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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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laste diese prophetische Mystik ihren Zauber ausübt. Ich habe häufig mit
sonst intelligenten Männern der extremen Partei gesprochen, welche sämmtlich
mit einer gewissen Achtung, ja mit Ehrfurcht von diesen Dingen redeten."

Den höchsten Werth besitzen in ihren Augen zwei Weissagungen: die der
Nonne von Blois und die des Einsiedlers von Orval. Die Nonne prophe¬
zeite um das Ende des vorigen Jahrhunderts. Sie sagte, wenn wir jenen
Büchern glauben wollen, den Fall des ersten Napoleon, die Rückkehr der
Bourbonen. die hundert Tage, den Tod des Herzogs von Berry, die uner¬
wartete Geburt des Prinzen Heinrich, die Revolution von 1830 und die von
1840 voraus. In einer Flugschrift des Abbe Richardeau werden diese Er¬
eignisse aus den dunkeln Worten der Seherin herausgedeutet. Kommt der
Ausleger aber dann zur Gegenwart, so muß er seinen Scharfsinn besonders
anstrengen. Die Nonne scheint z. B. in unbestimmten Ausdrücken den letzten
Krieg vorher zu sagen. "Es werden drei Boten kommen. Der erste wird
ausrufen: Alles geht schlecht; der zweite: Alles ist verloren, der dritte aber:
Alles ist gerettet." Man kann sich die Aufregung der Tausende von Gläu¬
bigen denken, welche die Prophezeiung auswendig wissen und aufsagen können,
als von Napoleon dem Dritten aus Metz das Telegramm eintraf, welches mit
den Worten: "Alles kann wieder in Ordnung kommen", die Niederlagen im
Elsaß eingestand, und wie diese Aufregung sich steigerte, als kurz nachher die
Kunde von Sedan anlangte. Natürlich mußte nun auch das dritte der pro¬
phezeiten Ereignisse, das freudige, bald eintreten. Aber dasselbe blieb aus und
läßt noch heute auf sich warten.

In förmliche Ekstase gerieth die ganze Schaar der Gläubigen, als im
September 1870 das Märchen von dem mit einem golddurchwirkten Bahrtuch
überdeckten Sarge zu ihnen drang, in welchem der König von Preußen oder
Bismarck durch Rheims nach Deutschland abgeführt worden war; denn die
prophetische Nonne hatte gesagt, ein wichtiger Mann werde sterben und sein
Tod drei Tage geheim gehalten werden. Auch die Behauptung derselben,
daß Blois selbst nicht in die Hände des Feindes fallen werde, ist bekanntlich
nicht eingetroffen. Die Gläubigen aber haben sich dadurch nicht irre machen
lassen.

Noch größeren Ansehens aber als die Nonne scheint sich der Eremit von
Orval zu erfreuen. Auf alle Fälle ist sein Batieinium noch dunkler und viel¬
deutiger. Er soll 1342 prophezeit haben, die Sammlung seiner Sprüche aber
ist erst 1793 vorgenommen worden. Wie man sie deutet, mögen folgende
Stellen darthun. "Henkel, Söhne des Brutus, ruft wider euch die wilden
Thiere an, die euch verschlingen werden! Großer Gott, welch ein Waffenge¬
töse!" Das soll die Revolution von 1848 sein. Auf Napoleon den Dritten,
den letzten Krieg und den Aufstand der Communarden wird folgende Stelle


laste diese prophetische Mystik ihren Zauber ausübt. Ich habe häufig mit
sonst intelligenten Männern der extremen Partei gesprochen, welche sämmtlich
mit einer gewissen Achtung, ja mit Ehrfurcht von diesen Dingen redeten."

Den höchsten Werth besitzen in ihren Augen zwei Weissagungen: die der
Nonne von Blois und die des Einsiedlers von Orval. Die Nonne prophe¬
zeite um das Ende des vorigen Jahrhunderts. Sie sagte, wenn wir jenen
Büchern glauben wollen, den Fall des ersten Napoleon, die Rückkehr der
Bourbonen. die hundert Tage, den Tod des Herzogs von Berry, die uner¬
wartete Geburt des Prinzen Heinrich, die Revolution von 1830 und die von
1840 voraus. In einer Flugschrift des Abbe Richardeau werden diese Er¬
eignisse aus den dunkeln Worten der Seherin herausgedeutet. Kommt der
Ausleger aber dann zur Gegenwart, so muß er seinen Scharfsinn besonders
anstrengen. Die Nonne scheint z. B. in unbestimmten Ausdrücken den letzten
Krieg vorher zu sagen. „Es werden drei Boten kommen. Der erste wird
ausrufen: Alles geht schlecht; der zweite: Alles ist verloren, der dritte aber:
Alles ist gerettet." Man kann sich die Aufregung der Tausende von Gläu¬
bigen denken, welche die Prophezeiung auswendig wissen und aufsagen können,
als von Napoleon dem Dritten aus Metz das Telegramm eintraf, welches mit
den Worten: „Alles kann wieder in Ordnung kommen", die Niederlagen im
Elsaß eingestand, und wie diese Aufregung sich steigerte, als kurz nachher die
Kunde von Sedan anlangte. Natürlich mußte nun auch das dritte der pro¬
phezeiten Ereignisse, das freudige, bald eintreten. Aber dasselbe blieb aus und
läßt noch heute auf sich warten.

In förmliche Ekstase gerieth die ganze Schaar der Gläubigen, als im
September 1870 das Märchen von dem mit einem golddurchwirkten Bahrtuch
überdeckten Sarge zu ihnen drang, in welchem der König von Preußen oder
Bismarck durch Rheims nach Deutschland abgeführt worden war; denn die
prophetische Nonne hatte gesagt, ein wichtiger Mann werde sterben und sein
Tod drei Tage geheim gehalten werden. Auch die Behauptung derselben,
daß Blois selbst nicht in die Hände des Feindes fallen werde, ist bekanntlich
nicht eingetroffen. Die Gläubigen aber haben sich dadurch nicht irre machen
lassen.

Noch größeren Ansehens aber als die Nonne scheint sich der Eremit von
Orval zu erfreuen. Auf alle Fälle ist sein Batieinium noch dunkler und viel¬
deutiger. Er soll 1342 prophezeit haben, die Sammlung seiner Sprüche aber
ist erst 1793 vorgenommen worden. Wie man sie deutet, mögen folgende
Stellen darthun. „Henkel, Söhne des Brutus, ruft wider euch die wilden
Thiere an, die euch verschlingen werden! Großer Gott, welch ein Waffenge¬
töse!" Das soll die Revolution von 1848 sein. Auf Napoleon den Dritten,
den letzten Krieg und den Aufstand der Communarden wird folgende Stelle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/173>, abgerufen am 25.08.2024.