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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Bildung erobert werden kann und muß, Ihre Poesie hat sie ein Recht zurück¬
zuweisen, ihre Prosa, wenn sie ihr auf die rechte Art nahe gebracht wäre,
würde sie erquicken und anregen. Aber mit bloßen Uebersetzungen ist es nicht
gethan, wie ja auch der bisherige Erfolg gezeigt hat. Denn daran fehlt es, seit
von der Hagen die Völsunge und andere Sagen 1812 übersetzt hat, bis zu
Ettmüllers umfänglichen altnordischen Sagenschatz von 1870 keineswegs, aber
sie sind alle wirkungslos geblieben. Zum Theil wohl, weil gerade das mindest
passende d. h. was dem übersetzenden Gelehrten, aber nicht dem gebildeten
Leser werthvoll sein mußte, übersetzt wurde. In diesen Fehler ist auch Ett-
müller verfallen. Er füllt zwei Drittel seines Buches mit dem heute ungenießbaren
Saxo Grammaticus, der allerdings eine Menge anderwärts nicht oder noch
nicht wieder entdeckter Ueberlieferungen episch-mystischen Genre's allein bewahrt
hat. Für die gelehrte Sage"sorschung sind sie unschätzbar, dem gebildeten
Laien fehlt jedes Verständniß dafür, und kann ihm auch nicht durch weitläufige
Ercurse beigebracht werden. Man mußte mit jener zuletzt charakterisirten
Gattung der Memoiren und Biographien beginnen und nicht sowohl über¬
setzen -- weil die eigenthümliche Gedrungenheit und herbe Geschlossenheit der
Ursprache in jeder Uebersetzung schlecht wiedergegeben werden kann und am
schlechtesten wirkt, wo man sie am mühevollsten nachbildet -- sondern nacher¬
zählen. Dafür ist der rechte Stil schon gefunden: die deutschen Sagen der
Brüder Grimm geben ein Muster, das nur einfach copirt zu werden braucht,
um den richtigen Ton zu treffen und Form und Inhalt in volle Harmonie
zu bringen. --




Meisen zu Anfang des vorigen Jahrhunderts.
Mitgetheilt von Max von Eelking.

Das Nachstehende ist dem Tagebuche eines Bremer Patriziers entnommen,
der, als Sohn eines wohlhabenden und angesehenen Handels- und Rathsherrn,
diesen vielfach auf seinen Reisen begleitete und den bei damals gediegener
Bildung eine scharfe Beobachtungsgabe, sowie gesundes Urtheil beim Nieder¬
schreiben seiner Erlebnisse wesentlich unterstützten. Bietet das Ganze auch
gerade nicht etwas Außergewöhnliches, so tragen die Schilderungen des Er¬
lebten und Gesehenen doch so sehr das Gepräge der Wahrheit und Treue, daß
man beim Lesen ein treues Bild damaliger Zustände, namentlich in Betreff
des Reifens, sowie der socialen und der Cultur-Verhältnisse, vor Augen


G'enjlwten lit. 1872. 13

Bildung erobert werden kann und muß, Ihre Poesie hat sie ein Recht zurück¬
zuweisen, ihre Prosa, wenn sie ihr auf die rechte Art nahe gebracht wäre,
würde sie erquicken und anregen. Aber mit bloßen Uebersetzungen ist es nicht
gethan, wie ja auch der bisherige Erfolg gezeigt hat. Denn daran fehlt es, seit
von der Hagen die Völsunge und andere Sagen 1812 übersetzt hat, bis zu
Ettmüllers umfänglichen altnordischen Sagenschatz von 1870 keineswegs, aber
sie sind alle wirkungslos geblieben. Zum Theil wohl, weil gerade das mindest
passende d. h. was dem übersetzenden Gelehrten, aber nicht dem gebildeten
Leser werthvoll sein mußte, übersetzt wurde. In diesen Fehler ist auch Ett-
müller verfallen. Er füllt zwei Drittel seines Buches mit dem heute ungenießbaren
Saxo Grammaticus, der allerdings eine Menge anderwärts nicht oder noch
nicht wieder entdeckter Ueberlieferungen episch-mystischen Genre's allein bewahrt
hat. Für die gelehrte Sage«sorschung sind sie unschätzbar, dem gebildeten
Laien fehlt jedes Verständniß dafür, und kann ihm auch nicht durch weitläufige
Ercurse beigebracht werden. Man mußte mit jener zuletzt charakterisirten
Gattung der Memoiren und Biographien beginnen und nicht sowohl über¬
setzen — weil die eigenthümliche Gedrungenheit und herbe Geschlossenheit der
Ursprache in jeder Uebersetzung schlecht wiedergegeben werden kann und am
schlechtesten wirkt, wo man sie am mühevollsten nachbildet — sondern nacher¬
zählen. Dafür ist der rechte Stil schon gefunden: die deutschen Sagen der
Brüder Grimm geben ein Muster, das nur einfach copirt zu werden braucht,
um den richtigen Ton zu treffen und Form und Inhalt in volle Harmonie
zu bringen. —




Meisen zu Anfang des vorigen Jahrhunderts.
Mitgetheilt von Max von Eelking.

