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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Nach dem Genuß dieser Mittheilungen des Innsbrucks Jesuitenblattes
werden wir uns nicht mehr wundern, wenn das Berliner Organ der frommen
Väter, die "Germania" vor einigen Wochen folgendes Seitenstück zu dem
Liede "Freifrau von Droste-Vischering" ohne Bemerkung, also doch wohl
gläubig und um Gläubige für diese Sorte von Mirakeln zu Ehren seiner
Patrone zu werben, der Welt vorsetzte.

"Paris, 27. Mai. Der heutige "Nonäs" widmet aus der ersten Seite
seines Blattes der wunderbaren Heilung eines zehnjährigen Knaben einen
eingehenden Artikel. Dieselbe ist nach dem genannten Blatte auf dem Grabe
der im vorigen Jahre mit andern Geiseln von den Kommunisten erschossenen
Jesuitenpatres erfolgt, und zwar in einer Weise, daß selbst die Aerzte, welche
den Knaben bis dahin erfolglos behandelten, dieselbe auf wissenschaftlichem
Wege nicht zu erklären vermögen. Der "nouae" erzählt im Wesentlichen,
daß der junge Andre D . . . . seit zwei Jahren mit einer nervösen Krankheit
behaftet gewesen sei, welche sich in heftigen Gliederkrämpfen, verbunden mit
intermittirender Blindheit und Taubheit äußerte. "Das Kind konnte weder
gehen, noch sich überhaupt aufrecht erhalten, seine Kräfte nahmen sichtbar
ab, die innern Functionen gingen nicht mehr vor sich, und die Quellen des
Lebens schienen zu vertrocknen." Die Eltern, welche sich in sehr günstigen
Verhältnissen befinden, versuchten Alles, um eine Heilung herbeizuführen, aber
die ärztliche Kunst erwies sich wirkungslos. Der Knabe, welcher sehr fromm
ist, nahm sich vor, eine neuntägige Andacht zu Ehren der ermordeten Jesuiten¬
pater abzuhalten. Am 28. April um acht Uhr Morgens brachte man ihn in
einem Wagen zur Capelle, wo die sterblichen Reste derselben ruhen, und
legte ihn auf zwei mit Kissen bedeckte Stühle vor dem Grabe nieder. Der
Hauslehrer Andre's las die Messe. Beim Confiteor bemerkte der Knabe, daß
seine Beine von den Schmerzen befreit und wieder zur Bewegung fähig seien.
Anfangs wollte er seinen Sinnen nicht trauen, aber beim Evangelium warf
er die ihn umhüllenden Decken weg und richtete sich auf. Die erschreckten
Eltern wollten ihn stützen; er sagte ihnen, daß dies nicht nöthig sei, weil er
sich geheilt fühle. Bei der Wandlung kniete Andre nieder, erhob sich wieder
und setzte sich. Nach der Messe sprang er munter auf die Straße und wollte,
um einen Beweis feiner vollständigen Heilung zu geben, zu Fuße nach Hause
zurückkehren. Den -Tag über lief er im Garten umher,, kam des Abends
nochmals zu Fuß zur Capelle, und am folgenden, dem Tage, an welchem
seine neuntägige Andacht zu Ende ging, diente er selbst bei der Messe. Der
"Romae" schließt seinen Artikel mit den Worten: "Wir theilen diese That¬
sache mit, ohne sie zu commentiren. Sie hat sich zugetragen mitten in diesem
ungläubigen Paris, welches ihr gegenüber die Augen verschließen, aber ihr
nicht widersprechen kann. Eine unzählige Menge von Zeugen können den


Nach dem Genuß dieser Mittheilungen des Innsbrucks Jesuitenblattes
werden wir uns nicht mehr wundern, wenn das Berliner Organ der frommen
Väter, die „Germania" vor einigen Wochen folgendes Seitenstück zu dem
Liede „Freifrau von Droste-Vischering" ohne Bemerkung, also doch wohl
gläubig und um Gläubige für diese Sorte von Mirakeln zu Ehren seiner
Patrone zu werben, der Welt vorsetzte.

