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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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schwöre, mit dem Gesandten keinen Verkehr unterhalten zu haben. Aber sie
verweigerte denselben, "weil nach dem Bernergesetz kein Weib zum Eid zulässig
sei." Man erklärte sich bereit, mit ihr eine Ausnahme zu machen, da man
sie nicht als ein gewöhnliches Weib, sondern als "einen starken Geist" be¬
trachte. Sie blieb bei ihrer Weigerung. Man beschwor sie, bei ihren Ahnen,
es doch nicht durch Leugnen zum Aeußersten kommen zu lassen. Sie erwiederte
ihr Gewissen sei rein; sie bitte daher wohlzubedenken, daß sie nicht mehr
eine Unterthanin Beruf sei und da Gott zugelassen, daß sie in ihre Hände
falle, doch ja ihre Macht nicht zu mißbrauchen, denn Gott werde sie rächen.

Man schritt zur Folter und zwar zur Daumenschraube. Die beiden
Daumen wurden ihr so zusammengepreßt, daß das Blut floß und unter furcht¬
barem Schmerze sich ihr die Nägel ablösten.

Sie ertrug diese Qualen mit einer Sündhaftigkeit, die ihre Richter
staunen machte und begnügte sich zu bemerken, daß letztere Rechenschaft abzu¬
legen hätten für ihre Grausamkeit gegen eine Person, deren Blut um Rache schreie.

Nachdem die Wunden wieder etwas geheilt waren, zog man sie am Fol¬
terseil in die Höhe, die Hände auf den Rücken gebunden. Sie sollte gestehn.
ihr Knabe sei weder ihr noch ihres Gatten Kind, sondern der Bastard des
Schultheißen von Erlach mit einer hochstehenden Pariser Dame. Jedoch
konnten die Zeugen, auf die sich die Perregaur berief, wie eine Frau von
Tschudi, eidlich bezeugen, daß sie der Niederkunft der Gefolterten selbst bei¬
gewohnt hätten.

Aber noch war das Maß ihrer Leiden nicht voll. Man zog sie noch
zweimal auf. Einmal befestigte man ihr einen Stein von 25 Pfund an die
Füße; das zweitemal sogar einen von 60 Pfund. Ja, um ihre Qualen zu
steigern, hatte man in das Seil, an dem man sie aufzog, Draht eingelegt,
der ihr nun ins Fleisch schnitt. In solchem Zustand stellte man sie dem
Volk zur Schau, indem man dafür sorgte, daß man die Gefolterte von der
Straße her sehen konnte.

Zuletzt erfand man eine neue Folter: ein Hemd gewoben aus Schnüren
und Messingdraht. Entkleidet wurde sie in dasselbe eingeschnürt und gepreßt,
bis sie in Convulsionen fiel und ihre Züge sich bis zur Unkenntlichkeit ver¬
zerrten. Nur die Furcht, sie möchte ihren Qualen erliegen, rettete sie vor
weiterer Folter. Sie ward so schwach, daß man ihr wie einem Kinde während
eines Monats die Nahrung reichen mußte.

Und was kam bei all diesen Martern heraus? Nach ihren eigenen Be¬
hauptungen gar nichts, so wenig als bei den glänzenden Versprechungen, die
ihr nachträglich gemacht wurden für den Fall, daß sie den Schultheißen von
Erlach als ihren Mitschuldigen angebe. Es wurde ihr nämlich nicht nur die
Freiheit, sondern eine große Pension und ihrem Gatten das bernische Bürger-


schwöre, mit dem Gesandten keinen Verkehr unterhalten zu haben. Aber sie
verweigerte denselben, „weil nach dem Bernergesetz kein Weib zum Eid zulässig
sei." Man erklärte sich bereit, mit ihr eine Ausnahme zu machen, da man
sie nicht als ein gewöhnliches Weib, sondern als „einen starken Geist" be¬
trachte. Sie blieb bei ihrer Weigerung. Man beschwor sie, bei ihren Ahnen,
es doch nicht durch Leugnen zum Aeußersten kommen zu lassen. Sie erwiederte
ihr Gewissen sei rein; sie bitte daher wohlzubedenken, daß sie nicht mehr
eine Unterthanin Beruf sei und da Gott zugelassen, daß sie in ihre Hände
falle, doch ja ihre Macht nicht zu mißbrauchen, denn Gott werde sie rächen.

Man schritt zur Folter und zwar zur Daumenschraube. Die beiden
Daumen wurden ihr so zusammengepreßt, daß das Blut floß und unter furcht¬
barem Schmerze sich ihr die Nägel ablösten.

Sie ertrug diese Qualen mit einer Sündhaftigkeit, die ihre Richter
staunen machte und begnügte sich zu bemerken, daß letztere Rechenschaft abzu¬
legen hätten für ihre Grausamkeit gegen eine Person, deren Blut um Rache schreie.

Nachdem die Wunden wieder etwas geheilt waren, zog man sie am Fol¬
terseil in die Höhe, die Hände auf den Rücken gebunden. Sie sollte gestehn.
ihr Knabe sei weder ihr noch ihres Gatten Kind, sondern der Bastard des
Schultheißen von Erlach mit einer hochstehenden Pariser Dame. Jedoch
konnten die Zeugen, auf die sich die Perregaur berief, wie eine Frau von
Tschudi, eidlich bezeugen, daß sie der Niederkunft der Gefolterten selbst bei¬
gewohnt hätten.

Aber noch war das Maß ihrer Leiden nicht voll. Man zog sie noch
zweimal auf. Einmal befestigte man ihr einen Stein von 25 Pfund an die
Füße; das zweitemal sogar einen von 60 Pfund. Ja, um ihre Qualen zu
steigern, hatte man in das Seil, an dem man sie aufzog, Draht eingelegt,
der ihr nun ins Fleisch schnitt. In solchem Zustand stellte man sie dem
Volk zur Schau, indem man dafür sorgte, daß man die Gefolterte von der
Straße her sehen konnte.

Zuletzt erfand man eine neue Folter: ein Hemd gewoben aus Schnüren
und Messingdraht. Entkleidet wurde sie in dasselbe eingeschnürt und gepreßt,
bis sie in Convulsionen fiel und ihre Züge sich bis zur Unkenntlichkeit ver¬
zerrten. Nur die Furcht, sie möchte ihren Qualen erliegen, rettete sie vor
weiterer Folter. Sie ward so schwach, daß man ihr wie einem Kinde während
eines Monats die Nahrung reichen mußte.

Und was kam bei all diesen Martern heraus? Nach ihren eigenen Be¬
hauptungen gar nichts, so wenig als bei den glänzenden Versprechungen, die
ihr nachträglich gemacht wurden für den Fall, daß sie den Schultheißen von
Erlach als ihren Mitschuldigen angebe. Es wurde ihr nämlich nicht nur die
Freiheit, sondern eine große Pension und ihrem Gatten das bernische Bürger-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/189>, abgerufen am 25.08.2024.