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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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hat. Wie ist doch seitdem Alles so ganz anders geworden! -- wird Mancher
denken oder ausrufen; und doch sind noch nicht 170 Jahre seitdem vergangen.

Wir geben hier, um der Darstellungsweise möglichst treu zu bleiben, das
Folgende im Auszuge so, wie es in der schlichten Weise des Schreibers auf¬
gezeichnet worden ist.




I.
Annotationes auf der holländischen Reise.

Wir fuhren den 4. August 1706 des Morgens frühe aus Bremen, so
daß wir um 8 Uhr in Delmenhorst waren. Von da fuhren wir durch das
wüste Land (welchen Weg man zu nehmen pfleget, wenn es nicht viel gereg¬
net hat) auf Broekdyk, woselbst der alte Deichgraf von Mummies wohnet,
welchem wir die Ehre hatten aufzuwarten. Nicht weit von Broekdyk sind an
dieser Seite zwei runde Pfützen, allwo man die Pferde trinken läßt; allein wer
nicht den rechten Ort weiß, der mag wohl herausbleiben, denn Mancher hat
hier wegen der erschrecklichen Tiefe sein Leben lassen müssen.

Von Broekdyk nach Aprumb bringet man lange Zeit zu, weil der Deich
so krumm gehet, da es doch dem Augenschein nach sehr nahe ist. Von Nprumb
nach Oldenburg, welches vor diesem die Residenzstadt der Grafen von Olden¬
burg und Delmenhorst gewesen, bis daß anno 1667 der letzte Graf Anton
Günther starb. Da gab es einen großen Successionsstreit zwischen dem Könige
von Dänemark und dem Herzog von Holstein, welcher endlich so beigelegt
worden ist, daß der König Alles behalten hat, welcher auch continuirlich 5
bis 600 Mann und mehr darin hält.

Oldenburg ist sonst ziemlich groß, hat viele Häuser, die aber nach der
alten Manier noch aufgebauet sind. Vor etlichen Jahren brannte diese ganze
Stadt bis auf 3 Häuser ab. Die Kirchen sind nicht zu groß und das gräf¬
liche Schloß verfällt sehr, ist sonst aber wohl und lustig gebauet.

Der Ort ist sonst wohl fortifieiret, allein die Erde, wovon der Wall ge¬
macht, taugt nichts sonderliches. Im güldenen Löwen bei Herrn Dehlbrugge
ist gut Logis.

Von Oldenburg gingen wir weiter auf Blexhausen, welcher Weg sehr
lustig wegen der vielen Straßen oder Wege, welche an beiden Seiten mit
Bäumen bepflanzet sind. Es giebt sonst allhie, wie auch an verschiedlichen
Oertern dieser Grafschaft, allerhand Wildwerk, so aber vor diesem in größerer
Abundanee gewesen. Wie aber die Franzosen vor etlichen Jahren vor dem
Westphälischen Frieden hier waren, haben sie selbiges verjaget, so daß viel
davon ins Lünneburg'sche und über die Weser gegangen. Zu Blexhaus ist
ein sehr schön Wirthshaus, aber die Traktamenten sind nicht zum besten, wie


hat. Wie ist doch seitdem Alles so ganz anders geworden! — wird Mancher
denken oder ausrufen; und doch sind noch nicht 170 Jahre seitdem vergangen.

Wir geben hier, um der Darstellungsweise möglichst treu zu bleiben, das
Folgende im Auszuge so, wie es in der schlichten Weise des Schreibers auf¬
gezeichnet worden ist.




I.
Annotationes auf der holländischen Reise.

Wir fuhren den 4. August 1706 des Morgens frühe aus Bremen, so
daß wir um 8 Uhr in Delmenhorst waren. Von da fuhren wir durch das
wüste Land (welchen Weg man zu nehmen pfleget, wenn es nicht viel gereg¬
net hat) auf Broekdyk, woselbst der alte Deichgraf von Mummies wohnet,
welchem wir die Ehre hatten aufzuwarten. Nicht weit von Broekdyk sind an
dieser Seite zwei runde Pfützen, allwo man die Pferde trinken läßt; allein wer
nicht den rechten Ort weiß, der mag wohl herausbleiben, denn Mancher hat
hier wegen der erschrecklichen Tiefe sein Leben lassen müssen.

Von Broekdyk nach Aprumb bringet man lange Zeit zu, weil der Deich
so krumm gehet, da es doch dem Augenschein nach sehr nahe ist. Von Nprumb
nach Oldenburg, welches vor diesem die Residenzstadt der Grafen von Olden¬
burg und Delmenhorst gewesen, bis daß anno 1667 der letzte Graf Anton
Günther starb. Da gab es einen großen Successionsstreit zwischen dem Könige
von Dänemark und dem Herzog von Holstein, welcher endlich so beigelegt
worden ist, daß der König Alles behalten hat, welcher auch continuirlich 5
bis 600 Mann und mehr darin hält.

Oldenburg ist sonst ziemlich groß, hat viele Häuser, die aber nach der
alten Manier noch aufgebauet sind. Vor etlichen Jahren brannte diese ganze
Stadt bis auf 3 Häuser ab. Die Kirchen sind nicht zu groß und das gräf¬
liche Schloß verfällt sehr, ist sonst aber wohl und lustig gebauet.

Der Ort ist sonst wohl fortifieiret, allein die Erde, wovon der Wall ge¬
macht, taugt nichts sonderliches. Im güldenen Löwen bei Herrn Dehlbrugge
ist gut Logis.

Von Oldenburg gingen wir weiter auf Blexhausen, welcher Weg sehr
lustig wegen der vielen Straßen oder Wege, welche an beiden Seiten mit
Bäumen bepflanzet sind. Es giebt sonst allhie, wie auch an verschiedlichen
Oertern dieser Grafschaft, allerhand Wildwerk, so aber vor diesem in größerer
Abundanee gewesen. Wie aber die Franzosen vor etlichen Jahren vor dem
Westphälischen Frieden hier waren, haben sie selbiges verjaget, so daß viel
davon ins Lünneburg'sche und über die Weser gegangen. Zu Blexhaus ist
ein sehr schön Wirthshaus, aber die Traktamenten sind nicht zum besten, wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/106>, abgerufen am 22.12.2024.