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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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der Comödie. Denn wie es nicht einmal eine plumpe Schmeichelei ist, dem
"Gutsherrn von Varzin" den alleinigen Besitz des politischen Verstandes zu¬
zugestehen, da er diesen Verstand doch erst als Herr von Varzin und als
fremdes vergrabenes Gut sich angeeignet hat, so unmotivirt sind die bei dieser
Gelegenheit aufgerufenen Drohworte Teuts:


Warte, wart', Dir jag' ich ab noch, was Du diebisch aufgerafft,
Warte, warte, will nicht rasten, bis Du, was des Volks, herausgiebst,
Und von dem, was Du nicht nahesteht, einen pangerman'schen Schmauß giebst.

Es läßt sich in allen diesen allgemeinen Deklamationen absolut keine
greifbare Pointe, nicht ein bestimmter Gedanke herausfinden.

Unerklärlich ist es ferner, warum Hamerling seine Dichtung in die Zeit
der Hermannsschlacht verlegt hat. Den umfangreichsten Scenen der Comödie
fehlt das Colorit einer früheren Zeit gänzlich, und wenn die zu Teut's Jubi¬
läumsfeier versammelten Berliner, Schwaben. Oesterreicher sich von dem Krieg
des Jahres 1866, von Geibels Gedichten, von Hamerlings Recensenten und
dergleichen mehr unterhalten, so überschreitet dies die Grenzen des in der
Comödie gestatteten Anachronismus: denn dieser kann nur durch den Gegen¬
satz wirken und verliert seinen Charakter, wenn er regelmäßig und ununter¬
brochen angewandt wird. -- In den Scenen, die im Lager der "Wälschen"
das heißt der Römer spielen, verlangt Hamerling, daß wir unter "Varus"
bet Leibe nicht eine bestimmte moderne Person (etwa Napoleon oder Trochu)
verstehen sollen. Dann hätte er aber auch Anspielungen auf die süperben
Manifeste des "Hugonius Victor" unterlassen müssen, Anspielungen, die zudem
einen höchst frostigen Eindruck machen. -- Auch der siegreiche Ausgang der
Hermannsschlacht hat -- wie schon oben angedeutet -- gar keinen entscheiden¬
den Einfluß auf die Handlung. Denn er giebt dem "ernsten Dichter" nur
Veranlassung zu einigen schlechten Witzen über die Schillerstiftung, über den
verhungerten Barden Schwartenmaier, "den Verfasser des Liedes, bei dessen
Klängen die Unsern in den siegreichen Kampf gezogen sind" (!) u. f. w.

Doch würden wir diese zahlreichen principiellen Einwendungen gegen
Hamerlings Gedicht übersehen und ihm gern den Gefallen thun, seinem Werke
ein "mild lächelnder Richter" zu sein, wenn er wenigstens verstanden hätte,
den Leser in guter Laune zu erhalten, und wenn ihm nicht die unentbehrlichste
Grundanlage zum Comödiendichter fehlte: der Witz.

Es fehlt ihm zunächst der Witz in der Charakterzeichnung: Der Barde
und Schulmeister Bachert, der durch seine Verse die Nachtwächter einschläfert,
unscandirbare Hexameter producirt und für seine Speisekammer zurückgelegte
Käserinden sammelt -- die buchstabenklaubenden Festredner, die "schnoddrigen"


Grenzboten III. 1872. ig

der Comödie. Denn wie es nicht einmal eine plumpe Schmeichelei ist, dem
„Gutsherrn von Varzin" den alleinigen Besitz des politischen Verstandes zu¬
zugestehen, da er diesen Verstand doch erst als Herr von Varzin und als
fremdes vergrabenes Gut sich angeeignet hat, so unmotivirt sind die bei dieser
Gelegenheit aufgerufenen Drohworte Teuts:


Warte, wart', Dir jag' ich ab noch, was Du diebisch aufgerafft,
Warte, warte, will nicht rasten, bis Du, was des Volks, herausgiebst,
Und von dem, was Du nicht nahesteht, einen pangerman'schen Schmauß giebst.

Es läßt sich in allen diesen allgemeinen Deklamationen absolut keine
greifbare Pointe, nicht ein bestimmter Gedanke herausfinden.

