Linken, die Deutschen, Slaven. Magyaren, Juden oder Wallachen wild durch
einander gestikulirend, zechend und polternd, bestochen und von den Korkes,
den Wahlagenten, zur Urne getrieben — so stellt sich im wirren Durchein¬
ander der Herensabbath unserer Wahlen dar.

Zwei, drei Wochen dauert in Deutschland vielleicht die höchste Jluth der immer
sanften Wahlbewegung, hier braust ebenso viele Monate ein wahrer Orkan als
Wiegenlied bei der Geburt des ungarischen Abgeordnetenhauses. Seit Mitte April
sind wir in einer fortwährenden Wahlthätigkeit und jetzt erst im Juli nahte
uns der Schlußakt; Hungaria hat ein volles Vierteljahr gekreist und daß die
Wehen so lange dauern, liegt in dem umständlichen und unverständlichen
Wahlgesetze von 1848, das aber als Theil der aus eben jenem Jahre stam¬
menden Verfassung für musterhaft gilt. Ungemein viel Zeit wird mit der
Registrirung der Wähler vertrödelt und für die Wahlen wird allemal zuerst
ein besonderes Wahlcomit6 gewählt, welches die eigentliche Gewalt in Händen
hat und auf das sehr viel ankommt. Hier schon können sich die Parteien
messen, denn das Wahlcomite' hat einen sehr weiten Spielraum, es interpretirt
das Gesetz nach Gutdünken und sucht die Wähler der Gegenpartei in all und
jedem zu schädigen. Dieser oder jener wird unter nichtigen Vorwänden von
der Wahlliste gestrichen; der Wahlort wird in eine Gegend des Comitats
verlegt, wo die Wähler mit den politischen Gesinnungen des Comites über¬
einstimmen und die Wähler einen möglichst weiten Weg zur Urne haben.
Nach dem Gesetze von 1848 soll die Abstimmung frei und öffentlich sein; der
Präsident verliest die einzelnen anrückenden Gemeinden nach dem Alphabet,
die Wähler treten dann vor und geben ihre Stimme mündlich ab, wenn ihre
Identität durch das Conscriptionsprotokoll constatirt ist. Trotzdem dieses
nun Gesetz ist, hat man doch hier und da in den Comitaten beliebt die ge¬
heime Abstimmung einzuführen, nicht blos bei den diesjährigen Wahlen,
sondern auch schon früher und das Abgeordnetenhaus hat auch solche Wahlen,
trotzdem sie ganz gegen das Gesetz sind, einfach sanctionirt, wenn es nämlich
der Majorität paßte.

In einem Lande wie Ungarn jedoch, wo die Bildung auf einer so bedauerlich
tiefen Stufe steht — nur 25 Prozent der assentirten Rekruten sind des Schreibens
in Ungarn kundig — hat es für die Wähler einige Schwierigkeit die Wahl¬
zettel zu lesen, die ihnen von den Agenten in die Hand gedrückt werden.
Man ist daher auf den originellen Gedanken verfallen, Stöcke — 'fünf Fuß
lange Stöcke — für die Wahlzettel zu substituiren. Da nun blos immer


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[0196] dieses Leben und Treiben. 8i oft vita, non sse its,! heißt es da wieder. Mord und Todtschlag an allen Ecken, förmlich mit Knütteln und Aerten ausgekämpfte Schlachten; ganze Regimenter aufgeboten zur Ruhe und Sicher¬ heit des Landes, hier die weiße Farbe der Deakpartei, dort die grüne der Linken, die Deutschen, Slaven. Magyaren, Juden oder Wallachen wild durch einander gestikulirend, zechend und polternd, bestochen und von den Korkes, den Wahlagenten, zur Urne getrieben — so stellt sich im wirren Durchein¬ ander der Herensabbath unserer Wahlen dar. Zwei, drei Wochen dauert in Deutschland vielleicht die höchste Jluth der immer sanften Wahlbewegung, hier braust ebenso viele Monate ein wahrer Orkan als Wiegenlied bei der Geburt des ungarischen Abgeordnetenhauses. Seit Mitte April sind wir in einer fortwährenden Wahlthätigkeit und jetzt erst im Juli nahte uns der Schlußakt; Hungaria hat ein volles Vierteljahr gekreist und daß die Wehen so lange dauern, liegt in dem umständlichen und unverständlichen Wahlgesetze von 1848, das aber als Theil der aus eben jenem Jahre stam¬ menden Verfassung für musterhaft gilt. Ungemein viel Zeit wird mit der Registrirung der Wähler vertrödelt und für die Wahlen wird allemal zuerst ein besonderes Wahlcomit6 gewählt, welches die eigentliche Gewalt in Händen hat und auf das sehr viel ankommt. Hier schon können sich die Parteien messen, denn das Wahlcomite' hat einen sehr weiten Spielraum, es interpretirt das Gesetz nach Gutdünken und sucht die Wähler der Gegenpartei in all und jedem zu schädigen. Dieser oder jener wird unter nichtigen Vorwänden von der Wahlliste gestrichen; der Wahlort wird in eine Gegend des Comitats verlegt, wo die Wähler mit den politischen Gesinnungen des Comites über¬ einstimmen und die Wähler einen möglichst weiten Weg zur Urne haben. Nach dem Gesetze von 1848 soll die Abstimmung frei und öffentlich sein; der Präsident verliest die einzelnen anrückenden Gemeinden nach dem Alphabet, die Wähler treten dann vor und geben ihre Stimme mündlich ab, wenn ihre Identität durch das Conscriptionsprotokoll constatirt ist. Trotzdem dieses nun Gesetz ist, hat man doch hier und da in den Comitaten beliebt die ge¬ heime Abstimmung einzuführen, nicht blos bei den diesjährigen Wahlen, sondern auch schon früher und das Abgeordnetenhaus hat auch solche Wahlen, trotzdem sie ganz gegen das Gesetz sind, einfach sanctionirt, wenn es nämlich der Majorität paßte. In einem Lande wie Ungarn jedoch, wo die Bildung auf einer so bedauerlich tiefen Stufe steht — nur 25 Prozent der assentirten Rekruten sind des Schreibens in Ungarn kundig — hat es für die Wähler einige Schwierigkeit die Wahl¬ zettel zu lesen, die ihnen von den Agenten in die Hand gedrückt werden. Man ist daher auf den originellen Gedanken verfallen, Stöcke — 'fünf Fuß lange Stöcke — für die Wahlzettel zu substituiren. Da nun blos immer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/196>, abgerufen am 03.07.2024.