Das Nachstehende ist dem Tagebuche eines Bremer Patriziers entnommen,
der, als Sohn eines wohlhabenden und angesehenen Handels- und Rathsherrn,
diesen vielfach auf seinen Reisen begleitete und den bei damals gediegener
Bildung eine scharfe Beobachtungsgabe, sowie gesundes Urtheil beim Nieder¬
schreiben seiner Erlebnisse wesentlich unterstützten. Bietet das Ganze auch
gerade nicht etwas Außergewöhnliches, so tragen die Schilderungen des Er¬
lebten und Gesehenen doch so sehr das Gepräge der Wahrheit und Treue, daß
man beim Lesen ein treues Bild damaliger Zustände, namentlich in Betreff
des Reifens, sowie der socialen und der Cultur-Verhältnisse, vor Augen


G'enjlwten lit. 1872. 13
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[0105] Bildung erobert werden kann und muß, Ihre Poesie hat sie ein Recht zurück¬ zuweisen, ihre Prosa, wenn sie ihr auf die rechte Art nahe gebracht wäre, würde sie erquicken und anregen. Aber mit bloßen Uebersetzungen ist es nicht gethan, wie ja auch der bisherige Erfolg gezeigt hat. Denn daran fehlt es, seit von der Hagen die Völsunge und andere Sagen 1812 übersetzt hat, bis zu Ettmüllers umfänglichen altnordischen Sagenschatz von 1870 keineswegs, aber sie sind alle wirkungslos geblieben. Zum Theil wohl, weil gerade das mindest passende d. h. was dem übersetzenden Gelehrten, aber nicht dem gebildeten Leser werthvoll sein mußte, übersetzt wurde. In diesen Fehler ist auch Ett- müller verfallen. Er füllt zwei Drittel seines Buches mit dem heute ungenießbaren Saxo Grammaticus, der allerdings eine Menge anderwärts nicht oder noch nicht wieder entdeckter Ueberlieferungen episch-mystischen Genre's allein bewahrt hat. Für die gelehrte Sage«sorschung sind sie unschätzbar, dem gebildeten Laien fehlt jedes Verständniß dafür, und kann ihm auch nicht durch weitläufige Ercurse beigebracht werden. Man mußte mit jener zuletzt charakterisirten Gattung der Memoiren und Biographien beginnen und nicht sowohl über¬ setzen — weil die eigenthümliche Gedrungenheit und herbe Geschlossenheit der Ursprache in jeder Uebersetzung schlecht wiedergegeben werden kann und am schlechtesten wirkt, wo man sie am mühevollsten nachbildet — sondern nacher¬ zählen. Dafür ist der rechte Stil schon gefunden: die deutschen Sagen der Brüder Grimm geben ein Muster, das nur einfach copirt zu werden braucht, um den richtigen Ton zu treffen und Form und Inhalt in volle Harmonie zu bringen. — Meisen zu Anfang des vorigen Jahrhunderts. Mitgetheilt von Max von Eelking. Das Nachstehende ist dem Tagebuche eines Bremer Patriziers entnommen, der, als Sohn eines wohlhabenden und angesehenen Handels- und Rathsherrn, diesen vielfach auf seinen Reisen begleitete und den bei damals gediegener Bildung eine scharfe Beobachtungsgabe, sowie gesundes Urtheil beim Nieder¬ schreiben seiner Erlebnisse wesentlich unterstützten. Bietet das Ganze auch gerade nicht etwas Außergewöhnliches, so tragen die Schilderungen des Er¬ lebten und Gesehenen doch so sehr das Gepräge der Wahrheit und Treue, daß man beim Lesen ein treues Bild damaliger Zustände, namentlich in Betreff des Reifens, sowie der socialen und der Cultur-Verhältnisse, vor Augen G'enjlwten lit. 1872. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/105>, abgerufen am 22.07.2024.