Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.die Nachricht kam, daß der König sich mit dem Volke versöhnt habe, also der In den ersten Märztagen hatte auch das "hessische Volk" seine Siege die Nachricht kam, daß der König sich mit dem Volke versöhnt habe, also der In den ersten Märztagen hatte auch das „hessische Volk" seine Siege <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0099" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127495"/> <p xml:id="ID_316" prev="#ID_315"> die Nachricht kam, daß der König sich mit dem Volke versöhnt habe, also der<lb/> Thron stehen geblieben sei. Das Jahr 1848 und das erste deutsche Parla¬<lb/> ment hätte wahrscheinlich einen anderen Verlauf genommen, wenn die Ein¬<lb/> sicht, daß ohne Preußen alle Beschlüsse in Frankfurt eitel — Beschlüsse seien,<lb/> sich so früh Bahn gebrochen hätte, wie im Haupte Bambergers.</p><lb/> <p xml:id="ID_317"> In den ersten Märztagen hatte auch das „hessische Volk" seine Siege<lb/> „errungen", hatte sein Landesvater „Alles bewilligt." In einer großen Volks¬<lb/> versammlung im Hofe des kurfürstlichen Schlosses, welche noch in der Erin¬<lb/> nerung jener Zeiten bei dem „Volke von Mainz" lebt, betrat Bamberger,<lb/> völlig unbekannt, die Rednerbühne, und sein urwüchsiger und kecker Radika¬<lb/> lismus pflückte bei der altjacobinischen Bevölkerung die Lorbeern des Tages.<lb/> Von jener Stunde an erfreute er sich allgemeiner Popularität. Wenig hatte<lb/> ihm die Natur zum Volksredner verliehen. Seine bis heutigen Tages schmal¬<lb/> brüstige, etwas vorgebeugte Gestalt, seine damals noch nicht genügend aus¬<lb/> geweitete und bei erregtem Pathos in heisern Discant umschlagende Stimme,<lb/> welche bei ungewöhnlicher Anstrengung seine Lungen bis zum Blutauswurf<lb/> reizte, war zum Bewältiger von Massenversammlungen wenig geeignet. Aber<lb/> der feurige Geist der Revolution, der unmittelbare Funke des Gedankens, der<lb/> als Kind des Augenblicks in lustigen oder ergreifenden Redeformen ihm über<lb/> die Lippen sprang zum Ohr der Hörer, die Gluth der Begeisterung und<lb/> Ueberzeugung, welche allmählig den merkwürdig durchsichtigen feinen Teint<lb/> des Redners mit einem Incarnat färbte, welches viel intensiver Roth zu<lb/> nennen war,i als sein Haupt- und Barthaar, das von Haus aus in<lb/> diese demokratische Couleur hineinschimmerte — kurz, das sympathische Ge¬<lb/> präge des Naturlautes, das seinen Reden anhaftete, verschaffte ihm auch bei<lb/> den Jacobinern des souveränen Volkes von Mainz wunderbares Ansehen und<lb/> andächtiges Gehör. Da sich indessen diese Clubbeliebtheit mit der Thätigkeit<lb/> und Carriere eines großherzoglich hessischen Richters noch weit weniger ver¬<lb/> trug, als das Studium im Adam Smith und Spinoza, so griff Bamberger<lb/> nun auch berufsmäßig zur publicistischen Feder, übernahm neben Carl Bölsche<lb/> die Mainzer Zeitung und leitartikelte Tag für Tagaus voller Brust. Einen<lb/> Theil des Jahres 1848 verbrachte er als Reporter im Frankfurter Parla¬<lb/> ment, wo er die Bekanntschaft der damals markirenden Männer machte. Er<lb/> wohnte mit Zitz, dem Abgeordneten für Mainz, im selben Hause. Unter<lb/> allen namhaften Männern der Paulskirche aber hat sich Bamberger am<lb/> engsten^an Arnold Rüge und Julias Fröbel angeschlossen, deren philosophische<lb/> Richtung ihn besonders anzog. Seine enge Freundschaft mit Rüge hat sich<lb/> seither ungetrübt erhalten, um so mehr, als auch Rüge bekanntlich den Segen<lb/> der großen Umwandlung in Deutschland rückhaltlos anerkennt. —</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0099]
die Nachricht kam, daß der König sich mit dem Volke versöhnt habe, also der
Thron stehen geblieben sei. Das Jahr 1848 und das erste deutsche Parla¬
ment hätte wahrscheinlich einen anderen Verlauf genommen, wenn die Ein¬
sicht, daß ohne Preußen alle Beschlüsse in Frankfurt eitel — Beschlüsse seien,
sich so früh Bahn gebrochen hätte, wie im Haupte Bambergers.
In den ersten Märztagen hatte auch das „hessische Volk" seine Siege
„errungen", hatte sein Landesvater „Alles bewilligt." In einer großen Volks¬
versammlung im Hofe des kurfürstlichen Schlosses, welche noch in der Erin¬
nerung jener Zeiten bei dem „Volke von Mainz" lebt, betrat Bamberger,
völlig unbekannt, die Rednerbühne, und sein urwüchsiger und kecker Radika¬
lismus pflückte bei der altjacobinischen Bevölkerung die Lorbeern des Tages.
Von jener Stunde an erfreute er sich allgemeiner Popularität. Wenig hatte
ihm die Natur zum Volksredner verliehen. Seine bis heutigen Tages schmal¬
brüstige, etwas vorgebeugte Gestalt, seine damals noch nicht genügend aus¬
geweitete und bei erregtem Pathos in heisern Discant umschlagende Stimme,
welche bei ungewöhnlicher Anstrengung seine Lungen bis zum Blutauswurf
reizte, war zum Bewältiger von Massenversammlungen wenig geeignet. Aber
der feurige Geist der Revolution, der unmittelbare Funke des Gedankens, der
als Kind des Augenblicks in lustigen oder ergreifenden Redeformen ihm über
die Lippen sprang zum Ohr der Hörer, die Gluth der Begeisterung und
Ueberzeugung, welche allmählig den merkwürdig durchsichtigen feinen Teint
des Redners mit einem Incarnat färbte, welches viel intensiver Roth zu
nennen war,i als sein Haupt- und Barthaar, das von Haus aus in
diese demokratische Couleur hineinschimmerte — kurz, das sympathische Ge¬
präge des Naturlautes, das seinen Reden anhaftete, verschaffte ihm auch bei
den Jacobinern des souveränen Volkes von Mainz wunderbares Ansehen und
andächtiges Gehör. Da sich indessen diese Clubbeliebtheit mit der Thätigkeit
und Carriere eines großherzoglich hessischen Richters noch weit weniger ver¬
trug, als das Studium im Adam Smith und Spinoza, so griff Bamberger
nun auch berufsmäßig zur publicistischen Feder, übernahm neben Carl Bölsche
die Mainzer Zeitung und leitartikelte Tag für Tagaus voller Brust. Einen
Theil des Jahres 1848 verbrachte er als Reporter im Frankfurter Parla¬
ment, wo er die Bekanntschaft der damals markirenden Männer machte. Er
wohnte mit Zitz, dem Abgeordneten für Mainz, im selben Hause. Unter
allen namhaften Männern der Paulskirche aber hat sich Bamberger am
engsten^an Arnold Rüge und Julias Fröbel angeschlossen, deren philosophische
Richtung ihn besonders anzog. Seine enge Freundschaft mit Rüge hat sich
seither ungetrübt erhalten, um so mehr, als auch Rüge bekanntlich den Segen
der großen Umwandlung in Deutschland rückhaltlos anerkennt. —
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |