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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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wie in ein verlorenes Paradies. Die Schmach und Härte der Rheinbunds¬
zeit war ja ohnehin an der Pfaffengasse des heiligen römischen Reichs weit
weniger schmerzlich empfunden worden, als im übrigen Deutschland. Das
milde, üppige, vaterlandslose Regiment des Krummstabes hatte in dem leicht¬
lebigen Völkchen schon vor der Revolution einen materialistischen Kosmopoli¬
tismus groß gezogen, der den Phrasen und dem Flitter der französischen Re¬
publik und Kaiserzeit besonders zugänglich war. Nun war das Beste, was
jene Zeit überhaupt hinterlassen hat, die Codification des französischen bür¬
gerlichen Rechtes und Strafrechts, des Civil- und Strafprocesses, gerade den
Rheinlanden zu gute gekommen und erhalten geblieben. . Die besten Juristen
und politischen Schriftsteller des Großherzogthums*) feierten das ursprünglich
von dem fremden Eroberer aufgedrungene Recht als das höchste Gut Rhein-
Hessens.

In seinem neuesten trefflichen Essay "Der erste Verfassungskampf in
Preußen (181S--1828)" entwirft Heinrich von Treitschke^) eine lebendige
Schilderung von den Stimmungen der Bevölkerung in den preußischen Rhein¬
landen während des ersten Jahrzehnts der preußischen Regierung. Wenn
dort von Coblenz aus im Jahre 1816 der wackere Landwirth Schmerz mel¬
dete: "Kein Mensch ist mehr hier, der nicht Gott auf den'Knien danken
würde. wenn das Land wieder unter französischer Botmäßigkeit stände", so
mag man sich leicht ein Bild von der vorherrschenden politischen Stimmung
und Staatsgesinnung machen, welche Bambergers Knaben- und Lernjahre
umgab. "Die alten Leute" -- schreibt er uns selbst -- "nährten mit den
Erzählungen von 1793 bis 1815 die .überall noch sehr rege Bewunderung für
die französischen Großthaten der Republik und des Empire. Und die bekann¬
ten Historien der kurfürstlichen Vertheidigung von Mainz und der Kosaken
von 1814 repräsentirten damals den Durchschnitt der Sympathie für die
deutsche Nationalität. Ich erinnere mich noch deutlich der Revolution von
1830, wie die Veteranen des Empire ins Haus kamen und frohlockend die
Rückkehr der großen Nation verkündeten. Las Cases' Memoiren wurden mit
Rührung gelesen; nicht bezweifelt, daß Napoleon bei Waterloo verrathen und
schließlich von dem Ungeheuer Hudson Löwe vergiftet worden. Noch lebhaft
erinnere ich mich, wie ich 1831, als achtjähriger Junge, mich freute, daß der
General Diebitsch, der Feind der Polen, an der Cholera starb, was mir von
meiner Mutter eine Ohrfeige eintrug, "weil man sich über keines Menschen
Tod freuen soll?", und wie empört ich gegen die Preußen war, welche die für




') Heinr. v. Gagern, Glaubrech, vergl. R. v. Mohl, Geschichte u. Literatur der Staats¬
wissenschaften. 2. Bd. S. 383.
") Preuß. Jahrbücher. März 1872. S. 313 sg.^

wie in ein verlorenes Paradies. Die Schmach und Härte der Rheinbunds¬
zeit war ja ohnehin an der Pfaffengasse des heiligen römischen Reichs weit
weniger schmerzlich empfunden worden, als im übrigen Deutschland. Das
milde, üppige, vaterlandslose Regiment des Krummstabes hatte in dem leicht¬
lebigen Völkchen schon vor der Revolution einen materialistischen Kosmopoli¬
tismus groß gezogen, der den Phrasen und dem Flitter der französischen Re¬
publik und Kaiserzeit besonders zugänglich war. Nun war das Beste, was
jene Zeit überhaupt hinterlassen hat, die Codification des französischen bür¬
gerlichen Rechtes und Strafrechts, des Civil- und Strafprocesses, gerade den
Rheinlanden zu gute gekommen und erhalten geblieben. . Die besten Juristen
und politischen Schriftsteller des Großherzogthums*) feierten das ursprünglich
von dem fremden Eroberer aufgedrungene Recht als das höchste Gut Rhein-
Hessens.

In seinem neuesten trefflichen Essay „Der erste Verfassungskampf in
Preußen (181S—1828)" entwirft Heinrich von Treitschke^) eine lebendige
Schilderung von den Stimmungen der Bevölkerung in den preußischen Rhein¬
landen während des ersten Jahrzehnts der preußischen Regierung. Wenn
dort von Coblenz aus im Jahre 1816 der wackere Landwirth Schmerz mel¬
dete: „Kein Mensch ist mehr hier, der nicht Gott auf den'Knien danken
würde. wenn das Land wieder unter französischer Botmäßigkeit stände", so
mag man sich leicht ein Bild von der vorherrschenden politischen Stimmung
und Staatsgesinnung machen, welche Bambergers Knaben- und Lernjahre
umgab. „Die alten Leute" — schreibt er uns selbst — „nährten mit den
Erzählungen von 1793 bis 1815 die .überall noch sehr rege Bewunderung für
die französischen Großthaten der Republik und des Empire. Und die bekann¬
ten Historien der kurfürstlichen Vertheidigung von Mainz und der Kosaken
von 1814 repräsentirten damals den Durchschnitt der Sympathie für die
deutsche Nationalität. Ich erinnere mich noch deutlich der Revolution von
1830, wie die Veteranen des Empire ins Haus kamen und frohlockend die
Rückkehr der großen Nation verkündeten. Las Cases' Memoiren wurden mit
Rührung gelesen; nicht bezweifelt, daß Napoleon bei Waterloo verrathen und
schließlich von dem Ungeheuer Hudson Löwe vergiftet worden. Noch lebhaft
erinnere ich mich, wie ich 1831, als achtjähriger Junge, mich freute, daß der
General Diebitsch, der Feind der Polen, an der Cholera starb, was mir von
meiner Mutter eine Ohrfeige eintrug, „weil man sich über keines Menschen
Tod freuen soll?", und wie empört ich gegen die Preußen war, welche die für




') Heinr. v. Gagern, Glaubrech, vergl. R. v. Mohl, Geschichte u. Literatur der Staats¬
wissenschaften. 2. Bd. S. 383.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/93>, abgerufen am 24.08.2024.