Unerklärlich ist es ferner, warum Hamerling seine Dichtung in die Zeit
der Hermannsschlacht verlegt hat. Den umfangreichsten Scenen der Comödie
fehlt das Colorit einer früheren Zeit gänzlich, und wenn die zu Teut's Jubi¬
läumsfeier versammelten Berliner, Schwaben. Oesterreicher sich von dem Krieg
des Jahres 1866, von Geibels Gedichten, von Hamerlings Recensenten und
dergleichen mehr unterhalten, so überschreitet dies die Grenzen des in der
Comödie gestatteten Anachronismus: denn dieser kann nur durch den Gegen¬
satz wirken und verliert seinen Charakter, wenn er regelmäßig und ununter¬
brochen angewandt wird. — In den Scenen, die im Lager der „Wälschen"
das heißt der Römer spielen, verlangt Hamerling, daß wir unter „Varus"
bet Leibe nicht eine bestimmte moderne Person (etwa Napoleon oder Trochu)
verstehen sollen. Dann hätte er aber auch Anspielungen auf die süperben
Manifeste des „Hugonius Victor" unterlassen müssen, Anspielungen, die zudem
einen höchst frostigen Eindruck machen. — Auch der siegreiche Ausgang der
Hermannsschlacht hat — wie schon oben angedeutet — gar keinen entscheiden¬
den Einfluß auf die Handlung. Denn er giebt dem „ernsten Dichter" nur
Veranlassung zu einigen schlechten Witzen über die Schillerstiftung, über den
verhungerten Barden Schwartenmaier, „den Verfasser des Liedes, bei dessen
Klängen die Unsern in den siegreichen Kampf gezogen sind" (!) u. f. w.

Doch würden wir diese zahlreichen principiellen Einwendungen gegen
Hamerlings Gedicht übersehen und ihm gern den Gefallen thun, seinem Werke
ein „mild lächelnder Richter" zu sein, wenn er wenigstens verstanden hätte,
den Leser in guter Laune zu erhalten, und wenn ihm nicht die unentbehrlichste
Grundanlage zum Comödiendichter fehlte: der Witz.

Es fehlt ihm zunächst der Witz in der Charakterzeichnung: Der Barde
und Schulmeister Bachert, der durch seine Verse die Nachtwächter einschläfert,
unscandirbare Hexameter producirt und für seine Speisekammer zurückgelegte
Käserinden sammelt — die buchstabenklaubenden Festredner, die „schnoddrigen"


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[0121] der Comödie. Denn wie es nicht einmal eine plumpe Schmeichelei ist, dem „Gutsherrn von Varzin" den alleinigen Besitz des politischen Verstandes zu¬ zugestehen, da er diesen Verstand doch erst als Herr von Varzin und als fremdes vergrabenes Gut sich angeeignet hat, so unmotivirt sind die bei dieser Gelegenheit aufgerufenen Drohworte Teuts: Warte, wart', Dir jag' ich ab noch, was Du diebisch aufgerafft, Warte, warte, will nicht rasten, bis Du, was des Volks, herausgiebst, Und von dem, was Du nicht nahesteht, einen pangerman'schen Schmauß giebst. Es läßt sich in allen diesen allgemeinen Deklamationen absolut keine greifbare Pointe, nicht ein bestimmter Gedanke herausfinden. Unerklärlich ist es ferner, warum Hamerling seine Dichtung in die Zeit der Hermannsschlacht verlegt hat. Den umfangreichsten Scenen der Comödie fehlt das Colorit einer früheren Zeit gänzlich, und wenn die zu Teut's Jubi¬ läumsfeier versammelten Berliner, Schwaben. Oesterreicher sich von dem Krieg des Jahres 1866, von Geibels Gedichten, von Hamerlings Recensenten und dergleichen mehr unterhalten, so überschreitet dies die Grenzen des in der Comödie gestatteten Anachronismus: denn dieser kann nur durch den Gegen¬ satz wirken und verliert seinen Charakter, wenn er regelmäßig und ununter¬ brochen angewandt wird. — In den Scenen, die im Lager der „Wälschen" das heißt der Römer spielen, verlangt Hamerling, daß wir unter „Varus" bet Leibe nicht eine bestimmte moderne Person (etwa Napoleon oder Trochu) verstehen sollen. Dann hätte er aber auch Anspielungen auf die süperben Manifeste des „Hugonius Victor" unterlassen müssen, Anspielungen, die zudem einen höchst frostigen Eindruck machen. — Auch der siegreiche Ausgang der Hermannsschlacht hat — wie schon oben angedeutet — gar keinen entscheiden¬ den Einfluß auf die Handlung. Denn er giebt dem „ernsten Dichter" nur Veranlassung zu einigen schlechten Witzen über die Schillerstiftung, über den verhungerten Barden Schwartenmaier, „den Verfasser des Liedes, bei dessen Klängen die Unsern in den siegreichen Kampf gezogen sind" (!) u. f. w. Doch würden wir diese zahlreichen principiellen Einwendungen gegen Hamerlings Gedicht übersehen und ihm gern den Gefallen thun, seinem Werke ein „mild lächelnder Richter" zu sein, wenn er wenigstens verstanden hätte, den Leser in guter Laune zu erhalten, und wenn ihm nicht die unentbehrlichste Grundanlage zum Comödiendichter fehlte: der Witz. Es fehlt ihm zunächst der Witz in der Charakterzeichnung: Der Barde und Schulmeister Bachert, der durch seine Verse die Nachtwächter einschläfert, unscandirbare Hexameter producirt und für seine Speisekammer zurückgelegte Käserinden sammelt — die buchstabenklaubenden Festredner, die „schnoddrigen" Grenzboten III. 1872. ig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/121>, abgerufen am 22.07.2024.