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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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über Stimmung und Plane der Bernischen Staatsmänner machen konnte, war
daher der Gunst des französischen Hofes gewiß. Madame Perregaux wußte
dies. Sie bot ihre Dienste dem Gesandten an.

In Walperswyl, eine kleine Stunde von Aarberg, hatte sie ihre erste
Zusammenkunft mit dem Secretär des Gesandten de la Boulaye. Nach einer
längeren Unterredung wies er sie an, sich sofort nach Baden*) zu begeben, wo
sich die Tagsatzung versammeln sollte. Vorher wolle sie aber der Gesandte
selbst in Otter sprechen. In Otter trafen sie wirklich zusammen. Der Ge¬
sandte machte sie aufmerksam, daß es keine Kleinigkeit sei, sich in ein so ge¬
fährliches Unternehmen einzulassen, und daß Geist, Beharrlichkeit und Einfluß
dazu gehöre, um einem so großen Monarchen wie Ludwig XIV. zu dienen.
Madame Perregaux erwiederte, sie hätte sich die Sache reiflich überlegt,
Gottes Segen zu ihrem Unternehmen erfleht und hoffe mit Gottes und
ihrer Verwandten und Freunde Hülfe ihm mit Erfolg dienen zu können.
"Was sie denn eigentlich für einen Zweck dabei im Auge habe?" fragte der
Gesandte zum Schluß. Keinen andern, antwortete sie, als meinem einzigen
Sohn durch die Dienste, die ich Seiner Majestät dem König von Frankreich
leiste, eine glänzende Zukunft an Frankreichs Hof zu verschaffen, in dessen
Dienst schon zwei meiner Brüder, der eine als Lieutenant-Colonel, der andre
als Capitän der Garde ihr Leben aufgeopfert.

Der Gesandte ermahnte sie zu unverbrüchlichem Stillschweigen, wies sie
an, in Baden ein abgelegenes Logis zu beziehen, und ihm, wo sie ihn öffent¬
lich treffe, auszuweichen, damit keinerlei Verdacht erwache, als stünden sie mit
einander in Verbindung.

Katharina Franciska verreiste mit ihrem Söhnlein zu Pferde nach Baden
und sie, die weder um Geld noch glänzende Ehren ihre Religion verrathen
wollte, wurde von nun an aus Liebe zum Sohne eine geheime diplomatische
Agentin Frankreichs, eine Spionin der Staatsgeheimnisse ihres eigenen Vaterlandes.

Der Gesandte theilte ihr das Verzeichnis? der Gegenstände mit, welche
an der Tagsatzung behandelt werden sollten. Diese wurden dann mit einflu߬
reichen Verwandten, wie dem Obersten von Graviseth und andern durchge¬
sprochen und vom Gesandten nur die Geschäfte an der Tagsatzung zur Sprache
gebracht, bei denen man eines guten Erfolgs versichert sein konnte. So brachte
Ameive schon das erste Mal Alles durch was er verlangte; aus dem einfachen
Grund, weil er nichts vorbrachte, von dem er wußte, daß es nicht Erfolg
habe. Der kaiserliche Gesandte war außer sich, Ameive dagegen voller Freude;
denn durch seinen Erfolg erwarb er sich seines Königs Gunst und durch seine
scheinbare Mäßigung bei den Eidgenossen einen guten Namen und Vertrauen.
Er ließ es daher der Madame Perregaux gegenüber nicht an Beweisen der



-) B D. Red. aden im Kanton Aargau
Grenzboten III. 1872.17

über Stimmung und Plane der Bernischen Staatsmänner machen konnte, war
daher der Gunst des französischen Hofes gewiß. Madame Perregaux wußte
dies. Sie bot ihre Dienste dem Gesandten an.

In Walperswyl, eine kleine Stunde von Aarberg, hatte sie ihre erste
Zusammenkunft mit dem Secretär des Gesandten de la Boulaye. Nach einer
längeren Unterredung wies er sie an, sich sofort nach Baden*) zu begeben, wo
sich die Tagsatzung versammeln sollte. Vorher wolle sie aber der Gesandte
selbst in Otter sprechen. In Otter trafen sie wirklich zusammen. Der Ge¬
sandte machte sie aufmerksam, daß es keine Kleinigkeit sei, sich in ein so ge¬
fährliches Unternehmen einzulassen, und daß Geist, Beharrlichkeit und Einfluß
dazu gehöre, um einem so großen Monarchen wie Ludwig XIV. zu dienen.
Madame Perregaux erwiederte, sie hätte sich die Sache reiflich überlegt,
Gottes Segen zu ihrem Unternehmen erfleht und hoffe mit Gottes und
ihrer Verwandten und Freunde Hülfe ihm mit Erfolg dienen zu können.
„Was sie denn eigentlich für einen Zweck dabei im Auge habe?" fragte der
Gesandte zum Schluß. Keinen andern, antwortete sie, als meinem einzigen
Sohn durch die Dienste, die ich Seiner Majestät dem König von Frankreich
leiste, eine glänzende Zukunft an Frankreichs Hof zu verschaffen, in dessen
Dienst schon zwei meiner Brüder, der eine als Lieutenant-Colonel, der andre
als Capitän der Garde ihr Leben aufgeopfert.

