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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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an sich selber hat kein sonderliches Ansehen und durchgehends schlechte Gassen und
Häuser und müssen die Einwohner meistentheils ihr Brod von den Studirenden
gewinnen.

Gegen Abend fuhren wir von Helmstädt wieder ab und avaneirten durch
Jngersleben, Aschersleben bis Dondersleben. Nicht weit davon
beginnet das Magdeburg'sche Land, welches äußerst fruchtbar ist. Man findet
daselbst auch viele Felder mit Toback bestellet. Es fangen daselbst auch die
kleinen Meilen an, welche, wenn es gut Wetter, in einer Stunde können zu¬
rückgeleget werden, hat es aber geregnet, so fallen sie einen auch lang genug,
denn der Boden hier ist lauter Kiep und lehmige. Es kann auch hier ein
fremder Fuhrmann recht gut fort kommen, weil fast alle halbe Stunde an
den Kreuzwegen ein Pfahl aufgerichtet ist, an welchen Hände oder Wegweiser
sind, welche nach den herumliegenden Orten den Weg zeigen und solches ist
auch in dem königlich Preußischen und Brandenburg'schen Gebiet durch¬
gehends.

Wir hatten unterwegs ein Schock Krammetsvögel gekauft, die wir durch
den Wirth in Dondersleben zurecht machen ließen und während wir selbige
nebst einem guten Trunk Wein zu uns genommen, machten inzwischen in
selbigem Hause in einer Kammer sitzende Spielleute eine artige Musik. Hier¬
auf legten wir uns auf ein schönes Strohlager nieder und nach guter Aus¬
ruhung gingen wir des Morgens weiter nach Magdeburg. Dieses ist
eine schöne, große und sehr feste Stadt an der Elbe, die Hauptstadt im Magde¬
burgischen. Sie ist vordem viel schöner, größer und fester gewesen, aber anno
1631 durch den kaiserlichen und bayrischen General Tilly mit stürmender
Hand erobert und ganz ruiniret worden, welches nun nicht mehr zu sehen,
indem Alles wieder schön aufgebauet ist. Von den vielen Kirchen ist nur
allein der Dom noch übrig geblieben, darinnen sehr schwere große Glocken
hängen. Im Dom sind schöne Gemälde und viele Antiquitäten vom Leiden
Christi, als: Der Boden von Judas seiner Laterne, ein Stuck von der Leiter
zum Kreuz, Pilatus sein Waschbecken, ein Palmzweig von denen, als Jesus
in Jerusalem eingeritten, Mariä Pantoffel, Bischof Alberti sein Schuh, wohl
eine halbe Elle lang, ein Stuck von der canaanischen Wasserkanne, der Stein
auf welchen Bischof Udo gerichtet worden, allwo noch etzliche Blutstropfen
zu sehen, welche nicht vergehen, des römischen Kaiser Otto nebst seiner Ge¬
mahlin Begräbniß, der Ablaßkasten von Johann Tetzel, der schöne Taufstein,
die schöne elfenbeinerne Kanzel, die zwei Orgeln, davon die große sehr kunst¬
reich und wenn darauf gespielt wird, so bewegen sich all die angebrachten
künstlichen Figuren. Das Wahrzeichen von der Orgel ist ein Jude, welcher
aus Hungersnoth gezwungen sich unter eine Sau geleget, und aus selbiger
die Milch gesogen., Das Wahrzeichen am Chor ist ein Pfaff, welcher eine


an sich selber hat kein sonderliches Ansehen und durchgehends schlechte Gassen und
Häuser und müssen die Einwohner meistentheils ihr Brod von den Studirenden
gewinnen.

Gegen Abend fuhren wir von Helmstädt wieder ab und avaneirten durch
Jngersleben, Aschersleben bis Dondersleben. Nicht weit davon
beginnet das Magdeburg'sche Land, welches äußerst fruchtbar ist. Man findet
daselbst auch viele Felder mit Toback bestellet. Es fangen daselbst auch die
kleinen Meilen an, welche, wenn es gut Wetter, in einer Stunde können zu¬
rückgeleget werden, hat es aber geregnet, so fallen sie einen auch lang genug,
denn der Boden hier ist lauter Kiep und lehmige. Es kann auch hier ein
fremder Fuhrmann recht gut fort kommen, weil fast alle halbe Stunde an
den Kreuzwegen ein Pfahl aufgerichtet ist, an welchen Hände oder Wegweiser
sind, welche nach den herumliegenden Orten den Weg zeigen und solches ist
auch in dem königlich Preußischen und Brandenburg'schen Gebiet durch¬
gehends.

Wir hatten unterwegs ein Schock Krammetsvögel gekauft, die wir durch
den Wirth in Dondersleben zurecht machen ließen und während wir selbige
nebst einem guten Trunk Wein zu uns genommen, machten inzwischen in
selbigem Hause in einer Kammer sitzende Spielleute eine artige Musik. Hier¬
auf legten wir uns auf ein schönes Strohlager nieder und nach guter Aus¬
ruhung gingen wir des Morgens weiter nach Magdeburg. Dieses ist
eine schöne, große und sehr feste Stadt an der Elbe, die Hauptstadt im Magde¬
burgischen. Sie ist vordem viel schöner, größer und fester gewesen, aber anno
1631 durch den kaiserlichen und bayrischen General Tilly mit stürmender
Hand erobert und ganz ruiniret worden, welches nun nicht mehr zu sehen,
indem Alles wieder schön aufgebauet ist. Von den vielen Kirchen ist nur
allein der Dom noch übrig geblieben, darinnen sehr schwere große Glocken
hängen. Im Dom sind schöne Gemälde und viele Antiquitäten vom Leiden
Christi, als: Der Boden von Judas seiner Laterne, ein Stuck von der Leiter
zum Kreuz, Pilatus sein Waschbecken, ein Palmzweig von denen, als Jesus
in Jerusalem eingeritten, Mariä Pantoffel, Bischof Alberti sein Schuh, wohl
eine halbe Elle lang, ein Stuck von der canaanischen Wasserkanne, der Stein
auf welchen Bischof Udo gerichtet worden, allwo noch etzliche Blutstropfen
zu sehen, welche nicht vergehen, des römischen Kaiser Otto nebst seiner Ge¬
mahlin Begräbniß, der Ablaßkasten von Johann Tetzel, der schöne Taufstein,
die schöne elfenbeinerne Kanzel, die zwei Orgeln, davon die große sehr kunst¬
reich und wenn darauf gespielt wird, so bewegen sich all die angebrachten
künstlichen Figuren. Das Wahrzeichen von der Orgel ist ein Jude, welcher
aus Hungersnoth gezwungen sich unter eine Sau geleget, und aus selbiger
die Milch gesogen., Das Wahrzeichen am Chor ist ein Pfaff, welcher eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/150>, abgerufen am 25.08.2024.