„Paris, 27. Mai. Der heutige „Nonäs" widmet aus der ersten Seite
seines Blattes der wunderbaren Heilung eines zehnjährigen Knaben einen
eingehenden Artikel. Dieselbe ist nach dem genannten Blatte auf dem Grabe
der im vorigen Jahre mit andern Geiseln von den Kommunisten erschossenen
Jesuitenpatres erfolgt, und zwar in einer Weise, daß selbst die Aerzte, welche
den Knaben bis dahin erfolglos behandelten, dieselbe auf wissenschaftlichem
Wege nicht zu erklären vermögen. Der „nouae" erzählt im Wesentlichen,
daß der junge Andre D . . . . seit zwei Jahren mit einer nervösen Krankheit
behaftet gewesen sei, welche sich in heftigen Gliederkrämpfen, verbunden mit
intermittirender Blindheit und Taubheit äußerte. „Das Kind konnte weder
gehen, noch sich überhaupt aufrecht erhalten, seine Kräfte nahmen sichtbar
ab, die innern Functionen gingen nicht mehr vor sich, und die Quellen des
Lebens schienen zu vertrocknen." Die Eltern, welche sich in sehr günstigen
Verhältnissen befinden, versuchten Alles, um eine Heilung herbeizuführen, aber
die ärztliche Kunst erwies sich wirkungslos. Der Knabe, welcher sehr fromm
ist, nahm sich vor, eine neuntägige Andacht zu Ehren der ermordeten Jesuiten¬
pater abzuhalten. Am 28. April um acht Uhr Morgens brachte man ihn in
einem Wagen zur Capelle, wo die sterblichen Reste derselben ruhen, und
legte ihn auf zwei mit Kissen bedeckte Stühle vor dem Grabe nieder. Der
Hauslehrer Andre's las die Messe. Beim Confiteor bemerkte der Knabe, daß
seine Beine von den Schmerzen befreit und wieder zur Bewegung fähig seien.
Anfangs wollte er seinen Sinnen nicht trauen, aber beim Evangelium warf
er die ihn umhüllenden Decken weg und richtete sich auf. Die erschreckten
Eltern wollten ihn stützen; er sagte ihnen, daß dies nicht nöthig sei, weil er
sich geheilt fühle. Bei der Wandlung kniete Andre nieder, erhob sich wieder
und setzte sich. Nach der Messe sprang er munter auf die Straße und wollte,
um einen Beweis feiner vollständigen Heilung zu geben, zu Fuße nach Hause
zurückkehren. Den -Tag über lief er im Garten umher,, kam des Abends
nochmals zu Fuß zur Capelle, und am folgenden, dem Tage, an welchem
seine neuntägige Andacht zu Ende ging, diente er selbst bei der Messe. Der
„Romae" schließt seinen Artikel mit den Worten: „Wir theilen diese That¬
sache mit, ohne sie zu commentiren. Sie hat sich zugetragen mitten in diesem
ungläubigen Paris, welches ihr gegenüber die Augen verschließen, aber ihr
nicht widersprechen kann. Eine unzählige Menge von Zeugen können den


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[0181] Nach dem Genuß dieser Mittheilungen des Innsbrucks Jesuitenblattes werden wir uns nicht mehr wundern, wenn das Berliner Organ der frommen Väter, die „Germania" vor einigen Wochen folgendes Seitenstück zu dem Liede „Freifrau von Droste-Vischering" ohne Bemerkung, also doch wohl gläubig und um Gläubige für diese Sorte von Mirakeln zu Ehren seiner Patrone zu werben, der Welt vorsetzte. „Paris, 27. Mai. Der heutige „Nonäs" widmet aus der ersten Seite seines Blattes der wunderbaren Heilung eines zehnjährigen Knaben einen eingehenden Artikel. Dieselbe ist nach dem genannten Blatte auf dem Grabe der im vorigen Jahre mit andern Geiseln von den Kommunisten erschossenen Jesuitenpatres erfolgt, und zwar in einer Weise, daß selbst die Aerzte, welche den Knaben bis dahin erfolglos behandelten, dieselbe auf wissenschaftlichem Wege nicht zu erklären vermögen. Der „nouae" erzählt im Wesentlichen, daß der junge Andre D . . . . seit zwei Jahren mit einer nervösen Krankheit behaftet gewesen sei, welche sich in heftigen Gliederkrämpfen, verbunden mit intermittirender Blindheit und Taubheit äußerte. „Das Kind konnte weder gehen, noch sich überhaupt aufrecht erhalten, seine Kräfte nahmen sichtbar ab, die innern Functionen gingen nicht mehr vor sich, und die Quellen des Lebens schienen zu vertrocknen." Die Eltern, welche sich in sehr günstigen Verhältnissen befinden, versuchten Alles, um eine Heilung herbeizuführen, aber die ärztliche Kunst erwies sich wirkungslos. Der Knabe, welcher sehr fromm ist, nahm sich vor, eine neuntägige Andacht zu Ehren der ermordeten Jesuiten¬ pater abzuhalten. Am 28. April um acht Uhr Morgens brachte man ihn in einem Wagen zur Capelle, wo die sterblichen Reste derselben ruhen, und legte ihn auf zwei mit Kissen bedeckte Stühle vor dem Grabe nieder. Der Hauslehrer Andre's las die Messe. Beim Confiteor bemerkte der Knabe, daß seine Beine von den Schmerzen befreit und wieder zur Bewegung fähig seien. Anfangs wollte er seinen Sinnen nicht trauen, aber beim Evangelium warf er die ihn umhüllenden Decken weg und richtete sich auf. Die erschreckten Eltern wollten ihn stützen; er sagte ihnen, daß dies nicht nöthig sei, weil er sich geheilt fühle. Bei der Wandlung kniete Andre nieder, erhob sich wieder und setzte sich. Nach der Messe sprang er munter auf die Straße und wollte, um einen Beweis feiner vollständigen Heilung zu geben, zu Fuße nach Hause zurückkehren. Den -Tag über lief er im Garten umher,, kam des Abends nochmals zu Fuß zur Capelle, und am folgenden, dem Tage, an welchem seine neuntägige Andacht zu Ende ging, diente er selbst bei der Messe. Der „Romae" schließt seinen Artikel mit den Worten: „Wir theilen diese That¬ sache mit, ohne sie zu commentiren. Sie hat sich zugetragen mitten in diesem ungläubigen Paris, welches ihr gegenüber die Augen verschließen, aber ihr nicht widersprechen kann. Eine unzählige Menge von Zeugen können den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/181>, abgerufen am 25.08.2024.