Der Gesandte ermahnte sie zu unverbrüchlichem Stillschweigen, wies sie
an, in Baden ein abgelegenes Logis zu beziehen, und ihm, wo sie ihn öffent¬
lich treffe, auszuweichen, damit keinerlei Verdacht erwache, als stünden sie mit
einander in Verbindung.

Katharina Franciska verreiste mit ihrem Söhnlein zu Pferde nach Baden
und sie, die weder um Geld noch glänzende Ehren ihre Religion verrathen
wollte, wurde von nun an aus Liebe zum Sohne eine geheime diplomatische
Agentin Frankreichs, eine Spionin der Staatsgeheimnisse ihres eigenen Vaterlandes.

Der Gesandte theilte ihr das Verzeichnis? der Gegenstände mit, welche
an der Tagsatzung behandelt werden sollten. Diese wurden dann mit einflu߬
reichen Verwandten, wie dem Obersten von Graviseth und andern durchge¬
sprochen und vom Gesandten nur die Geschäfte an der Tagsatzung zur Sprache
gebracht, bei denen man eines guten Erfolgs versichert sein konnte. So brachte
Ameive schon das erste Mal Alles durch was er verlangte; aus dem einfachen
Grund, weil er nichts vorbrachte, von dem er wußte, daß es nicht Erfolg
habe. Der kaiserliche Gesandte war außer sich, Ameive dagegen voller Freude;
denn durch seinen Erfolg erwarb er sich seines Königs Gunst und durch seine
scheinbare Mäßigung bei den Eidgenossen einen guten Namen und Vertrauen.
Er ließ es daher der Madame Perregaux gegenüber nicht an Beweisen der



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Grenzboten III. 1872.17
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[0137] über Stimmung und Plane der Bernischen Staatsmänner machen konnte, war daher der Gunst des französischen Hofes gewiß. Madame Perregaux wußte dies. Sie bot ihre Dienste dem Gesandten an. In Walperswyl, eine kleine Stunde von Aarberg, hatte sie ihre erste Zusammenkunft mit dem Secretär des Gesandten de la Boulaye. Nach einer längeren Unterredung wies er sie an, sich sofort nach Baden*) zu begeben, wo sich die Tagsatzung versammeln sollte. Vorher wolle sie aber der Gesandte selbst in Otter sprechen. In Otter trafen sie wirklich zusammen. Der Ge¬ sandte machte sie aufmerksam, daß es keine Kleinigkeit sei, sich in ein so ge¬ fährliches Unternehmen einzulassen, und daß Geist, Beharrlichkeit und Einfluß dazu gehöre, um einem so großen Monarchen wie Ludwig XIV. zu dienen. Madame Perregaux erwiederte, sie hätte sich die Sache reiflich überlegt, Gottes Segen zu ihrem Unternehmen erfleht und hoffe mit Gottes und ihrer Verwandten und Freunde Hülfe ihm mit Erfolg dienen zu können. „Was sie denn eigentlich für einen Zweck dabei im Auge habe?" fragte der Gesandte zum Schluß. Keinen andern, antwortete sie, als meinem einzigen Sohn durch die Dienste, die ich Seiner Majestät dem König von Frankreich leiste, eine glänzende Zukunft an Frankreichs Hof zu verschaffen, in dessen Dienst schon zwei meiner Brüder, der eine als Lieutenant-Colonel, der andre als Capitän der Garde ihr Leben aufgeopfert. Der Gesandte ermahnte sie zu unverbrüchlichem Stillschweigen, wies sie an, in Baden ein abgelegenes Logis zu beziehen, und ihm, wo sie ihn öffent¬ lich treffe, auszuweichen, damit keinerlei Verdacht erwache, als stünden sie mit einander in Verbindung. Katharina Franciska verreiste mit ihrem Söhnlein zu Pferde nach Baden und sie, die weder um Geld noch glänzende Ehren ihre Religion verrathen wollte, wurde von nun an aus Liebe zum Sohne eine geheime diplomatische Agentin Frankreichs, eine Spionin der Staatsgeheimnisse ihres eigenen Vaterlandes. Der Gesandte theilte ihr das Verzeichnis? der Gegenstände mit, welche an der Tagsatzung behandelt werden sollten. Diese wurden dann mit einflu߬ reichen Verwandten, wie dem Obersten von Graviseth und andern durchge¬ sprochen und vom Gesandten nur die Geschäfte an der Tagsatzung zur Sprache gebracht, bei denen man eines guten Erfolgs versichert sein konnte. So brachte Ameive schon das erste Mal Alles durch was er verlangte; aus dem einfachen Grund, weil er nichts vorbrachte, von dem er wußte, daß es nicht Erfolg habe. Der kaiserliche Gesandte war außer sich, Ameive dagegen voller Freude; denn durch seinen Erfolg erwarb er sich seines Königs Gunst und durch seine scheinbare Mäßigung bei den Eidgenossen einen guten Namen und Vertrauen. Er ließ es daher der Madame Perregaux gegenüber nicht an Beweisen der -) B D. Red. aden im Kanton Aargau Grenzboten III. 1872.17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/137>, abgerufen am 22.07.2024.