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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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die erlösende That vorstellen, die einer bessern Zukunft voranleuchtet. Aber
nirgends wird das wichtige Ereigniß in diesem gemeinnützigen Sinne ver¬
werthet. Und was soll die Schlacht uns frommen, wenn nicht der "politische
Verstand" wiedergefunden wird? fragt Teut mit Recht. Und so schwebt
dann im rechten Augenblick der vom Publicum längst erwartete Bote des
Wodan aus den Wolken, und macht dem armen Teut, natürlich völlig unvor¬
bereitet, die Mittheilung, daß das bewußte Paket von einem Geier geraubt
worden sei, es liege klaftertief im pommerschen Sande vergraben, wo es nach
Jahrtausenden "der Gutsherr von Varzin" finden werde; dieser würde dann
so gescheut werden, daß "Alles, Alles ihm gelingt, daß er Unerhörtes leistet,
Ungeheuerstes vollbringt." Nachdem nun noch Teut in einer längeren Rede
gegen den künftigen Gutsherrn verschiedene Drohungen ausgestoßen hat. weil
er den Schatz für sich allein behalten und nicht zum Gemeingut machen wolle,
wird der schätzbare Schwätzer endlich unter "den Klängen der Zukunft" (natür¬
lich spielt jetzt das Orchester die "Wacht am Rhein") in höhere Sphären entrückt,
und der Vorhang fällt.

Wie wenig Anforderungen man nun auch, streng genommen, an eine
Comödie machen durfte, die einen "verlorenen Verstand" voraussetzt, so sehr
muß der nicht verlorene Verstand gegen diesen Grundgedanken ankämpfen.
In einer Zeit, wo eine beispiellose Thatkraft und Schaffenslust das gesammte
deutsche Volk durchdringt, liegt wahrlich am wenigsten Veranlassung vor. uns
aus einer längst ausgeschlafenen Periode politischen Katzenjammers satirisch
sein sollende Schilderungen vorzuführen. Zwar singt Heine, daß man hinter
dem Ofen die besten Frühlingslieder dichtet. Aber schwerlich läßt sich diese
Behauptung umkehren. In der lebendigen, entfaltungsmächtigen Frühlings¬
zeit wollen wir Nichts von winterlicher Erstarrung hören, und wenn sich
allenthalben in Deutschland das regste Leben fühlbar macht, ist es eine be¬
leidigende Rücksichtslosigkeit, uns die längst altbackenem, wenn je frisch gewesenen
Michel- und Schlafmützenwitze wieder aufzutischen. Freilich scheint Hamerling
von der deutschen Einheit wenig zu erwarten, denn er singt S. 103:


Plötzlich einig sind die Deutschen in des Jubels Lustgeberden,
Und es kann ein Jahr vergehen, eh' sie wieder uneins werden.

Indessen werden die Leser ihren Glauben an die deutsche Einheit kaum
über Bord werfen wollen, um dem Hamerling'schen Gedicht eine vorübergehende
Existenzberechtigung zuzuerkennen.

Weiß übrigens Teut, das seinem Volk der Verstand fehlt, so muß man
billig erstaunen, daß er ihm fortwährend Handlungen zumuthet, die Verstand
erfordern, und man begreift nicht, wie er sich dann noch wundern kann,
"keine Gegenliebe zu finden." Ebenso schief und verfehlt ist auch der Schluß


die erlösende That vorstellen, die einer bessern Zukunft voranleuchtet. Aber
nirgends wird das wichtige Ereigniß in diesem gemeinnützigen Sinne ver¬
werthet. Und was soll die Schlacht uns frommen, wenn nicht der „politische
Verstand" wiedergefunden wird? fragt Teut mit Recht. Und so schwebt
dann im rechten Augenblick der vom Publicum längst erwartete Bote des
Wodan aus den Wolken, und macht dem armen Teut, natürlich völlig unvor¬
bereitet, die Mittheilung, daß das bewußte Paket von einem Geier geraubt
worden sei, es liege klaftertief im pommerschen Sande vergraben, wo es nach
Jahrtausenden „der Gutsherr von Varzin" finden werde; dieser würde dann
so gescheut werden, daß „Alles, Alles ihm gelingt, daß er Unerhörtes leistet,
Ungeheuerstes vollbringt." Nachdem nun noch Teut in einer längeren Rede
gegen den künftigen Gutsherrn verschiedene Drohungen ausgestoßen hat. weil
er den Schatz für sich allein behalten und nicht zum Gemeingut machen wolle,
wird der schätzbare Schwätzer endlich unter „den Klängen der Zukunft" (natür¬
lich spielt jetzt das Orchester die „Wacht am Rhein") in höhere Sphären entrückt,
und der Vorhang fällt.

Wie wenig Anforderungen man nun auch, streng genommen, an eine
Comödie machen durfte, die einen „verlorenen Verstand" voraussetzt, so sehr
muß der nicht verlorene Verstand gegen diesen Grundgedanken ankämpfen.
In einer Zeit, wo eine beispiellose Thatkraft und Schaffenslust das gesammte
deutsche Volk durchdringt, liegt wahrlich am wenigsten Veranlassung vor. uns
aus einer längst ausgeschlafenen Periode politischen Katzenjammers satirisch
sein sollende Schilderungen vorzuführen. Zwar singt Heine, daß man hinter
dem Ofen die besten Frühlingslieder dichtet. Aber schwerlich läßt sich diese
Behauptung umkehren. In der lebendigen, entfaltungsmächtigen Frühlings¬
zeit wollen wir Nichts von winterlicher Erstarrung hören, und wenn sich
allenthalben in Deutschland das regste Leben fühlbar macht, ist es eine be¬
leidigende Rücksichtslosigkeit, uns die längst altbackenem, wenn je frisch gewesenen
Michel- und Schlafmützenwitze wieder aufzutischen. Freilich scheint Hamerling
von der deutschen Einheit wenig zu erwarten, denn er singt S. 103:


Plötzlich einig sind die Deutschen in des Jubels Lustgeberden,
Und es kann ein Jahr vergehen, eh' sie wieder uneins werden.

Indessen werden die Leser ihren Glauben an die deutsche Einheit kaum
über Bord werfen wollen, um dem Hamerling'schen Gedicht eine vorübergehende
Existenzberechtigung zuzuerkennen.

Weiß übrigens Teut, das seinem Volk der Verstand fehlt, so muß man
billig erstaunen, daß er ihm fortwährend Handlungen zumuthet, die Verstand
erfordern, und man begreift nicht, wie er sich dann noch wundern kann,
„keine Gegenliebe zu finden." Ebenso schief und verfehlt ist auch der Schluß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/120>, abgerufen am 22.07.2024.