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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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-- in dieser Beziehung bedrohlich -- nahe gerückt, und zwar durch die Bahn,
welche Rußland von Poli am schwarzen Meer, am Südabhange des Kaukasus
nach Tiflis baut und die sehr bald vollendet sein wird. Die alte Karawanen¬
straße von Persien über Erzerum 'nach Trapezunt am schwarzen Meere ist
gänzlich im Verfall, der Handel ist dort zurückgegangen, so daß z. B. das deutsche
Reich in Trapezunt statt eines Konsuls nur noch einen Mcekonsul angestellt
hat; desto gewaltiger wird der persische Verkehr sich über Tiflis und Poli er¬
gießen; von hier führen Dampfer die Reisenden nach Odessa, das stets ein
Choleraheerd ist, und von da aus längs der Eisenbahnen, deren directe Ver¬
bindung nach Oesterreich und Deutschland jetzt hergestellt ist, in das Herz
Europa's. Persien und die neue Bahn Poli-Tiflis müssen überwacht werden:
an der russischen Regierung liegt es, das Eindringen der
Cholera auf diesem Wege abzuschneiden.

Mit den Untersuchungen, die über die geographische Verbreitung der Cholera
gemacht wurden und den gesundheitspolizeilichen Maßregeln, die hieran ge¬
knüpft werden, können wir wohl zufrieden sein. Das Wesen der Krankheit
selbst ist jedoch noch vielfach in Dunkel gehüllt und die Pathologen werden
noch lange zu thun haben, ehe sie ins Klare kommen. Alles was zu ihrer Unter¬
stützung dienen kann, muß daher willkommen geheißen werden. Vielleicht giebt
ihnen die erste ausführliche Geschichte der Cholera, auf die wir hier
noch kurz hinweisen wollen, den einen oder andern Anhaltepunkt*). Allge¬
mein nahm man an, daß die Cholera 1817 zuerst in den Sanderbands, den
Landschaften des Gangesdelta's, entstanden sei und von da sich dann weiter
verbreitet habe. Macpherson hat nun eine Anzahl höchst werthvoller historischer
Nachrichten in Indien selbst gesammelt, aus denen hervorgeht, daß schon
früher von Zeit zu Zeit die Cholera in Indien herrschte, ja er führt sie bis
zum Jahre 1503 zurück. In Europa sei sie seit dem Beginne unserer Zeit¬
rechnung bekannt, ja schon vor derselben, da die Kenntniß derselben bei Hippo-
krates nachweisbar sei, dann später bei Celsus. Unter einem indischen Namen
kommt sie in Sanskritschriften aus dem zweiten Jahrhunderte vor; in alten
tamulischen Schriften läßt sie sich ganz entschieden nachweisen und die ältesten
Hinduheilmittel gegen dieselbe gleichen noch genau den heute von den Einge¬
borenen Indiens angewandten. Arabische Schriftsteller erwähnen im zehnten
und elften Jahrhundert eine Seuche in Bagdad, die sich schwerlich von der
Cholera unterscheiden läßt. Vom sechszehnten Jahrhundert an werden die
Berichte, namentlich die Schilderungen der einzelnen Symptome klarer und
die richtige Choleraepidemie läßt sich unzweifelhaft constatiren. 1543 herrscht
sie in Goa, sie bleibt von da an heimisch an der Malabarküste, hier und da



Bergl. Civilisation se lo vliolsrn, par ^ni"s Kirette. 18K7.
Grenzboten III. 1872. 18

— in dieser Beziehung bedrohlich — nahe gerückt, und zwar durch die Bahn,
welche Rußland von Poli am schwarzen Meer, am Südabhange des Kaukasus
nach Tiflis baut und die sehr bald vollendet sein wird. Die alte Karawanen¬
straße von Persien über Erzerum 'nach Trapezunt am schwarzen Meere ist
gänzlich im Verfall, der Handel ist dort zurückgegangen, so daß z. B. das deutsche
Reich in Trapezunt statt eines Konsuls nur noch einen Mcekonsul angestellt
hat; desto gewaltiger wird der persische Verkehr sich über Tiflis und Poli er¬
gießen; von hier führen Dampfer die Reisenden nach Odessa, das stets ein
Choleraheerd ist, und von da aus längs der Eisenbahnen, deren directe Ver¬
bindung nach Oesterreich und Deutschland jetzt hergestellt ist, in das Herz
Europa's. Persien und die neue Bahn Poli-Tiflis müssen überwacht werden:
an der russischen Regierung liegt es, das Eindringen der
Cholera auf diesem Wege abzuschneiden.

Mit den Untersuchungen, die über die geographische Verbreitung der Cholera
gemacht wurden und den gesundheitspolizeilichen Maßregeln, die hieran ge¬
knüpft werden, können wir wohl zufrieden sein. Das Wesen der Krankheit
selbst ist jedoch noch vielfach in Dunkel gehüllt und die Pathologen werden
noch lange zu thun haben, ehe sie ins Klare kommen. Alles was zu ihrer Unter¬
stützung dienen kann, muß daher willkommen geheißen werden. Vielleicht giebt
ihnen die erste ausführliche Geschichte der Cholera, auf die wir hier
noch kurz hinweisen wollen, den einen oder andern Anhaltepunkt*). Allge¬
mein nahm man an, daß die Cholera 1817 zuerst in den Sanderbands, den
Landschaften des Gangesdelta's, entstanden sei und von da sich dann weiter
verbreitet habe. Macpherson hat nun eine Anzahl höchst werthvoller historischer
Nachrichten in Indien selbst gesammelt, aus denen hervorgeht, daß schon
früher von Zeit zu Zeit die Cholera in Indien herrschte, ja er führt sie bis
zum Jahre 1503 zurück. In Europa sei sie seit dem Beginne unserer Zeit¬
rechnung bekannt, ja schon vor derselben, da die Kenntniß derselben bei Hippo-
krates nachweisbar sei, dann später bei Celsus. Unter einem indischen Namen
kommt sie in Sanskritschriften aus dem zweiten Jahrhunderte vor; in alten
tamulischen Schriften läßt sie sich ganz entschieden nachweisen und die ältesten
Hinduheilmittel gegen dieselbe gleichen noch genau den heute von den Einge¬
borenen Indiens angewandten. Arabische Schriftsteller erwähnen im zehnten
und elften Jahrhundert eine Seuche in Bagdad, die sich schwerlich von der
Cholera unterscheiden läßt. Vom sechszehnten Jahrhundert an werden die
Berichte, namentlich die Schilderungen der einzelnen Symptome klarer und
die richtige Choleraepidemie läßt sich unzweifelhaft constatiren. 1543 herrscht
sie in Goa, sie bleibt von da an heimisch an der Malabarküste, hier und da



Bergl. Civilisation se lo vliolsrn, par ^ni«s Kirette. 18K7.
Grenzboten III. 1872. 18
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[0145] — in dieser Beziehung bedrohlich — nahe gerückt, und zwar durch die Bahn, welche Rußland von Poli am schwarzen Meer, am Südabhange des Kaukasus nach Tiflis baut und die sehr bald vollendet sein wird. Die alte Karawanen¬ straße von Persien über Erzerum 'nach Trapezunt am schwarzen Meere ist gänzlich im Verfall, der Handel ist dort zurückgegangen, so daß z. B. das deutsche Reich in Trapezunt statt eines Konsuls nur noch einen Mcekonsul angestellt hat; desto gewaltiger wird der persische Verkehr sich über Tiflis und Poli er¬ gießen; von hier führen Dampfer die Reisenden nach Odessa, das stets ein Choleraheerd ist, und von da aus längs der Eisenbahnen, deren directe Ver¬ bindung nach Oesterreich und Deutschland jetzt hergestellt ist, in das Herz Europa's. Persien und die neue Bahn Poli-Tiflis müssen überwacht werden: an der russischen Regierung liegt es, das Eindringen der Cholera auf diesem Wege abzuschneiden. Mit den Untersuchungen, die über die geographische Verbreitung der Cholera gemacht wurden und den gesundheitspolizeilichen Maßregeln, die hieran ge¬ knüpft werden, können wir wohl zufrieden sein. Das Wesen der Krankheit selbst ist jedoch noch vielfach in Dunkel gehüllt und die Pathologen werden noch lange zu thun haben, ehe sie ins Klare kommen. Alles was zu ihrer Unter¬ stützung dienen kann, muß daher willkommen geheißen werden. Vielleicht giebt ihnen die erste ausführliche Geschichte der Cholera, auf die wir hier noch kurz hinweisen wollen, den einen oder andern Anhaltepunkt*). Allge¬ mein nahm man an, daß die Cholera 1817 zuerst in den Sanderbands, den Landschaften des Gangesdelta's, entstanden sei und von da sich dann weiter verbreitet habe. Macpherson hat nun eine Anzahl höchst werthvoller historischer Nachrichten in Indien selbst gesammelt, aus denen hervorgeht, daß schon früher von Zeit zu Zeit die Cholera in Indien herrschte, ja er führt sie bis zum Jahre 1503 zurück. In Europa sei sie seit dem Beginne unserer Zeit¬ rechnung bekannt, ja schon vor derselben, da die Kenntniß derselben bei Hippo- krates nachweisbar sei, dann später bei Celsus. Unter einem indischen Namen kommt sie in Sanskritschriften aus dem zweiten Jahrhunderte vor; in alten tamulischen Schriften läßt sie sich ganz entschieden nachweisen und die ältesten Hinduheilmittel gegen dieselbe gleichen noch genau den heute von den Einge¬ borenen Indiens angewandten. Arabische Schriftsteller erwähnen im zehnten und elften Jahrhundert eine Seuche in Bagdad, die sich schwerlich von der Cholera unterscheiden läßt. Vom sechszehnten Jahrhundert an werden die Berichte, namentlich die Schilderungen der einzelnen Symptome klarer und die richtige Choleraepidemie läßt sich unzweifelhaft constatiren. 1543 herrscht sie in Goa, sie bleibt von da an heimisch an der Malabarküste, hier und da Bergl. Civilisation se lo vliolsrn, par ^ni«s Kirette. 18K7. Grenzboten III. 1872. 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/145>, abgerufen am 22.07.2024.